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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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er wolle seiner Zwitternatur ein Ende machen
und ein guter Däne werden; Lys behauptete,
man müsse an den Deutschen ihr Großes und
Eigenthümliches benutzen und sich im Uebrigen
Nichts um sie bekümmern; nur der grüne Hein¬
rich hing mit seinem ganzen Herzen an Deutsch¬
land. Er schmähte es zwar auch mit dem Munde
und sprach vielleicht noch Stärkeres als die An¬
deren; er sagte, da er vor allem aus Schweizer
sei, wünsche er manchmal ein Wälscher zu sein,
um nicht mehr deutsch denken zu müssen, und er
sei beinahe versucht, französisch schreiben und den¬
ken zu lernen. Aber gerade weil es ihm hiermit
bitterer Ernst war und mehr, als den Freunden,
war auch sein Verdruß tiefer und gründlicher.
In der Sprache, mit der man geboren, welche
die Väter gesprochen, denkt man sein ganzes Le¬
ben lang, so fertig man eine andere spricht;
und dies anders zu wünschen, die Sprache, in
der man sein Geheimstes denkt, vergessen zu
wollen, zeigt, wie tief man getroffen ist und wie
sehr man gerade diese Sprache liebt.

Aber dessen ungeachtet ward er mit jedem

er wolle ſeiner Zwitternatur ein Ende machen
und ein guter Daͤne werden; Lys behauptete,
man muͤſſe an den Deutſchen ihr Großes und
Eigenthuͤmliches benutzen und ſich im Uebrigen
Nichts um ſie bekuͤmmern; nur der gruͤne Hein¬
rich hing mit ſeinem ganzen Herzen an Deutſch¬
land. Er ſchmaͤhte es zwar auch mit dem Munde
und ſprach vielleicht noch Staͤrkeres als die An¬
deren; er ſagte, da er vor allem aus Schweizer
ſei, wuͤnſche er manchmal ein Waͤlſcher zu ſein,
um nicht mehr deutſch denken zu muͤſſen, und er
ſei beinahe verſucht, franzoͤſiſch ſchreiben und den¬
ken zu lernen. Aber gerade weil es ihm hiermit
bitterer Ernſt war und mehr, als den Freunden,
war auch ſein Verdruß tiefer und gruͤndlicher.
In der Sprache, mit der man geboren, welche
die Vaͤter geſprochen, denkt man ſein ganzes Le¬
ben lang, ſo fertig man eine andere ſpricht;
und dies anders zu wuͤnſchen, die Sprache, in
der man ſein Geheimſtes denkt, vergeſſen zu
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[210/0220] er wolle ſeiner Zwitternatur ein Ende machen und ein guter Daͤne werden; Lys behauptete, man muͤſſe an den Deutſchen ihr Großes und Eigenthuͤmliches benutzen und ſich im Uebrigen Nichts um ſie bekuͤmmern; nur der gruͤne Hein¬ rich hing mit ſeinem ganzen Herzen an Deutſch¬ land. Er ſchmaͤhte es zwar auch mit dem Munde und ſprach vielleicht noch Staͤrkeres als die An¬ deren; er ſagte, da er vor allem aus Schweizer ſei, wuͤnſche er manchmal ein Waͤlſcher zu ſein, um nicht mehr deutſch denken zu muͤſſen, und er ſei beinahe verſucht, franzoͤſiſch ſchreiben und den¬ ken zu lernen. Aber gerade weil es ihm hiermit bitterer Ernſt war und mehr, als den Freunden, war auch ſein Verdruß tiefer und gruͤndlicher. In der Sprache, mit der man geboren, welche die Vaͤter geſprochen, denkt man ſein ganzes Le¬ ben lang, ſo fertig man eine andere ſpricht; und dies anders zu wuͤnſchen, die Sprache, in der man ſein Geheimſtes denkt, vergeſſen zu wollen, zeigt, wie tief man getroffen iſt und wie ſehr man gerade dieſe Sprache liebt. Aber deſſen ungeachtet ward er mit jedem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/220>, abgerufen am 28.04.2024.