denn er sah nun ein, daß er nicht länger sich also verhalten durfte. Ihr verliebtes und sich hin¬ gebendes Wesen schreckte ihn durchaus nicht ab, weil er dessen Grund und Natur durchschaute und sie darum nur um so reizender fand; dagegen mußte er nun gestehen, daß wohl eine artige und köstliche Frau aus ihr zu machen wäre und schüt¬ telte sich innerlich bei dem Gedanken, sie je in eines Andern Händen zu sehen, während der Un¬ selige doch immer noch sich nicht entschließen konnte, seine Selbstherrlichkeit mit einem anderen Wesen für immer zu theilen und noch für eine zweite Hälfte zu leben.
Beide Wagschalen standen sich vollkommen gleich und das Zünglein seiner Unentschlossenheit schwebte still in der Mitte, als das Künstlerfest herannahte. Agnes sollte daran Theil nehmen; Ferdinand war beflissen, ihre Gestalt vollends zu einem Feenmährchen zu machen und faßte dabei den Vorsatz, es nunmehr darauf ankommen zu lassen, ob das Fest eine Entscheidung herbeiführe oder nicht; er wollte eine solche weder suchen noch ihr widerstehen; denn noch immer hielt er sich in
III. 15
denn er ſah nun ein, daß er nicht laͤnger ſich alſo verhalten durfte. Ihr verliebtes und ſich hin¬ gebendes Weſen ſchreckte ihn durchaus nicht ab, weil er deſſen Grund und Natur durchſchaute und ſie darum nur um ſo reizender fand; dagegen mußte er nun geſtehen, daß wohl eine artige und koͤſtliche Frau aus ihr zu machen waͤre und ſchuͤt¬ telte ſich innerlich bei dem Gedanken, ſie je in eines Andern Haͤnden zu ſehen, waͤhrend der Un¬ ſelige doch immer noch ſich nicht entſchließen konnte, ſeine Selbſtherrlichkeit mit einem anderen Weſen fuͤr immer zu theilen und noch fuͤr eine zweite Haͤlfte zu leben.
Beide Wagſchalen ſtanden ſich vollkommen gleich und das Zuͤnglein ſeiner Unentſchloſſenheit ſchwebte ſtill in der Mitte, als das Kuͤnſtlerfeſt herannahte. Agnes ſollte daran Theil nehmen; Ferdinand war befliſſen, ihre Geſtalt vollends zu einem Feenmaͤhrchen zu machen und faßte dabei den Vorſatz, es nunmehr darauf ankommen zu laſſen, ob das Feſt eine Entſcheidung herbeifuͤhre oder nicht; er wollte eine ſolche weder ſuchen noch ihr widerſtehen; denn noch immer hielt er ſich in
III. 15
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denn er ſah nun ein, daß er nicht laͤnger ſich alſo
verhalten durfte. Ihr verliebtes und ſich hin¬
gebendes Weſen ſchreckte ihn durchaus nicht ab,
weil er deſſen Grund und Natur durchſchaute und
ſie darum nur um ſo reizender fand; dagegen
mußte er nun geſtehen, daß wohl eine artige und
koͤſtliche Frau aus ihr zu machen waͤre und ſchuͤt¬
telte ſich innerlich bei dem Gedanken, ſie je in
eines Andern Haͤnden zu ſehen, waͤhrend der Un¬
ſelige doch immer noch ſich nicht entſchließen
konnte, ſeine Selbſtherrlichkeit mit einem anderen
Weſen fuͤr immer zu theilen und noch fuͤr eine
zweite Haͤlfte zu leben.
Beide Wagſchalen ſtanden ſich vollkommen
gleich und das Zuͤnglein ſeiner Unentſchloſſenheit
ſchwebte ſtill in der Mitte, als das Kuͤnſtlerfeſt
herannahte. Agnes ſollte daran Theil nehmen;
Ferdinand war befliſſen, ihre Geſtalt vollends zu
einem Feenmaͤhrchen zu machen und faßte dabei
den Vorſatz, es nunmehr darauf ankommen zu
laſſen, ob das Feſt eine Entſcheidung herbeifuͤhre
oder nicht; er wollte eine ſolche weder ſuchen noch
ihr widerſtehen; denn noch immer hielt er ſich in
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/235>, abgerufen am 28.04.2024.
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