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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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verzehren mußte und mächtige Stücke Seidenzeug
zu seinen breiten schönen Westen brauchte, him¬
melblaue, kirschrothe und großartig gewürfelte,
war ursprünglich ein Knopfmacher gewesen und
hatte auch die eine und andere Stunde des Ta¬
ges Knöpfe besponnen. Als er aber mit den
Jahren gar so fest und breit wurde, sagte ihm
die sitzende Lebensart nicht mehr zu, und als er
überhaupt den rechten Phäaken- oder Schwaben¬
aufschwung genommen: die rothe Sammetweste,
die goldene Uhrkette und den Siegelring, liqui¬
dirte er die Knopfmacherei und übernahm in
einer wichtigen Hauptsitzung der Seldwyler Spe¬
kulanten jenen Steinbruch. Nun hatte er die
angemessene bewegliche Lebensweise gefunden, in¬
dem er mit einer rothen Brieftasche voll Papiere
und einem eleganten Spazierstock, auf welchem
mit silbernen Stiften ein Zollmaß angebracht
war, etwa in den Steinbruch hinaus lustwan¬
delte wenn das Wetter lieblich war, und dort
mit dem besagten Stocke an den verpfändeten
Steinlagern herumstocherte, den Schweiß von
der Stirn wischte, in die schöne Gegend hinaus¬
schaute und dann schleunigst in die Stadt zurück¬

verzehren mußte und mächtige Stücke Seidenzeug
zu ſeinen breiten ſchönen Weſten brauchte, him¬
melblaue, kirſchrothe und großartig gewürfelte,
war urſprünglich ein Knopfmacher geweſen und
hatte auch die eine und andere Stunde des Ta¬
ges Knöpfe beſponnen. Als er aber mit den
Jahren gar ſo feſt und breit wurde, ſagte ihm
die ſitzende Lebensart nicht mehr zu, und als er
überhaupt den rechten Phäaken- oder Schwaben¬
aufſchwung genommen: die rothe Sammetweſte,
die goldene Uhrkette und den Siegelring, liqui¬
dirte er die Knopfmacherei und übernahm in
einer wichtigen Hauptſitzung der Seldwyler Spe¬
kulanten jenen Steinbruch. Nun hatte er die
angemeſſene bewegliche Lebensweiſe gefunden, in¬
dem er mit einer rothen Brieftaſche voll Papiere
und einem eleganten Spazierſtock, auf welchem
mit ſilbernen Stiften ein Zollmaß angebracht
war, etwa in den Steinbruch hinaus luſtwan¬
delte wenn das Wetter lieblich war, und dort
mit dem beſagten Stocke an den verpfändeten
Steinlagern herumſtocherte, den Schweiß von
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[114/0126] verzehren mußte und mächtige Stücke Seidenzeug zu ſeinen breiten ſchönen Weſten brauchte, him¬ melblaue, kirſchrothe und großartig gewürfelte, war urſprünglich ein Knopfmacher geweſen und hatte auch die eine und andere Stunde des Ta¬ ges Knöpfe beſponnen. Als er aber mit den Jahren gar ſo feſt und breit wurde, ſagte ihm die ſitzende Lebensart nicht mehr zu, und als er überhaupt den rechten Phäaken- oder Schwaben¬ aufſchwung genommen: die rothe Sammetweſte, die goldene Uhrkette und den Siegelring, liqui¬ dirte er die Knopfmacherei und übernahm in einer wichtigen Hauptſitzung der Seldwyler Spe¬ kulanten jenen Steinbruch. Nun hatte er die angemeſſene bewegliche Lebensweiſe gefunden, in¬ dem er mit einer rothen Brieftaſche voll Papiere und einem eleganten Spazierſtock, auf welchem mit ſilbernen Stiften ein Zollmaß angebracht war, etwa in den Steinbruch hinaus luſtwan¬ delte wenn das Wetter lieblich war, und dort mit dem beſagten Stocke an den verpfändeten Steinlagern herumſtocherte, den Schweiß von der Stirn wiſchte, in die ſchöne Gegend hinaus¬ ſchaute und dann ſchleunigſt in die Stadt zurück¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/126>, abgerufen am 26.04.2024.