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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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keit, die ihm für die Ewigkeit gegründet und
höchst rechtmäßig schien, unversehens von dem
häßlichsten Schulmeister aufgerüttelt und beige¬
steckt wird, und der nun in seinem Gram alles
verloren und das Ende der Welt herbeigekommen
wähnt. Er schämte sich, ohne zu wissen vor
wem, er verachtete seine Feinde und war doch
in ihrer Hand. Er war begeistert gewesen,
gegen sie auszuziehen, und doch waren sie jetzt
in jeder Hinsicht in ihrem Rechte; denn selbst
ihre Beschränktheit oder ihre Dummheit war ihr
gutes rechtliches Eigenthum und es gab kein
Mandat dagegen, als dasjenige des Erfolges,
der nun leider ausgeblieben war. Die leiden¬
schaftlich erbos'ten Gesichter aller dieser bejahrten
und gefurchten Landleute, welche auf ihren ge¬
fundenen Sieg trotzten, traten ihm in seiner
helldunklen Trostlosigkeit mit einer seltsamen Deut¬
lichkeit vor die Augen; überall, wo er durchge¬
führt wurde, gab es neue Gesichter, die er nie
gesehen, die er nicht einzeln und nicht mit Willen
ansah, und die sich ihm dennoch scharf und treff¬
lich beleuchtet einprägten als eben so viele Vor¬
würfe, Beleidigungen und Strafgerichte. Je

keit, die ihm für die Ewigkeit gegründet und
höchſt rechtmäßig ſchien, unverſehens von dem
häßlichſten Schulmeiſter aufgerüttelt und beige¬
ſteckt wird, und der nun in ſeinem Gram alles
verloren und das Ende der Welt herbeigekommen
wähnt. Er ſchämte ſich, ohne zu wiſſen vor
wem, er verachtete ſeine Feinde und war doch
in ihrer Hand. Er war begeiſtert geweſen,
gegen ſie auszuziehen, und doch waren ſie jetzt
in jeder Hinſicht in ihrem Rechte; denn ſelbſt
ihre Beſchränktheit oder ihre Dummheit war ihr
gutes rechtliches Eigenthum und es gab kein
Mandat dagegen, als dasjenige des Erfolges,
der nun leider ausgeblieben war. Die leiden¬
ſchaftlich erboſ'ten Geſichter aller dieſer bejahrten
und gefurchten Landleute, welche auf ihren ge¬
fundenen Sieg trotzten, traten ihm in ſeiner
helldunklen Troſtloſigkeit mit einer ſeltſamen Deut¬
lichkeit vor die Augen; überall, wo er durchge¬
führt wurde, gab es neue Geſichter, die er nie
geſehen, die er nicht einzeln und nicht mit Willen
anſah, und die ſich ihm dennoch ſcharf und treff¬
lich beleuchtet einprägten als eben ſo viele Vor¬
würfe, Beleidigungen und Strafgerichte. Je

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[175/0187] keit, die ihm für die Ewigkeit gegründet und höchſt rechtmäßig ſchien, unverſehens von dem häßlichſten Schulmeiſter aufgerüttelt und beige¬ ſteckt wird, und der nun in ſeinem Gram alles verloren und das Ende der Welt herbeigekommen wähnt. Er ſchämte ſich, ohne zu wiſſen vor wem, er verachtete ſeine Feinde und war doch in ihrer Hand. Er war begeiſtert geweſen, gegen ſie auszuziehen, und doch waren ſie jetzt in jeder Hinſicht in ihrem Rechte; denn ſelbſt ihre Beſchränktheit oder ihre Dummheit war ihr gutes rechtliches Eigenthum und es gab kein Mandat dagegen, als dasjenige des Erfolges, der nun leider ausgeblieben war. Die leiden¬ ſchaftlich erboſ'ten Geſichter aller dieſer bejahrten und gefurchten Landleute, welche auf ihren ge¬ fundenen Sieg trotzten, traten ihm in ſeiner helldunklen Troſtloſigkeit mit einer ſeltſamen Deut¬ lichkeit vor die Augen; überall, wo er durchge¬ führt wurde, gab es neue Geſichter, die er nie geſehen, die er nicht einzeln und nicht mit Willen anſah, und die ſich ihm dennoch ſcharf und treff¬ lich beleuchtet einprägten als eben ſo viele Vor¬ würfe, Beleidigungen und Strafgerichte. Je

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/187>, abgerufen am 29.04.2024.