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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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"Ach Gott," sagte sie und fing an zu weinen, "ich
bin so gute Worte nicht gewohnt, sie brechen mir das
Herz!"

"Nein, sie werden es Ihnen gesund machen!" fuhr er
fort, "hören Sie mich freundlich an! Mein Vater lebt
als verwittweter alter Herr auf seinen Gütern, während
ich mich noch einige Zeit fern halten muß. Unsere alte
Wirthschaftsdame ist vor einem halben Jahre gestorben
und der Vater sehnt sich nach einer weiblichen Aufsicht.
So lassen Sie sich denn zu ihm bringen, sobald Sie zu
Kräften gekommen sind, und machen Sie sich nützlich, so
lange es Ihnen gefällt und bis sich etwas Wünschens¬
wertheres zeigt! Daß Sie uns nützlich sein werden, bin
ich überzeugt; denn ich halte die starre Entbehrungskunst,
die Sie hier geübt haben, nur für die erkrankte Form
eines sonst kerngesund gewesenen haushälterischen Sinnes,
und ich weiß, daß Sie Ihren Untergebenen gerne gönnen
werden, was ihnen gehört, wenn die Sachen vorhanden
sind. Hab' ich nicht Recht?"

Ihre Hand zitterte sanft in der seinigen, als sie leise
sagte: "Es thut freilich wohl, sich so beschreiben zu hören,
und ich brauche Gottlob nicht nein zu sagen!"

Sie blickte ihn dabei mit Augen so voll herzlicher
Dankbarkeit an, daß ihm über diesem neuen lieblichen
Phänomen die Brust weit wurde.

"Also ist es abgemacht, daß Sie kommen?" fragte er
hastig, und sie sagte: "Ich finde jetzt nicht mehr die Kraft,

„Ach Gott,“ ſagte ſie und fing an zu weinen, „ich
bin ſo gute Worte nicht gewohnt, ſie brechen mir das
Herz!“

„Nein, ſie werden es Ihnen geſund machen!“ fuhr er
fort, „hören Sie mich freundlich an! Mein Vater lebt
als verwittweter alter Herr auf ſeinen Gütern, während
ich mich noch einige Zeit fern halten muß. Unſere alte
Wirthſchaftsdame iſt vor einem halben Jahre geſtorben
und der Vater ſehnt ſich nach einer weiblichen Aufſicht.
So laſſen Sie ſich denn zu ihm bringen, ſobald Sie zu
Kräften gekommen ſind, und machen Sie ſich nützlich, ſo
lange es Ihnen gefällt und bis ſich etwas Wünſchens¬
wertheres zeigt! Daß Sie uns nützlich ſein werden, bin
ich überzeugt; denn ich halte die ſtarre Entbehrungskunſt,
die Sie hier geübt haben, nur für die erkrankte Form
eines ſonſt kerngeſund geweſenen haushälteriſchen Sinnes,
und ich weiß, daß Sie Ihren Untergebenen gerne gönnen
werden, was ihnen gehört, wenn die Sachen vorhanden
ſind. Hab' ich nicht Recht?“

Ihre Hand zitterte ſanft in der ſeinigen, als ſie leiſe
ſagte: „Es thut freilich wohl, ſich ſo beſchreiben zu hören,
und ich brauche Gottlob nicht nein zu ſagen!“

Sie blickte ihn dabei mit Augen ſo voll herzlicher
Dankbarkeit an, daß ihm über dieſem neuen lieblichen
Phänomen die Bruſt weit wurde.

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haſtig, und ſie ſagte: „Ich finde jetzt nicht mehr die Kraft,

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[190/0200] „Ach Gott,“ ſagte ſie und fing an zu weinen, „ich bin ſo gute Worte nicht gewohnt, ſie brechen mir das Herz!“ „Nein, ſie werden es Ihnen geſund machen!“ fuhr er fort, „hören Sie mich freundlich an! Mein Vater lebt als verwittweter alter Herr auf ſeinen Gütern, während ich mich noch einige Zeit fern halten muß. Unſere alte Wirthſchaftsdame iſt vor einem halben Jahre geſtorben und der Vater ſehnt ſich nach einer weiblichen Aufſicht. So laſſen Sie ſich denn zu ihm bringen, ſobald Sie zu Kräften gekommen ſind, und machen Sie ſich nützlich, ſo lange es Ihnen gefällt und bis ſich etwas Wünſchens¬ wertheres zeigt! Daß Sie uns nützlich ſein werden, bin ich überzeugt; denn ich halte die ſtarre Entbehrungskunſt, die Sie hier geübt haben, nur für die erkrankte Form eines ſonſt kerngeſund geweſenen haushälteriſchen Sinnes, und ich weiß, daß Sie Ihren Untergebenen gerne gönnen werden, was ihnen gehört, wenn die Sachen vorhanden ſind. Hab' ich nicht Recht?“ Ihre Hand zitterte ſanft in der ſeinigen, als ſie leiſe ſagte: „Es thut freilich wohl, ſich ſo beſchreiben zu hören, und ich brauche Gottlob nicht nein zu ſagen!“ Sie blickte ihn dabei mit Augen ſo voll herzlicher Dankbarkeit an, daß ihm über dieſem neuen lieblichen Phänomen die Bruſt weit wurde. „Alſo iſt es abgemacht, daß Sie kommen?“ fragte er haſtig, und ſie ſagte: „Ich finde jetzt nicht mehr die Kraft,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/200>, abgerufen am 29.04.2024.