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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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konnte, wenn es nothwendig war, es mochte Tag oder
Nacht sein.

Mit großer Duldsamkeit ertrug er meine Vorliebe für
das Unerklärliche und Uebersinnliche, das ich fortwährend
in allen Dingen herbeizog und anrief, und vertheidigte
ohne allen Eifer seinen Standpunkt der Vernunft, wie
Einer der es besser weiß, aber es nicht gerade fühlen
lassen will. Er war schon von seinem Vater her ein
geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, sich
nicht anfechten. Närrischer Weise freute ich mich eigentlich
dessen und war seiner Gesinnung und seines Wissens froh,
während ich ihn mit phantastischen Reden bekämpfte. Es
war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen
Wald geht und auf seine Furchtlosigkeit pocht, im Stillen
aber sich auf das gute Schießgewehr verläßt, das ein
Begleiter mit sich führt. Zuweilen wollte es mir aller¬
dings vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen
zum stillen und am Ende gar spaßhaften Studium diente,
wie es auf Hochschulen ja immer solche Leimsieder gibt,
die für das Geld, das sie ihre Eltern kosten, vor Allem
etwas glauben lernen zu sollen und sich allen Ernstes
einbilden, sich für so und so viele Zehngroschenstücke selbst
Lectionen in der Menschenkenntniß geben zu können. Die
Zehngroschenstücke verwenden sie nämlich an einige Flaschen
Bier oder Wein, die sie dabei wagen müssen, und sie
bringen sie den Vätern unter der Rubrik: "Allgemeines
zur Weltbildung" extra in Rechnung. Aber ein solcher

konnte, wenn es nothwendig war, es mochte Tag oder
Nacht ſein.

Mit großer Duldſamkeit ertrug er meine Vorliebe für
das Unerklärliche und Ueberſinnliche, das ich fortwährend
in allen Dingen herbeizog und anrief, und vertheidigte
ohne allen Eifer ſeinen Standpunkt der Vernunft, wie
Einer der es beſſer weiß, aber es nicht gerade fühlen
laſſen will. Er war ſchon von ſeinem Vater her ein
geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, ſich
nicht anfechten. Närriſcher Weiſe freute ich mich eigentlich
deſſen und war ſeiner Geſinnung und ſeines Wiſſens froh,
während ich ihn mit phantaſtiſchen Reden bekämpfte. Es
war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen
Wald geht und auf ſeine Furchtloſigkeit pocht, im Stillen
aber ſich auf das gute Schießgewehr verläßt, das ein
Begleiter mit ſich führt. Zuweilen wollte es mir aller¬
dings vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen
zum ſtillen und am Ende gar ſpaßhaften Studium diente,
wie es auf Hochſchulen ja immer ſolche Leimſieder gibt,
die für das Geld, das ſie ihre Eltern koſten, vor Allem
etwas glauben lernen zu ſollen und ſich allen Ernſtes
einbilden, ſich für ſo und ſo viele Zehngroſchenſtücke ſelbſt
Lectionen in der Menſchenkenntniß geben zu können. Die
Zehngroſchenſtücke verwenden ſie nämlich an einige Flaſchen
Bier oder Wein, die ſie dabei wagen müſſen, und ſie
bringen ſie den Vätern unter der Rubrik: „Allgemeines
zur Weltbildung“ extra in Rechnung. Aber ein ſolcher

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[222/0232] konnte, wenn es nothwendig war, es mochte Tag oder Nacht ſein. Mit großer Duldſamkeit ertrug er meine Vorliebe für das Unerklärliche und Ueberſinnliche, das ich fortwährend in allen Dingen herbeizog und anrief, und vertheidigte ohne allen Eifer ſeinen Standpunkt der Vernunft, wie Einer der es beſſer weiß, aber es nicht gerade fühlen laſſen will. Er war ſchon von ſeinem Vater her ein geübter Kantianer und ließ, was darüber hinausging, ſich nicht anfechten. Närriſcher Weiſe freute ich mich eigentlich deſſen und war ſeiner Geſinnung und ſeines Wiſſens froh, während ich ihn mit phantaſtiſchen Reden bekämpfte. Es war mit mir, wie wenn Jemand durch einen verrufenen Wald geht und auf ſeine Furchtloſigkeit pocht, im Stillen aber ſich auf das gute Schießgewehr verläßt, das ein Begleiter mit ſich führt. Zuweilen wollte es mir aller¬ dings vorkommen, als ob ich dem Mannelin ein Bischen zum ſtillen und am Ende gar ſpaßhaften Studium diente, wie es auf Hochſchulen ja immer ſolche Leimſieder gibt, die für das Geld, das ſie ihre Eltern koſten, vor Allem etwas glauben lernen zu ſollen und ſich allen Ernſtes einbilden, ſich für ſo und ſo viele Zehngroſchenſtücke ſelbſt Lectionen in der Menſchenkenntniß geben zu können. Die Zehngroſchenſtücke verwenden ſie nämlich an einige Flaſchen Bier oder Wein, die ſie dabei wagen müſſen, und ſie bringen ſie den Vätern unter der Rubrik: „Allgemeines zur Weltbildung“ extra in Rechnung. Aber ein ſolcher

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/232>, abgerufen am 07.05.2024.