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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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In drei Minuten schlief ich fest; ich glaube, ich dachte
nicht einmal mehr an die geliebte Hildeburg, kann es aber
nicht bestimmt sagen. Mein Leichtsinn nahm diesmal
ein übles Ende.

Ich mochte kaum eine halbe Stunde geschlafen haben,
so wurde ich durch einen schrecklichen Knall oder Fall
geweckt, der mitten im Zimmer erfolgt sein mußte. Ich
sperrte die Augen auf, und halb schwindlig von den auf¬
gestörten Geistern des genossenen Getränkes, von Schlaf¬
trunkenheit und Ueberraschung, suchte ich mich zu besinnen,
was ich denn gehört habe? Es dünkte mich, es könnte
ein schwerer Gegenstand in oder außer dem Zimmer um¬
gestürzt, ebenso gut aber in dem baufälligen Hause oben
oder unten etwas gebrochen sein. Zuletzt aber behielt ich
wieder den Eindruck, daß der Ton in nächster Nähe ent¬
standen sein müsse. Ich sah und horchte hin, aber Nichts
war zu sehen oder zu hören, als der unheimliche Mond¬
glanz auf der dunkeln Schreibcommode. Auf einmal fegt'
und kratzt' etwas hinter der Wand, dicht an meinem Bette.
Ich warf mich herum und starrte; das war nun außer
dem Spaß! Und wie ich starre, fährt mir ein eiskalter
Luftzug über das Gesicht, die Bettvorhänge flattern einen
Augenblick lang hin und her und plötzlich wird mir die
Decke vom Leibe gerissen.

"Donnerwetter!" rufe ich beklemmt und setze mich
endlich aufrecht, jetzt ganz munter geworden. Es spukte
wahrlich. Ich brachte die Beine aus dem Bett und saß

In drei Minuten ſchlief ich feſt; ich glaube, ich dachte
nicht einmal mehr an die geliebte Hildeburg, kann es aber
nicht beſtimmt ſagen. Mein Leichtſinn nahm diesmal
ein übles Ende.

Ich mochte kaum eine halbe Stunde geſchlafen haben,
ſo wurde ich durch einen ſchrecklichen Knall oder Fall
geweckt, der mitten im Zimmer erfolgt ſein mußte. Ich
ſperrte die Augen auf, und halb ſchwindlig von den auf¬
geſtörten Geiſtern des genoſſenen Getränkes, von Schlaf¬
trunkenheit und Ueberraſchung, ſuchte ich mich zu beſinnen,
was ich denn gehört habe? Es dünkte mich, es könnte
ein ſchwerer Gegenſtand in oder außer dem Zimmer um¬
geſtürzt, ebenſo gut aber in dem baufälligen Hauſe oben
oder unten etwas gebrochen ſein. Zuletzt aber behielt ich
wieder den Eindruck, daß der Ton in nächſter Nähe ent¬
ſtanden ſein müſſe. Ich ſah und horchte hin, aber Nichts
war zu ſehen oder zu hören, als der unheimliche Mond¬
glanz auf der dunkeln Schreibcommode. Auf einmal fegt'
und kratzt' etwas hinter der Wand, dicht an meinem Bette.
Ich warf mich herum und ſtarrte; das war nun außer
dem Spaß! Und wie ich ſtarre, fährt mir ein eiskalter
Luftzug über das Geſicht, die Bettvorhänge flattern einen
Augenblick lang hin und her und plötzlich wird mir die
Decke vom Leibe geriſſen.

„Donnerwetter!“ rufe ich beklemmt und ſetze mich
endlich aufrecht, jetzt ganz munter geworden. Es ſpukte
wahrlich. Ich brachte die Beine aus dem Bett und ſaß

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[242/0252] In drei Minuten ſchlief ich feſt; ich glaube, ich dachte nicht einmal mehr an die geliebte Hildeburg, kann es aber nicht beſtimmt ſagen. Mein Leichtſinn nahm diesmal ein übles Ende. Ich mochte kaum eine halbe Stunde geſchlafen haben, ſo wurde ich durch einen ſchrecklichen Knall oder Fall geweckt, der mitten im Zimmer erfolgt ſein mußte. Ich ſperrte die Augen auf, und halb ſchwindlig von den auf¬ geſtörten Geiſtern des genoſſenen Getränkes, von Schlaf¬ trunkenheit und Ueberraſchung, ſuchte ich mich zu beſinnen, was ich denn gehört habe? Es dünkte mich, es könnte ein ſchwerer Gegenſtand in oder außer dem Zimmer um¬ geſtürzt, ebenſo gut aber in dem baufälligen Hauſe oben oder unten etwas gebrochen ſein. Zuletzt aber behielt ich wieder den Eindruck, daß der Ton in nächſter Nähe ent¬ ſtanden ſein müſſe. Ich ſah und horchte hin, aber Nichts war zu ſehen oder zu hören, als der unheimliche Mond¬ glanz auf der dunkeln Schreibcommode. Auf einmal fegt' und kratzt' etwas hinter der Wand, dicht an meinem Bette. Ich warf mich herum und ſtarrte; das war nun außer dem Spaß! Und wie ich ſtarre, fährt mir ein eiskalter Luftzug über das Geſicht, die Bettvorhänge flattern einen Augenblick lang hin und her und plötzlich wird mir die Decke vom Leibe geriſſen. „Donnerwetter!“ rufe ich beklemmt und ſetze mich endlich aufrecht, jetzt ganz munter geworden. Es ſpukte wahrlich. Ich brachte die Beine aus dem Bett und ſaß

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/252>, abgerufen am 15.05.2024.