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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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"Dunkelhäuptig ist sie noch und schlank auch, aber
nur dem Geiste nach; ich glaube nicht, daß sie jetzt noch
durch das Ofenloch und zwischen Bett und Wand hervor¬
schlüpfen könnte."

"Ich möchte sie doch nochmals sehen und den Mannelin
auch", sagte der Oheim Lucien's mit weicher Stimme.
"Ich fühle mich ganz versöhnlich und verzuckert im Gemüth!"

"Und mich empfehlen Sie wol gütigst der Mama,
wenn Sie ihr schreiben?" sagte das Fräulein mit einem
anmuthigen Knicks; "oder werden Sie nichts von Ihrer
kleinen Reise und den hiesigen Ereignissen sagen?"

"Ich werde es gewiß nicht unterlassen, schon weil
ich trachten muß, den Herrn Oberst und vielleicht auch
die Nichte mit gutem Glück einmal hinzulocken, wo die
Eltern wohnen."

"Das thun Sie ja! Sie werden auch sicher gelegentlich
hören, daß wir unversehens dort gewesen sind, nicht wahr,
lieber Onkel?"

"Sobald ich wieder fest auf den Füßen bin," rief
dieser, "werden wir die lang geplante Reise machen und
alsdann die alten Freunde im Vorbeigehen aufsuchen."

"Jetzt fällt mir erst ein," sagte Reinhart, "daß unser
seit mehr als dreißig Jahren neuerbautes Landhaus an
der Stelle des alten Gebäudes stehen wird, das die Gro߬
eltern Morland gekauft hatten! Da können Sie auch
darin rumoren, wenn Sie kommen, Fräulein Lucie!"

"Sobald ich in zwei Männer zugleich verliebt bin,

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„Dunkelhäuptig iſt ſie noch und ſchlank auch, aber
nur dem Geiſte nach; ich glaube nicht, daß ſie jetzt noch
durch das Ofenloch und zwiſchen Bett und Wand hervor¬
ſchlüpfen könnte.“

„Ich möchte ſie doch nochmals ſehen und den Mannelin
auch“, ſagte der Oheim Lucien's mit weicher Stimme.
„Ich fühle mich ganz verſöhnlich und verzuckert im Gemüth!“

„Und mich empfehlen Sie wol gütigſt der Mama,
wenn Sie ihr ſchreiben?“ ſagte das Fräulein mit einem
anmuthigen Knicks; „oder werden Sie nichts von Ihrer
kleinen Reiſe und den hieſigen Ereigniſſen ſagen?“

„Ich werde es gewiß nicht unterlaſſen, ſchon weil
ich trachten muß, den Herrn Oberſt und vielleicht auch
die Nichte mit gutem Glück einmal hinzulocken, wo die
Eltern wohnen.“

„Das thun Sie ja! Sie werden auch ſicher gelegentlich
hören, daß wir unverſehens dort geweſen ſind, nicht wahr,
lieber Onkel?“

„Sobald ich wieder feſt auf den Füßen bin,“ rief
dieſer, „werden wir die lang geplante Reiſe machen und
alsdann die alten Freunde im Vorbeigehen aufſuchen.“

„Jetzt fällt mir erſt ein,“ ſagte Reinhart, „daß unſer
ſeit mehr als dreißig Jahren neuerbautes Landhaus an
der Stelle des alten Gebäudes ſtehen wird, das die Gro߬
eltern Morland gekauft hatten! Da können Sie auch
darin rumoren, wenn Sie kommen, Fräulein Lucie!“

„Sobald ich in zwei Männer zugleich verliebt bin,

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[259/0269] „Dunkelhäuptig iſt ſie noch und ſchlank auch, aber nur dem Geiſte nach; ich glaube nicht, daß ſie jetzt noch durch das Ofenloch und zwiſchen Bett und Wand hervor¬ ſchlüpfen könnte.“ „Ich möchte ſie doch nochmals ſehen und den Mannelin auch“, ſagte der Oheim Lucien's mit weicher Stimme. „Ich fühle mich ganz verſöhnlich und verzuckert im Gemüth!“ „Und mich empfehlen Sie wol gütigſt der Mama, wenn Sie ihr ſchreiben?“ ſagte das Fräulein mit einem anmuthigen Knicks; „oder werden Sie nichts von Ihrer kleinen Reiſe und den hieſigen Ereigniſſen ſagen?“ „Ich werde es gewiß nicht unterlaſſen, ſchon weil ich trachten muß, den Herrn Oberſt und vielleicht auch die Nichte mit gutem Glück einmal hinzulocken, wo die Eltern wohnen.“ „Das thun Sie ja! Sie werden auch ſicher gelegentlich hören, daß wir unverſehens dort geweſen ſind, nicht wahr, lieber Onkel?“ „Sobald ich wieder feſt auf den Füßen bin,“ rief dieſer, „werden wir die lang geplante Reiſe machen und alsdann die alten Freunde im Vorbeigehen aufſuchen.“ „Jetzt fällt mir erſt ein,“ ſagte Reinhart, „daß unſer ſeit mehr als dreißig Jahren neuerbautes Landhaus an der Stelle des alten Gebäudes ſtehen wird, das die Gro߬ eltern Morland gekauft hatten! Da können Sie auch darin rumoren, wenn Sie kommen, Fräulein Lucie!“ „Sobald ich in zwei Männer zugleich verliebt bin, 17*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/269>, abgerufen am 15.05.2024.