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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Tone; "mäßige daher Deine Sprache, wenn ich Dich nicht
binden und wegführen lassen soll!"

Allein ohne sichtbaren Eindruck dieser Worte, ohne
mit den Wimpern oder den Lippen zu zucken, erwiderte
Annachinga auf die Drohung:

"Du wirst Dich auf die sechzig oder siebenzig weißen
Leute besinnen, die in unseren Händen sind! Mehr als
die Hälfte davon gehören Deinem Lande an!"

Hiemit schien die Sage bestätigt, daß eine ziemliche
Zahl Europäer im Innern von Angola festgehalten werde,
wie denn auch seit Jahren manche holländische und portu¬
giesische Kaufleute verschwunden und erst in letzter Zeit
noch einzelne Soldaten, die sich verirrt, in Gefangenschaft
gerathen waren. Obgleich die schwarze Dame muthmaßlich
übertrieb, so konnte immerhin genug an der Sache wahr
sein, und Don Correa überdachte einen Augenblick das
Mißliche des Umstandes und was er zu antworten habe.
Aber die Negerfürstin, gleich einer vollendeten Diplomatin,
ließ seine Verlegenheit nicht dauern oder groß werden,
sondern fuhr sogleich fort, indem sie plötzlich auf die
Hauptfrage übersprang.

"Wir wissen nicht," sagte sie, "welchen Nutzen Du
Dir davon versprichst, uns als Unterworfene zu behan¬
deln und uns die Knechtschaft anzubieten, ehe Du nur
unsere Macht geprüft, einen Angriff gewagt, geschweige
denn uns überwunden hast. Und wenn Du uns wirklich
besiegt hättest, so wären die Vortheile für Dich geringer,

Tone; „mäßige daher Deine Sprache, wenn ich Dich nicht
binden und wegführen laſſen ſoll!“

Allein ohne ſichtbaren Eindruck dieſer Worte, ohne
mit den Wimpern oder den Lippen zu zucken, erwiderte
Annachinga auf die Drohung:

„Du wirſt Dich auf die ſechzig oder ſiebenzig weißen
Leute beſinnen, die in unſeren Händen ſind! Mehr als
die Hälfte davon gehören Deinem Lande an!“

Hiemit ſchien die Sage beſtätigt, daß eine ziemliche
Zahl Europäer im Innern von Angola feſtgehalten werde,
wie denn auch ſeit Jahren manche holländiſche und portu¬
gieſiſche Kaufleute verſchwunden und erſt in letzter Zeit
noch einzelne Soldaten, die ſich verirrt, in Gefangenſchaft
gerathen waren. Obgleich die ſchwarze Dame muthmaßlich
übertrieb, ſo konnte immerhin genug an der Sache wahr
ſein, und Don Correa überdachte einen Augenblick das
Mißliche des Umſtandes und was er zu antworten habe.
Aber die Negerfürſtin, gleich einer vollendeten Diplomatin,
ließ ſeine Verlegenheit nicht dauern oder groß werden,
ſondern fuhr ſogleich fort, indem ſie plötzlich auf die
Hauptfrage überſprang.

„Wir wiſſen nicht,“ ſagte ſie, „welchen Nutzen Du
Dir davon verſprichſt, uns als Unterworfene zu behan¬
deln und uns die Knechtſchaft anzubieten, ehe Du nur
unſere Macht geprüft, einen Angriff gewagt, geſchweige
denn uns überwunden haſt. Und wenn Du uns wirklich
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[308/0318] Tone; „mäßige daher Deine Sprache, wenn ich Dich nicht binden und wegführen laſſen ſoll!“ Allein ohne ſichtbaren Eindruck dieſer Worte, ohne mit den Wimpern oder den Lippen zu zucken, erwiderte Annachinga auf die Drohung: „Du wirſt Dich auf die ſechzig oder ſiebenzig weißen Leute beſinnen, die in unſeren Händen ſind! Mehr als die Hälfte davon gehören Deinem Lande an!“ Hiemit ſchien die Sage beſtätigt, daß eine ziemliche Zahl Europäer im Innern von Angola feſtgehalten werde, wie denn auch ſeit Jahren manche holländiſche und portu¬ gieſiſche Kaufleute verſchwunden und erſt in letzter Zeit noch einzelne Soldaten, die ſich verirrt, in Gefangenſchaft gerathen waren. Obgleich die ſchwarze Dame muthmaßlich übertrieb, ſo konnte immerhin genug an der Sache wahr ſein, und Don Correa überdachte einen Augenblick das Mißliche des Umſtandes und was er zu antworten habe. Aber die Negerfürſtin, gleich einer vollendeten Diplomatin, ließ ſeine Verlegenheit nicht dauern oder groß werden, ſondern fuhr ſogleich fort, indem ſie plötzlich auf die Hauptfrage überſprang. „Wir wiſſen nicht,“ ſagte ſie, „welchen Nutzen Du Dir davon verſprichſt, uns als Unterworfene zu behan¬ deln und uns die Knechtſchaft anzubieten, ehe Du nur unſere Macht geprüft, einen Angriff gewagt, geſchweige denn uns überwunden haſt. Und wenn Du uns wirklich beſiegt hätteſt, ſo wären die Vortheile für Dich geringer,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/318>, abgerufen am 14.05.2024.