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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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war der moralische, oder vielmehr der unmoralische Charak-
ter derselben; Stolz, Arroganz, Spott, Haß gegen die Wahr-
heit, gegen Gott und Christus, thaten sich in derselben kund. --
"Ich bin der Sohn Gottes, der Welt Heiland, mich müßt
ihr anbeten," hörte man jene Stimme zuerst sagen, und
nachher oft wiederholen. Spott über alles Heilige, Läste-
rungen gegen Gott und Christus und gegen die Bibel, heftiger
Unwille gegen alle, die das Gute lieben, die abscheulichsten
Flüche, tausendfach wiederholt, grimmiges Wüthen und
Toben beym Anblick eines Betenden, oder auch nur bei gefalteten
Händen -- das Alles konnte man als Symptome einer fremden
Einwirkung betrachten, wenn auch jene Stimme nicht selbst,
wie es wirklich geschah, den Namen des Redenden verrathen
hätte, sich einen Teufel nennend. Sobald dieser Dämon
sich hören ließ, veränderten sich auch die Gesichtszüge des
Mädchens sogleich höchst auffallend und es trat jedesmal
ein wahrhaft dämonischer Blick ein, von dem man in der
Messiade auf dem Bilde, wo der Teufel Jesu einen Stein
bietet, eine Idee bekommt.

Am 26. Januar Mittags nach eilf Uhr, zu derselben
Stunde, welche das Mädchen im wachen Zustand, nach
ihrer Behauptung von einem Engel belehrt, schon vor einigen
Tagen als ihre Erlösungsstunde angekündigt hatte, erfolgte
das Aufhören dieser Zufälle. Das letzte, was gehört wurde,
war eine Stimme aus dem Munde des Mädcheus: "Fahre
aus, du unsauberer Geist, aus diesem Kinde!
weißt du nicht, daß dieses Kind mein liebstes
ist
?" dann erwachte sie zum Bewußtseyn.

Am 31. Januar stellte sich derselbe Zustand mit denselben
Symptomen wieder ein. Doch kamen nach und nach mehrere
neue Stimmen hinzu, bis die Zahl dieser, von einander
theils im Ton, theils in der Sprache, theils nach dem
Inhalt augenscheinlich verschiedenen Stimmen auf sechs ge-
stiegen war, von denen sich jede als die Stimme eines be-
sondern Individuums geltend machte, und auch als solche
von jener vorher so oft gehörten Stimme angekündigt wurde.

war der moraliſche, oder vielmehr der unmoraliſche Charak-
ter derſelben; Stolz, Arroganz, Spott, Haß gegen die Wahr-
heit, gegen Gott und Chriſtus, thaten ſich in derſelben kund. —
„Ich bin der Sohn Gottes, der Welt Heiland, mich müßt
ihr anbeten,“ hörte man jene Stimme zuerſt ſagen, und
nachher oft wiederholen. Spott über alles Heilige, Läſte-
rungen gegen Gott und Chriſtus und gegen die Bibel, heftiger
Unwille gegen alle, die das Gute lieben, die abſcheulichſten
Flüche, tauſendfach wiederholt, grimmiges Wüthen und
Toben beym Anblick eines Betenden, oder auch nur bei gefalteten
Händen — das Alles konnte man als Symptome einer fremden
Einwirkung betrachten, wenn auch jene Stimme nicht ſelbſt,
wie es wirklich geſchah, den Namen des Redenden verrathen
hätte, ſich einen Teufel nennend. Sobald dieſer Dämon
ſich hören ließ, veränderten ſich auch die Geſichtszüge des
Mädchens ſogleich höchſt auffallend und es trat jedesmal
ein wahrhaft dämoniſcher Blick ein, von dem man in der
Meſſiade auf dem Bilde, wo der Teufel Jeſu einen Stein
bietet, eine Idee bekommt.

Am 26. Januar Mittags nach eilf Uhr, zu derſelben
Stunde, welche das Mädchen im wachen Zuſtand, nach
ihrer Behauptung von einem Engel belehrt, ſchon vor einigen
Tagen als ihre Erlöſungsſtunde angekündigt hatte, erfolgte
das Aufhören dieſer Zufälle. Das letzte, was gehört wurde,
war eine Stimme aus dem Munde des Mädcheus: „Fahre
aus, du unſauberer Geiſt, aus dieſem Kinde!
weißt du nicht, daß dieſes Kind mein liebſtes
iſt
?“ dann erwachte ſie zum Bewußtſeyn.

Am 31. Januar ſtellte ſich derſelbe Zuſtand mit denſelben
Symptomen wieder ein. Doch kamen nach und nach mehrere
neue Stimmen hinzu, bis die Zahl dieſer, von einander
theils im Ton, theils in der Sprache, theils nach dem
Inhalt augenſcheinlich verſchiedenen Stimmen auf ſechs ge-
ſtiegen war, von denen ſich jede als die Stimme eines be-
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[102/0116] war der moraliſche, oder vielmehr der unmoraliſche Charak- ter derſelben; Stolz, Arroganz, Spott, Haß gegen die Wahr- heit, gegen Gott und Chriſtus, thaten ſich in derſelben kund. — „Ich bin der Sohn Gottes, der Welt Heiland, mich müßt ihr anbeten,“ hörte man jene Stimme zuerſt ſagen, und nachher oft wiederholen. Spott über alles Heilige, Läſte- rungen gegen Gott und Chriſtus und gegen die Bibel, heftiger Unwille gegen alle, die das Gute lieben, die abſcheulichſten Flüche, tauſendfach wiederholt, grimmiges Wüthen und Toben beym Anblick eines Betenden, oder auch nur bei gefalteten Händen — das Alles konnte man als Symptome einer fremden Einwirkung betrachten, wenn auch jene Stimme nicht ſelbſt, wie es wirklich geſchah, den Namen des Redenden verrathen hätte, ſich einen Teufel nennend. Sobald dieſer Dämon ſich hören ließ, veränderten ſich auch die Geſichtszüge des Mädchens ſogleich höchſt auffallend und es trat jedesmal ein wahrhaft dämoniſcher Blick ein, von dem man in der Meſſiade auf dem Bilde, wo der Teufel Jeſu einen Stein bietet, eine Idee bekommt. Am 26. Januar Mittags nach eilf Uhr, zu derſelben Stunde, welche das Mädchen im wachen Zuſtand, nach ihrer Behauptung von einem Engel belehrt, ſchon vor einigen Tagen als ihre Erlöſungsſtunde angekündigt hatte, erfolgte das Aufhören dieſer Zufälle. Das letzte, was gehört wurde, war eine Stimme aus dem Munde des Mädcheus: „Fahre aus, du unſauberer Geiſt, aus dieſem Kinde! weißt du nicht, daß dieſes Kind mein liebſtes iſt?“ dann erwachte ſie zum Bewußtſeyn. Am 31. Januar ſtellte ſich derſelbe Zuſtand mit denſelben Symptomen wieder ein. Doch kamen nach und nach mehrere neue Stimmen hinzu, bis die Zahl dieſer, von einander theils im Ton, theils in der Sprache, theils nach dem Inhalt augenſcheinlich verſchiedenen Stimmen auf ſechs ge- ſtiegen war, von denen ſich jede als die Stimme eines be- ſondern Individuums geltend machte, und auch als ſolche von jener vorher ſo oft gehörten Stimme angekündigt wurde.

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/116>, abgerufen am 26.04.2024.