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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dieser frühe Duft von ihm, erwacht der schärfer sondernde Verstand, so wird das Weib, weil sein Denken meist keine edeln und großen Stoffe ergreift, kleinlich, persönlich-beobachtend und leicht herb, bösartig oder gemein. Ist aber jener anfänglichen Wärme ein Gedanke geboten, ist dem Kinde eine Zahl mächtiger Personen bekannt geworden, dann erhält sich an diesen Erinnerungen die Jugend des Geistes und des Gemüthes, das reifende Denken sinkt nicht ins Kleine, Alltägliche hinunter, und die ganze Hingabe, die in der weiblichen Natur liegt, wird zur Nachahmung jener großen Menschen und ihrer reinen Thaten. Solch ein Weib wird stärker in seinem festen Willen, aufopferungsfähiger für die erkannte Pflicht und ausdauernder in seiner Lebensaufgabe, als der kräftigste Mann.

Margret lernte aus der Geschichte, was zu allen Zeiten wenig Weiber begreifen, daß die Pflicht mehr ist als das Gefühl, der Beruf wichtiger als die Neigung. Das gab ihr in Allem, was sie that, auch im Kleinsten, eine Macht des Willens, die bei andern Frauen zum widrigen Eigensinn geworden wäre. Sie aber hatte Erkenntniß genug, nur an das ihren Willen zu setzen, was eines Willens werth war. In allem Uebrigen blieb Margret ein Kind vom Land gleich allen andern Dorfmädchen. Zwei Frauen des Dorfes, die Küsterin und die Wundärztin, gaben ihren Töchtern, als diese ins Jungfernalter traten, städtische Hüte, Umschlagtücher und Sonnenschirme und eine reiche

dieser frühe Duft von ihm, erwacht der schärfer sondernde Verstand, so wird das Weib, weil sein Denken meist keine edeln und großen Stoffe ergreift, kleinlich, persönlich-beobachtend und leicht herb, bösartig oder gemein. Ist aber jener anfänglichen Wärme ein Gedanke geboten, ist dem Kinde eine Zahl mächtiger Personen bekannt geworden, dann erhält sich an diesen Erinnerungen die Jugend des Geistes und des Gemüthes, das reifende Denken sinkt nicht ins Kleine, Alltägliche hinunter, und die ganze Hingabe, die in der weiblichen Natur liegt, wird zur Nachahmung jener großen Menschen und ihrer reinen Thaten. Solch ein Weib wird stärker in seinem festen Willen, aufopferungsfähiger für die erkannte Pflicht und ausdauernder in seiner Lebensaufgabe, als der kräftigste Mann.

Margret lernte aus der Geschichte, was zu allen Zeiten wenig Weiber begreifen, daß die Pflicht mehr ist als das Gefühl, der Beruf wichtiger als die Neigung. Das gab ihr in Allem, was sie that, auch im Kleinsten, eine Macht des Willens, die bei andern Frauen zum widrigen Eigensinn geworden wäre. Sie aber hatte Erkenntniß genug, nur an das ihren Willen zu setzen, was eines Willens werth war. In allem Uebrigen blieb Margret ein Kind vom Land gleich allen andern Dorfmädchen. Zwei Frauen des Dorfes, die Küsterin und die Wundärztin, gaben ihren Töchtern, als diese ins Jungfernalter traten, städtische Hüte, Umschlagtücher und Sonnenschirme und eine reiche

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[0018] dieser frühe Duft von ihm, erwacht der schärfer sondernde Verstand, so wird das Weib, weil sein Denken meist keine edeln und großen Stoffe ergreift, kleinlich, persönlich-beobachtend und leicht herb, bösartig oder gemein. Ist aber jener anfänglichen Wärme ein Gedanke geboten, ist dem Kinde eine Zahl mächtiger Personen bekannt geworden, dann erhält sich an diesen Erinnerungen die Jugend des Geistes und des Gemüthes, das reifende Denken sinkt nicht ins Kleine, Alltägliche hinunter, und die ganze Hingabe, die in der weiblichen Natur liegt, wird zur Nachahmung jener großen Menschen und ihrer reinen Thaten. Solch ein Weib wird stärker in seinem festen Willen, aufopferungsfähiger für die erkannte Pflicht und ausdauernder in seiner Lebensaufgabe, als der kräftigste Mann. Margret lernte aus der Geschichte, was zu allen Zeiten wenig Weiber begreifen, daß die Pflicht mehr ist als das Gefühl, der Beruf wichtiger als die Neigung. Das gab ihr in Allem, was sie that, auch im Kleinsten, eine Macht des Willens, die bei andern Frauen zum widrigen Eigensinn geworden wäre. Sie aber hatte Erkenntniß genug, nur an das ihren Willen zu setzen, was eines Willens werth war. In allem Uebrigen blieb Margret ein Kind vom Land gleich allen andern Dorfmädchen. Zwei Frauen des Dorfes, die Küsterin und die Wundärztin, gaben ihren Töchtern, als diese ins Jungfernalter traten, städtische Hüte, Umschlagtücher und Sonnenschirme und eine reiche

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/18>, abgerufen am 26.04.2024.