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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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kanten, dann folgte der Schützenkönig des vorigen Jahres, dessen Ehrenregiment nun zu Ende ging, und hinter ihm die andern Schützen, deren jeder insgeheim hoffte heut an seine Stelle zu treten. Auf dem Hauptplatz unter der Linde angekommen, stellten sich die Jünglinge in einen Kreis, um welchen die Masse der übrigen Dorfbewohner wogte. Der Fähnrich trat in die Mitte: es war ein stattlicher Bursch mit hübschgekräuseltem Schnurrbart; er trug das blaue Barett mit drei Federn und die breite weißseidene Schärpe. Trommel und Pfeife spielten eine alte muntere Weise; nach ihrem Rhythmus erhub er die Fahne in die Luft, schwang sie über dem Haupte; dann stemmte er den Schaft in die Seite und ließ das flatternde Banner mitten um seinen Leib in weitem Kreise rauschen, dreimal rechts, dreimal links herum. Hierauf erhub er den einen Fuß, und um das Knie des andern beschrieb die Fahne, dicht am Boden herwehend, ohne ihn zu berühren, ihre raschen, rauschenden Kreise; auch um den rechten Fuß führte sie sodann die andere Hand, während der linke sich erhub, sie durchzulassen. Zuletzt noch einmal wogte das Banner unter dem jauchzenden Zuruf der Massen in fester Faust hoch in die Lüfte über dem Haupte des Starken, der stolz auf die gelungene Schaustellung mit flammendem Antlitz aufgerichtet stand. Nun ging's wieder in feierlichem Zuge, aber hastiger und ungeduldiger, zur Vogelstange oben am Walde. Die Schützen zogen ihre Loose, während

kanten, dann folgte der Schützenkönig des vorigen Jahres, dessen Ehrenregiment nun zu Ende ging, und hinter ihm die andern Schützen, deren jeder insgeheim hoffte heut an seine Stelle zu treten. Auf dem Hauptplatz unter der Linde angekommen, stellten sich die Jünglinge in einen Kreis, um welchen die Masse der übrigen Dorfbewohner wogte. Der Fähnrich trat in die Mitte: es war ein stattlicher Bursch mit hübschgekräuseltem Schnurrbart; er trug das blaue Barett mit drei Federn und die breite weißseidene Schärpe. Trommel und Pfeife spielten eine alte muntere Weise; nach ihrem Rhythmus erhub er die Fahne in die Luft, schwang sie über dem Haupte; dann stemmte er den Schaft in die Seite und ließ das flatternde Banner mitten um seinen Leib in weitem Kreise rauschen, dreimal rechts, dreimal links herum. Hierauf erhub er den einen Fuß, und um das Knie des andern beschrieb die Fahne, dicht am Boden herwehend, ohne ihn zu berühren, ihre raschen, rauschenden Kreise; auch um den rechten Fuß führte sie sodann die andere Hand, während der linke sich erhub, sie durchzulassen. Zuletzt noch einmal wogte das Banner unter dem jauchzenden Zuruf der Massen in fester Faust hoch in die Lüfte über dem Haupte des Starken, der stolz auf die gelungene Schaustellung mit flammendem Antlitz aufgerichtet stand. Nun ging's wieder in feierlichem Zuge, aber hastiger und ungeduldiger, zur Vogelstange oben am Walde. Die Schützen zogen ihre Loose, während

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[0022] kanten, dann folgte der Schützenkönig des vorigen Jahres, dessen Ehrenregiment nun zu Ende ging, und hinter ihm die andern Schützen, deren jeder insgeheim hoffte heut an seine Stelle zu treten. Auf dem Hauptplatz unter der Linde angekommen, stellten sich die Jünglinge in einen Kreis, um welchen die Masse der übrigen Dorfbewohner wogte. Der Fähnrich trat in die Mitte: es war ein stattlicher Bursch mit hübschgekräuseltem Schnurrbart; er trug das blaue Barett mit drei Federn und die breite weißseidene Schärpe. Trommel und Pfeife spielten eine alte muntere Weise; nach ihrem Rhythmus erhub er die Fahne in die Luft, schwang sie über dem Haupte; dann stemmte er den Schaft in die Seite und ließ das flatternde Banner mitten um seinen Leib in weitem Kreise rauschen, dreimal rechts, dreimal links herum. Hierauf erhub er den einen Fuß, und um das Knie des andern beschrieb die Fahne, dicht am Boden herwehend, ohne ihn zu berühren, ihre raschen, rauschenden Kreise; auch um den rechten Fuß führte sie sodann die andere Hand, während der linke sich erhub, sie durchzulassen. Zuletzt noch einmal wogte das Banner unter dem jauchzenden Zuruf der Massen in fester Faust hoch in die Lüfte über dem Haupte des Starken, der stolz auf die gelungene Schaustellung mit flammendem Antlitz aufgerichtet stand. Nun ging's wieder in feierlichem Zuge, aber hastiger und ungeduldiger, zur Vogelstange oben am Walde. Die Schützen zogen ihre Loose, während

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/22>, abgerufen am 26.04.2024.