Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Sammelplatz voll pestilenzischer Ausdün-
stungen vorkam, hat sich jezt vor ihm in ein
Eldorado verwandelt, in einen blühenden Gar-
ten der Hesperiden; er war einst so frei und
kerngesund, als er sie haßte, und ist jetzt ein
Sklav und fast krank, da er sie liebt. --
Theuerste -- ich wollte daß ich Verhaßteste
sagen könnte, es gäbe dann doch wenigstens
nichts, was mich an diesen dummen Ball
fesselte, und ich könnte ganz froh und lustig
mich von ihm hinunterstürzen in das ewige
Nichts -- also leider Theuerste! ich sage jetzt
nicht mehr wie vormals zu dir: Geh in ein
Nonnenkloster! denn ich bin toll genug zu glau-
ben, wenn der Mensch liebe, so sei der Narr
etwas, ob er gleich deshalb doch immer nur
dem Tode rascher entgegen geht, und die-
ser ihm, bis sie sich beide endlich tref-
fen und fest und ewig umarmen; es sei
dies nun an dem Steine wo der heilige
Gustav entschlummerte, auf dem Gerüste
wo die schöne Maria blutete, oder an

16

ein Sammelplatz voll peſtilenziſcher Ausduͤn-
ſtungen vorkam, hat ſich jezt vor ihm in ein
Eldorado verwandelt, in einen bluͤhenden Gar-
ten der Hesperiden; er war einſt ſo frei und
kerngeſund, als er ſie haßte, und iſt jetzt ein
Sklav und faſt krank, da er ſie liebt. —
Theuerſte — ich wollte daß ich Verhaßteſte
ſagen koͤnnte, es gaͤbe dann doch wenigſtens
nichts, was mich an dieſen dummen Ball
feſſelte, und ich koͤnnte ganz froh und luſtig
mich von ihm hinunterſtuͤrzen in das ewige
Nichts — alſo leider Theuerſte! ich ſage jetzt
nicht mehr wie vormals zu dir: Geh in ein
Nonnenkloſter! denn ich bin toll genug zu glau-
ben, wenn der Menſch liebe, ſo ſei der Narr
etwas, ob er gleich deshalb doch immer nur
dem Tode raſcher entgegen geht, und die-
ſer ihm, bis ſie ſich beide endlich tref-
fen und feſt und ewig umarmen; es ſei
dies nun an dem Steine wo der heilige
Guſtav entſchlummerte, auf dem Geruͤſte
wo die ſchoͤne Maria blutete, oder an

16
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0243" n="241"/>
ein Sammelplatz voll pe&#x017F;tilenzi&#x017F;cher Ausdu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tungen vorkam, hat &#x017F;ich jezt vor ihm in ein<lb/>
Eldorado verwandelt, in einen blu&#x0364;henden Gar-<lb/>
ten der Hesperiden; er war ein&#x017F;t &#x017F;o frei und<lb/>
kernge&#x017F;und, als er &#x017F;ie haßte, und i&#x017F;t jetzt ein<lb/>
Sklav und fa&#x017F;t krank, da er &#x017F;ie liebt. &#x2014;<lb/>
Theuer&#x017F;te &#x2014; ich wollte daß ich Verhaßte&#x017F;te<lb/>
&#x017F;agen ko&#x0364;nnte, es ga&#x0364;be dann doch wenig&#x017F;tens<lb/>
nichts, was mich an die&#x017F;en dummen Ball<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;elte, und ich ko&#x0364;nnte ganz froh und lu&#x017F;tig<lb/>
mich von ihm hinunter&#x017F;tu&#x0364;rzen in das ewige<lb/>
Nichts &#x2014; al&#x017F;o leider Theuer&#x017F;te! ich &#x017F;age jetzt<lb/>
nicht mehr wie vormals zu dir: Geh in ein<lb/>
Nonnenklo&#x017F;ter! denn ich bin toll genug zu glau-<lb/>
ben, wenn der Men&#x017F;ch liebe, &#x017F;o &#x017F;ei der Narr<lb/>
etwas, ob er gleich deshalb doch immer nur<lb/>
dem Tode ra&#x017F;cher entgegen geht, und die-<lb/>
&#x017F;er ihm, bis &#x017F;ie &#x017F;ich beide endlich tref-<lb/>
fen und fe&#x017F;t und ewig umarmen; es &#x017F;ei<lb/>
dies nun an dem Steine wo der heilige<lb/>
Gu&#x017F;tav ent&#x017F;chlummerte, auf dem Geru&#x0364;&#x017F;te<lb/>
wo die &#x017F;cho&#x0364;ne Maria blutete, oder an<lb/>
<fw place="bottom" type="sig" rendition="#right">16</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[241/0243] ein Sammelplatz voll peſtilenziſcher Ausduͤn- ſtungen vorkam, hat ſich jezt vor ihm in ein Eldorado verwandelt, in einen bluͤhenden Gar- ten der Hesperiden; er war einſt ſo frei und kerngeſund, als er ſie haßte, und iſt jetzt ein Sklav und faſt krank, da er ſie liebt. — Theuerſte — ich wollte daß ich Verhaßteſte ſagen koͤnnte, es gaͤbe dann doch wenigſtens nichts, was mich an dieſen dummen Ball feſſelte, und ich koͤnnte ganz froh und luſtig mich von ihm hinunterſtuͤrzen in das ewige Nichts — alſo leider Theuerſte! ich ſage jetzt nicht mehr wie vormals zu dir: Geh in ein Nonnenkloſter! denn ich bin toll genug zu glau- ben, wenn der Menſch liebe, ſo ſei der Narr etwas, ob er gleich deshalb doch immer nur dem Tode raſcher entgegen geht, und die- ſer ihm, bis ſie ſich beide endlich tref- fen und feſt und ewig umarmen; es ſei dies nun an dem Steine wo der heilige Guſtav entſchlummerte, auf dem Geruͤſte wo die ſchoͤne Maria blutete, oder an 16

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/243
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/243>, abgerufen am 03.05.2024.