Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Landgute, und blikte nach Ines Fenstern, doch
wenn der Morgen wieder grauete, entfernte
er sich wild und grollend. Einmal sah er Ines
und den Pagen beim Lichtscheine, und seine
Phantasie schuf ein Mährchen, wie Ines ihn,
des Jünglings wegen, zurückgesezt habe, und
nur diesem die süßen Stunden der Nacht heim-
lich weihe; da schwur er in wilder Eifersucht
dem schönen Knaben den Tod, und beschloß
die erste Gelegenheit zur Ausführung zu er-
greifen. -- Das Licht auf ihrem Zimmer er-
losch nicht, er wähnte den Pagen noch immer
an ihrer Seite, harrte bebend vor Wuth und
Liebe bis zur Mitternachtsstunde, dann schlich
er, seiner nicht mehr mächtig, ein halb Wahn-
sinniger, hervor bis zur Thür des Hauses und
fand sie nur angelehnt. Mit ungewissen wan-
kenden Schritten ging er vor sich hin, und
kam vor Ines Zimmer -- ein rascher Druck,
und es war geöffnet.

Da lag die Blasse wieder wie an dem Sar-
kophage, das Nachtgewand war nur leicht um

Landgute, und blikte nach Ines Fenſtern, doch
wenn der Morgen wieder grauete, entfernte
er ſich wild und grollend. Einmal ſah er Ines
und den Pagen beim Lichtſcheine, und ſeine
Phantaſie ſchuf ein Maͤhrchen, wie Ines ihn,
des Juͤnglings wegen, zuruͤckgeſezt habe, und
nur dieſem die ſuͤßen Stunden der Nacht heim-
lich weihe; da ſchwur er in wilder Eiferſucht
dem ſchoͤnen Knaben den Tod, und beſchloß
die erſte Gelegenheit zur Ausfuͤhrung zu er-
greifen. — Das Licht auf ihrem Zimmer er-
loſch nicht, er waͤhnte den Pagen noch immer
an ihrer Seite, harrte bebend vor Wuth und
Liebe bis zur Mitternachtsſtunde, dann ſchlich
er, ſeiner nicht mehr maͤchtig, ein halb Wahn-
ſinniger, hervor bis zur Thuͤr des Hauſes und
fand ſie nur angelehnt. Mit ungewiſſen wan-
kenden Schritten ging er vor ſich hin, und
kam vor Ines Zimmer — ein raſcher Druck,
und es war geoͤffnet.

Da lag die Blaſſe wieder wie an dem Sar-
kophage, das Nachtgewand war nur leicht um

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0091" n="89"/>
Landgute, und blikte nach Ines Fen&#x017F;tern, doch<lb/>
wenn der Morgen wieder grauete, entfernte<lb/>
er &#x017F;ich wild und grollend. Einmal &#x017F;ah er Ines<lb/>
und den Pagen beim Licht&#x017F;cheine, und &#x017F;eine<lb/>
Phanta&#x017F;ie &#x017F;chuf ein Ma&#x0364;hrchen, wie Ines ihn,<lb/>
des Ju&#x0364;nglings wegen, zuru&#x0364;ckge&#x017F;ezt habe, und<lb/>
nur die&#x017F;em die &#x017F;u&#x0364;ßen Stunden der Nacht heim-<lb/>
lich weihe; da &#x017F;chwur er in wilder Eifer&#x017F;ucht<lb/>
dem &#x017F;cho&#x0364;nen Knaben den Tod, und be&#x017F;chloß<lb/>
die er&#x017F;te Gelegenheit zur Ausfu&#x0364;hrung zu er-<lb/>
greifen. &#x2014; Das Licht auf ihrem Zimmer er-<lb/>
lo&#x017F;ch nicht, er wa&#x0364;hnte den Pagen noch immer<lb/>
an ihrer Seite, harrte bebend vor Wuth und<lb/>
Liebe bis zur Mitternachts&#x017F;tunde, dann &#x017F;chlich<lb/>
er, &#x017F;einer nicht mehr ma&#x0364;chtig, ein halb Wahn-<lb/>
&#x017F;inniger, hervor bis zur Thu&#x0364;r des Hau&#x017F;es und<lb/>
fand &#x017F;ie nur angelehnt. Mit ungewi&#x017F;&#x017F;en wan-<lb/>
kenden Schritten ging er vor &#x017F;ich hin, und<lb/>
kam vor Ines Zimmer &#x2014; ein ra&#x017F;cher Druck,<lb/>
und es war geo&#x0364;ffnet.</p><lb/>
        <p>Da lag die Bla&#x017F;&#x017F;e wieder wie an dem Sar-<lb/>
kophage, das Nachtgewand war nur leicht um<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0091] Landgute, und blikte nach Ines Fenſtern, doch wenn der Morgen wieder grauete, entfernte er ſich wild und grollend. Einmal ſah er Ines und den Pagen beim Lichtſcheine, und ſeine Phantaſie ſchuf ein Maͤhrchen, wie Ines ihn, des Juͤnglings wegen, zuruͤckgeſezt habe, und nur dieſem die ſuͤßen Stunden der Nacht heim- lich weihe; da ſchwur er in wilder Eiferſucht dem ſchoͤnen Knaben den Tod, und beſchloß die erſte Gelegenheit zur Ausfuͤhrung zu er- greifen. — Das Licht auf ihrem Zimmer er- loſch nicht, er waͤhnte den Pagen noch immer an ihrer Seite, harrte bebend vor Wuth und Liebe bis zur Mitternachtsſtunde, dann ſchlich er, ſeiner nicht mehr maͤchtig, ein halb Wahn- ſinniger, hervor bis zur Thuͤr des Hauſes und fand ſie nur angelehnt. Mit ungewiſſen wan- kenden Schritten ging er vor ſich hin, und kam vor Ines Zimmer — ein raſcher Druck, und es war geoͤffnet. Da lag die Blaſſe wieder wie an dem Sar- kophage, das Nachtgewand war nur leicht um

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/91
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/91>, abgerufen am 08.05.2024.