Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

Schattierungen, als der Gesang. Nur
der declamirt gut, dem diese doppelte Tonbil-
dung gelingt. Wer Dichter werden will,
kann von dem guten Declamator mehr als
Eine Sache lernen. 1 Die Wirkungen
des Wolklangs.
Sogar rauhe Töne gehö-
ren, wenn sie der Jnhalt erfodert, mit zum
Wolklange. Cynthius zupfe dich beym
Ohre, wenn du einen Trieb bey dir fühlst,
diese Anmerkung zu misbrauchen. 2 Die
Wirkungen des Silbenmaasses.
Aber
hier hat mancher sonst vortrefliche Decla-
mator noch selbst zu lernen. Da es so
wenig ist, was er zu lernen hat, so ist es
merkwürdig, daß er es noch nicht weiß.
Wir müssen bey ihm voraus sezen, daß er
seine Sprache und also auch ihr Tonmaaß
kenne. Dieß also vorausgesezt, so hat er
gar nichts weiter zu thun, als die Längen
genung und recht hören zu lassen.
Recht
läst er aber die Längen nicht eher hören, als
bis der Zuhörer die Verschiedenheiten der-
selben, die durch die Dehnung, und, im
abgebrochnen Tonhalte, durch die Zahl
und Beschaffenheit der Mitlaute, entstehn,
bemerken kann. Geschieht dieses, so erfolgt
alles übrige von selbst, und der Rhythmus
fängt auf einmal an zu tanzen. Mehr oder

we-

Schattierungen, als der Geſang. Nur
der declamirt gut, dem dieſe doppelte Tonbil-
dung gelingt. Wer Dichter werden will,
kann von dem guten Declamator mehr als
Eine Sache lernen. 1 Die Wirkungen
des Wolklangs.
Sogar rauhe Toͤne gehoͤ-
ren, wenn ſie der Jnhalt erfodert, mit zum
Wolklange. Cynthius zupfe dich beym
Ohre, wenn du einen Trieb bey dir fuͤhlſt,
dieſe Anmerkung zu misbrauchen. 2 Die
Wirkungen des Silbenmaaſſes.
Aber
hier hat mancher ſonſt vortrefliche Decla-
mator noch ſelbſt zu lernen. Da es ſo
wenig iſt, was er zu lernen hat, ſo iſt es
merkwuͤrdig, daß er es noch nicht weiß.
Wir muͤſſen bey ihm voraus ſezen, daß er
ſeine Sprache und alſo auch ihr Tonmaaß
kenne. Dieß alſo vorausgeſezt, ſo hat er
gar nichts weiter zu thun, als die Laͤngen
genung und recht hoͤren zu laſſen.
Recht
laͤſt er aber die Laͤngen nicht eher hoͤren, als
bis der Zuhoͤrer die Verſchiedenheiten der-
ſelben, die durch die Dehnung, und, im
abgebrochnen Tonhalte, durch die Zahl
und Beſchaffenheit der Mitlaute, entſtehn,
bemerken kann. Geſchieht dieſes, ſo erfolgt
alles uͤbrige von ſelbſt, und der Rhythmus
faͤngt auf einmal an zu tanzen. Mehr oder

we-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0214" n="138"/><hi rendition="#fr">Schattierungen, als der Ge&#x017F;ang.</hi> Nur<lb/>
der declamirt gut, dem die&#x017F;e doppelte Tonbil-<lb/>
dung gelingt. Wer Dichter werden will,<lb/>
kann von dem guten Declamator mehr als<lb/>
Eine Sache lernen. 1 <hi rendition="#fr">Die Wirkungen<lb/>
des Wolklangs.</hi> Sogar <hi rendition="#fr">rauhe</hi> To&#x0364;ne geho&#x0364;-<lb/>
ren, wenn &#x017F;ie der Jnhalt erfodert, mit zum<lb/>
Wolklange. Cynthius zupfe dich beym<lb/>
Ohre, wenn du einen Trieb bey dir fu&#x0364;hl&#x017F;t,<lb/>
die&#x017F;e Anmerkung zu misbrauchen. 2 <hi rendition="#fr">Die<lb/>
Wirkungen des Silbenmaa&#x017F;&#x017F;es.</hi> Aber<lb/>
hier hat mancher &#x017F;on&#x017F;t vortrefliche Decla-<lb/>
mator noch &#x017F;elb&#x017F;t zu lernen. Da es &#x017F;o<lb/>
wenig i&#x017F;t, was er zu lernen hat, &#x017F;o i&#x017F;t es<lb/>
merkwu&#x0364;rdig, daß er es noch nicht weiß.<lb/>
Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en bey ihm voraus &#x017F;ezen, daß er<lb/>
&#x017F;eine Sprache und al&#x017F;o auch ihr Tonmaaß<lb/>
kenne. Dieß al&#x017F;o vorausge&#x017F;ezt, &#x017F;o hat er<lb/>
gar nichts weiter zu thun, als die <hi rendition="#fr">La&#x0364;ngen<lb/>
genung und recht ho&#x0364;ren zu la&#x017F;&#x017F;en.</hi> Recht<lb/>
la&#x0364;&#x017F;t er aber die La&#x0364;ngen nicht eher ho&#x0364;ren, als<lb/>
bis der Zuho&#x0364;rer die <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;chiedenheiten</hi> der-<lb/>
&#x017F;elben, die durch die <hi rendition="#fr">Dehnung,</hi> und, im<lb/><hi rendition="#fr">abgebrochnen Tonhalte,</hi> durch die Zahl<lb/>
und Be&#x017F;chaffenheit der Mitlaute, ent&#x017F;tehn,<lb/>
bemerken kann. Ge&#x017F;chieht die&#x017F;es, &#x017F;o erfolgt<lb/>
alles u&#x0364;brige von &#x017F;elb&#x017F;t, und der Rhythmus<lb/>
fa&#x0364;ngt auf einmal an zu tanzen. Mehr oder<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">we-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0214] Schattierungen, als der Geſang. Nur der declamirt gut, dem dieſe doppelte Tonbil- dung gelingt. Wer Dichter werden will, kann von dem guten Declamator mehr als Eine Sache lernen. 1 Die Wirkungen des Wolklangs. Sogar rauhe Toͤne gehoͤ- ren, wenn ſie der Jnhalt erfodert, mit zum Wolklange. Cynthius zupfe dich beym Ohre, wenn du einen Trieb bey dir fuͤhlſt, dieſe Anmerkung zu misbrauchen. 2 Die Wirkungen des Silbenmaaſſes. Aber hier hat mancher ſonſt vortrefliche Decla- mator noch ſelbſt zu lernen. Da es ſo wenig iſt, was er zu lernen hat, ſo iſt es merkwuͤrdig, daß er es noch nicht weiß. Wir muͤſſen bey ihm voraus ſezen, daß er ſeine Sprache und alſo auch ihr Tonmaaß kenne. Dieß alſo vorausgeſezt, ſo hat er gar nichts weiter zu thun, als die Laͤngen genung und recht hoͤren zu laſſen. Recht laͤſt er aber die Laͤngen nicht eher hoͤren, als bis der Zuhoͤrer die Verſchiedenheiten der- ſelben, die durch die Dehnung, und, im abgebrochnen Tonhalte, durch die Zahl und Beſchaffenheit der Mitlaute, entſtehn, bemerken kann. Geſchieht dieſes, ſo erfolgt alles uͤbrige von ſelbſt, und der Rhythmus faͤngt auf einmal an zu tanzen. Mehr oder we-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/214
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/214>, abgerufen am 27.04.2024.