Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Jst mit Schande bedeckt! ich bin ein gerichteter Sünder!
Kenne sie nicht die Hoheit der Seele, die jene Gerechten
Ueber den Staub der Erd' erhub; und dennoch empfind' ich's,
Daß der Menschheit Erniedrung, vor allen Gebohrnen der Erde,
Jhr die Unheiligsten seyd, so lange die Sünde geherrscht hat,
Und sein Gericht das Gewissen nur noch in Stillem gehalten,
Welches an diesem Tage der Rache nicht mehr betäubt wird!

Dieses sagt' er. Es hatte sich lange mit tödtendem Schrecken
Seraph Eloa gerüstet. Die Rache glüht' in dem Aug' ihm!
Sein geöfnetes Buch hieng durch die Himmel herunter,
Und er rollt's aus einander; da rauscht' es Rauschen des Sturmes!
Also sprach er: Es ist mit keinem Maaße gemessen
Euer Elend! nicht Zahlen zählen's! ihm fehlen die Namen!
Weh euch, ihr seyd geschaffen! Weh, und Verderben ohn' Ende
Euren Seelen! Jhr habt der Menschheit heiligste Würde
Tief herunter entweiht. Sie hätten Engel mit Jauchzen,
Und mit weinendem Dank, von der Könige König empfangen!
O, ihr standet erhaben! um eure Throne versammelt,
Stand das Menschengeschlecht! Weit war der Schauplatz, der
Lohn groß,
Menschlich und edel zu seyn! die Himmel sahn euch. Es wandten
Alle Himmel ihr Angesicht weg, wenn sie sahn, was ihr thatet!
Wenn sie sahen den mordenden Krieg; (des Menschengeschlechtes
Brandmaal alle Jahrhunderte durch! der untersten Hölle
Lautestes, schrecklichstes Hohngelächter!) den ewigen Schlummer
Eurer Augen, daß neben euch drückte der kriechende Liebling!
Keine Tugend belohnt, und keine Thräne getrocknet!
Geh

Der Meſſias.
Jſt mit Schande bedeckt! ich bin ein gerichteter Suͤnder!
Kenne ſie nicht die Hoheit der Seele, die jene Gerechten
Ueber den Staub der Erd’ erhub; und dennoch empfind’ ich’s,
Daß der Menſchheit Erniedrung, vor allen Gebohrnen der Erde,
Jhr die Unheiligſten ſeyd, ſo lange die Suͤnde geherrſcht hat,
Und ſein Gericht das Gewiſſen nur noch in Stillem gehalten,
Welches an dieſem Tage der Rache nicht mehr betaͤubt wird!

Dieſes ſagt’ er. Es hatte ſich lange mit toͤdtendem Schrecken
Seraph Eloa geruͤſtet. Die Rache gluͤht’ in dem Aug’ ihm!
Sein geoͤfnetes Buch hieng durch die Himmel herunter,
Und er rollt’s aus einander; da rauſcht’ es Rauſchen des Sturmes!
Alſo ſprach er: Es iſt mit keinem Maaße gemeſſen
Euer Elend! nicht Zahlen zaͤhlen’s! ihm fehlen die Namen!
Weh euch, ihr ſeyd geſchaffen! Weh, und Verderben ohn’ Ende
Euren Seelen! Jhr habt der Menſchheit heiligſte Wuͤrde
Tief herunter entweiht. Sie haͤtten Engel mit Jauchzen,
Und mit weinendem Dank, von der Koͤnige Koͤnig empfangen!
O, ihr ſtandet erhaben! um eure Throne verſammelt,
Stand das Menſchengeſchlecht! Weit war der Schauplatz, der
Lohn groß,
Menſchlich und edel zu ſeyn! die Himmel ſahn euch. Es wandten
Alle Himmel ihr Angeſicht weg, wenn ſie ſahn, was ihr thatet!
Wenn ſie ſahen den mordenden Krieg; (des Menſchengeſchlechtes
Brandmaal alle Jahrhunderte durch! der unterſten Hoͤlle
Lauteſtes, ſchrecklichſtes Hohngelaͤchter!) den ewigen Schlummer
Eurer Augen, daß neben euch druͤckte der kriechende Liebling!
Keine Tugend belohnt, und keine Thraͤne getrocknet!
Geh
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="46">
              <pb facs="#f0112" n="112"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
              <l>J&#x017F;t mit Schande bedeckt! ich bin ein gerichteter Su&#x0364;nder!</l><lb/>
              <l>Kenne &#x017F;ie nicht die Hoheit der Seele, die jene Gerechten</l><lb/>
              <l>Ueber den Staub der Erd&#x2019; erhub; und dennoch empfind&#x2019; ich&#x2019;s,</l><lb/>
              <l>Daß der Men&#x017F;chheit Erniedrung, vor allen Gebohrnen der Erde,</l><lb/>
              <l>Jhr die Unheilig&#x017F;ten &#x017F;eyd, &#x017F;o lange die Su&#x0364;nde geherr&#x017F;cht hat,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ein Gericht das Gewi&#x017F;&#x017F;en nur noch in Stillem gehalten,</l><lb/>
              <l>Welches an die&#x017F;em Tage der Rache nicht mehr beta&#x0364;ubt wird!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="47">
              <l>Die&#x017F;es &#x017F;agt&#x2019; er. Es hatte &#x017F;ich lange mit to&#x0364;dtendem Schrecken</l><lb/>
              <l>Seraph Eloa geru&#x0364;&#x017F;tet. Die Rache glu&#x0364;ht&#x2019; in dem Aug&#x2019; ihm!</l><lb/>
              <l>Sein geo&#x0364;fnetes Buch hieng durch die Himmel herunter,</l><lb/>
              <l>Und er rollt&#x2019;s aus einander; da rau&#x017F;cht&#x2019; es Rau&#x017F;chen des Sturmes!</l><lb/>
              <l>Al&#x017F;o &#x017F;prach er: Es i&#x017F;t mit keinem Maaße geme&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Euer Elend! nicht Zahlen za&#x0364;hlen&#x2019;s! ihm fehlen die Namen!</l><lb/>
              <l>Weh euch, ihr &#x017F;eyd ge&#x017F;chaffen! Weh, und Verderben ohn&#x2019; Ende</l><lb/>
              <l>Euren Seelen! Jhr habt der Men&#x017F;chheit heilig&#x017F;te Wu&#x0364;rde</l><lb/>
              <l>Tief herunter entweiht. Sie ha&#x0364;tten Engel mit Jauchzen,</l><lb/>
              <l>Und mit weinendem Dank, von der Ko&#x0364;nige Ko&#x0364;nig empfangen!</l><lb/>
              <l>O, ihr &#x017F;tandet erhaben! um eure Throne ver&#x017F;ammelt,</l><lb/>
              <l>Stand das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht! Weit war der Schauplatz, der</l><lb/>
              <l> <hi rendition="#et">Lohn groß,</hi> </l><lb/>
              <l>Men&#x017F;chlich und edel zu &#x017F;eyn! die Himmel &#x017F;ahn euch. Es wandten</l><lb/>
              <l>Alle Himmel ihr Ange&#x017F;icht weg, wenn &#x017F;ie &#x017F;ahn, was ihr thatet!</l><lb/>
              <l>Wenn &#x017F;ie &#x017F;ahen den mordenden Krieg; (des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechtes</l><lb/>
              <l>Brandmaal alle Jahrhunderte durch! der unter&#x017F;ten Ho&#x0364;lle</l><lb/>
              <l>Laute&#x017F;tes, &#x017F;chrecklich&#x017F;tes Hohngela&#x0364;chter!) den ewigen Schlummer</l><lb/>
              <l>Eurer Augen, daß neben euch dru&#x0364;ckte der kriechende Liebling!</l><lb/>
              <l>Keine Tugend belohnt, und keine Thra&#x0364;ne getrocknet!</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Geh</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0112] Der Meſſias. Jſt mit Schande bedeckt! ich bin ein gerichteter Suͤnder! Kenne ſie nicht die Hoheit der Seele, die jene Gerechten Ueber den Staub der Erd’ erhub; und dennoch empfind’ ich’s, Daß der Menſchheit Erniedrung, vor allen Gebohrnen der Erde, Jhr die Unheiligſten ſeyd, ſo lange die Suͤnde geherrſcht hat, Und ſein Gericht das Gewiſſen nur noch in Stillem gehalten, Welches an dieſem Tage der Rache nicht mehr betaͤubt wird! Dieſes ſagt’ er. Es hatte ſich lange mit toͤdtendem Schrecken Seraph Eloa geruͤſtet. Die Rache gluͤht’ in dem Aug’ ihm! Sein geoͤfnetes Buch hieng durch die Himmel herunter, Und er rollt’s aus einander; da rauſcht’ es Rauſchen des Sturmes! Alſo ſprach er: Es iſt mit keinem Maaße gemeſſen Euer Elend! nicht Zahlen zaͤhlen’s! ihm fehlen die Namen! Weh euch, ihr ſeyd geſchaffen! Weh, und Verderben ohn’ Ende Euren Seelen! Jhr habt der Menſchheit heiligſte Wuͤrde Tief herunter entweiht. Sie haͤtten Engel mit Jauchzen, Und mit weinendem Dank, von der Koͤnige Koͤnig empfangen! O, ihr ſtandet erhaben! um eure Throne verſammelt, Stand das Menſchengeſchlecht! Weit war der Schauplatz, der Lohn groß, Menſchlich und edel zu ſeyn! die Himmel ſahn euch. Es wandten Alle Himmel ihr Angeſicht weg, wenn ſie ſahn, was ihr thatet! Wenn ſie ſahen den mordenden Krieg; (des Menſchengeſchlechtes Brandmaal alle Jahrhunderte durch! der unterſten Hoͤlle Lauteſtes, ſchrecklichſtes Hohngelaͤchter!) den ewigen Schlummer Eurer Augen, daß neben euch druͤckte der kriechende Liebling! Keine Tugend belohnt, und keine Thraͤne getrocknet! Geh

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/112
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/112>, abgerufen am 26.04.2024.