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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

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Siebzehnter Gesang.
Unter den Felsenhängen, wo etliche Todte mit dumpfen
Jezo schnellem Geklirr diamantne Ketten bewegten.
Erst erschüttert' Erstaunen, alsdann entflammtes Verlangen,
Endlich enthüllt ihr Schicksal zu sehn! die Versammlung der Todten.
Nur enthüllt! so dürsteten einige, welches neue
Schicksal auch hinter der Nacht, die sie jezt umgäbe, sich hätte
Aus den Tiefen erhoben des unerforschlichen Richters.

Gabriel blies die Posaune: Wir haben von seiner Geburt an,
Euch den Versöhner verkündigt. Er forschet Alles, er weiß es,
Wie ihr, seitdem bis jezo, von Gott, und von Jhm, gedacht habt!
Nicht, wie ihr nun, da ihr Jhn in seiner Herrlichkeit sehet;
Aber wie ihr, zu der Zeit der Verkündigung, dachtet und wünschtet,
Wird euch der Allgerechte, und Allbarmherzige richten.
Jezo kamen die Engel, die einst des Versöhnenden Boten
An die Geister waren, herab, und standen vor Christus.
Heller vom Tage, der war vor dem Göttlichen aufgegangen,
Standen die Cherubim da, das Entsetzen Vieler, und Vieler
Wonnanblick. Jn furchtbarer Schöne begannen die Engel
Aufzusteigen, zu schweben, so weit der Tiefe Gefilde
Sich ausbreiteten unter den Todten, und nieder zu schauen.
Nahe war die Entscheidung herzu gekommen; und Graben
Vor dem erschütternden Donnerschlage befiel die Versammlung.
Stiller wurde die Stille; bald aber erscholl's, in den weiten
Trauergefilden, hier aus Einem Gedräng, aus Einem
Dort, von Rufen, von schnellem, gebrochnem, flehendem Rufen,
Um Erlösung! .. Der Allbarmherzige, Allgerechte
Hörte, mit diesem Rufen, was sonst kein Unsterblicher |hörte,
Selbst

Siebzehnter Geſang.
Unter den Felſenhaͤngen, wo etliche Todte mit dumpfen
Jezo ſchnellem Geklirr diamantne Ketten bewegten.
Erſt erſchuͤttert’ Erſtaunen, alsdann entflammtes Verlangen,
Endlich enthuͤllt ihr Schickſal zu ſehn! die Verſammlung der Todten.
Nur enthuͤllt! ſo duͤrſteten einige, welches neue
Schickſal auch hinter der Nacht, die ſie jezt umgaͤbe, ſich haͤtte
Aus den Tiefen erhoben des unerforſchlichen Richters.

Gabriel blies die Poſaune: Wir haben von ſeiner Geburt an,
Euch den Verſoͤhner verkuͤndigt. Er forſchet Alles, er weiß es,
Wie ihr, ſeitdem bis jezo, von Gott, und von Jhm, gedacht habt!
Nicht, wie ihr nun, da ihr Jhn in ſeiner Herrlichkeit ſehet;
Aber wie ihr, zu der Zeit der Verkuͤndigung, dachtet und wuͤnſchtet,
Wird euch der Allgerechte, und Allbarmherzige richten.
Jezo kamen die Engel, die einſt des Verſoͤhnenden Boten
An die Geiſter waren, herab, und ſtanden vor Chriſtus.
Heller vom Tage, der war vor dem Goͤttlichen aufgegangen,
Standen die Cherubim da, das Entſetzen Vieler, und Vieler
Wonnanblick. Jn furchtbarer Schoͤne begannen die Engel
Aufzuſteigen, zu ſchweben, ſo weit der Tiefe Gefilde
Sich ausbreiteten unter den Todten, und nieder zu ſchauen.
Nahe war die Entſcheidung herzu gekommen; und Graben
Vor dem erſchuͤtternden Donnerſchlage befiel die Verſammlung.
Stiller wurde die Stille; bald aber erſcholl’s, in den weiten
Trauergefilden, hier aus Einem Gedraͤng, aus Einem
Dort, von Rufen, von ſchnellem, gebrochnem, flehendem Rufen,
Um Erloͤſung! .. Der Allbarmherzige, Allgerechte
Hoͤrte, mit dieſem Rufen, was ſonſt kein Unſterblicher |hoͤrte,
Selbſt
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[59/0059] Siebzehnter Geſang. Unter den Felſenhaͤngen, wo etliche Todte mit dumpfen Jezo ſchnellem Geklirr diamantne Ketten bewegten. Erſt erſchuͤttert’ Erſtaunen, alsdann entflammtes Verlangen, Endlich enthuͤllt ihr Schickſal zu ſehn! die Verſammlung der Todten. Nur enthuͤllt! ſo duͤrſteten einige, welches neue Schickſal auch hinter der Nacht, die ſie jezt umgaͤbe, ſich haͤtte Aus den Tiefen erhoben des unerforſchlichen Richters. Gabriel blies die Poſaune: Wir haben von ſeiner Geburt an, Euch den Verſoͤhner verkuͤndigt. Er forſchet Alles, er weiß es, Wie ihr, ſeitdem bis jezo, von Gott, und von Jhm, gedacht habt! Nicht, wie ihr nun, da ihr Jhn in ſeiner Herrlichkeit ſehet; Aber wie ihr, zu der Zeit der Verkuͤndigung, dachtet und wuͤnſchtet, Wird euch der Allgerechte, und Allbarmherzige richten. Jezo kamen die Engel, die einſt des Verſoͤhnenden Boten An die Geiſter waren, herab, und ſtanden vor Chriſtus. Heller vom Tage, der war vor dem Goͤttlichen aufgegangen, Standen die Cherubim da, das Entſetzen Vieler, und Vieler Wonnanblick. Jn furchtbarer Schoͤne begannen die Engel Aufzuſteigen, zu ſchweben, ſo weit der Tiefe Gefilde Sich ausbreiteten unter den Todten, und nieder zu ſchauen. Nahe war die Entſcheidung herzu gekommen; und Graben Vor dem erſchuͤtternden Donnerſchlage befiel die Verſammlung. Stiller wurde die Stille; bald aber erſcholl’s, in den weiten Trauergefilden, hier aus Einem Gedraͤng, aus Einem Dort, von Rufen, von ſchnellem, gebrochnem, flehendem Rufen, Um Erloͤſung! .. Der Allbarmherzige, Allgerechte Hoͤrte, mit dieſem Rufen, was ſonſt kein Unſterblicher |hoͤrte, Selbſt

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/59>, abgerufen am 02.05.2024.