Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Messias.
Schatten heller, im Bild' enthülltere Züge des Urbilds;
Fand ihn wieder am Kreuz, den ich im Himmel zuvor sah,
Sah ihn gern so, und wußte, daß, der sein Haupt jezt neigte,
Da er entschlief, dem Grabe gebot, ihm Todte zu senden!
Habt ihr also geforscht? seyd ihr diese Wege gewandelt,
Als ihr, die Tochter Gottes, die freye Wahrheit zu suchen,
Stolz vorgabt? O nennet den Namen, ihr seyd es nicht würdig,
Jhren festlichen Namen nicht mehr, damit sie nicht eilend
Wecke den h mmlischen Zorn, und mit Allmachtsblick euch vertilge!
Helden würgten das Menschengeschlecht; und Priester der Christen
Christen bey Altären: allein am Altar, auf dem Schlachtfeld,
Floß aus den Wunden nur Blut! Jhr habt unsterbliche Seelen
Durch geheimes Würgen vertilgt! Da floß aus den Wunden
Zwar der Tod nicht, welcher zum Leben die Menschen ins Grab warf;
Aber ewiger Tod! Jhr habt die schäumenden Becher
Eurer Gifte, die Wollust kränzt' und Lache des Hohnes,
Unter die Leute getragen, noch öfter in die Paläste,
Daß von dem Zaubertrunke der goldne Tyrann hintaumelnd
Tod, und Menschlichkeit leichter vergaß, und über den Gräbern
Jenes Gericht, das nun sein tausendäugiges Antlitz
Gegen alle Thränen gewandt, die hangenden Wolken
Alle gen Himmel empor gehoben, und Jesus enthüllt hat!

Jezt ward Still' in den Himmeln; bald aber traten die Väter
Von dem erwählten Geschlecht in glänzende Kreise zusammen,
Auch viel Zeugen aus denen, die noch von diesem Geschlechte
Vor dem Abend des Weltgerichts zu dem Sohne sich wandten.
Und wie Wolkenheere die Flamm' in dem Schooße, so wallten
Furchtbar

Der Meſſias.
Schatten heller, im Bild’ enthuͤlltere Zuͤge des Urbilds;
Fand ihn wieder am Kreuz, den ich im Himmel zuvor ſah,
Sah ihn gern ſo, und wußte, daß, der ſein Haupt jezt neigte,
Da er entſchlief, dem Grabe gebot, ihm Todte zu ſenden!
Habt ihr alſo geforſcht? ſeyd ihr dieſe Wege gewandelt,
Als ihr, die Tochter Gottes, die freye Wahrheit zu ſuchen,
Stolz vorgabt? O nennet den Namen, ihr ſeyd es nicht wuͤrdig,
Jhren feſtlichen Namen nicht mehr, damit ſie nicht eilend
Wecke den h mmliſchen Zorn, und mit Allmachtsblick euch vertilge!
Helden wuͤrgten das Menſchengeſchlecht; und Prieſter der Chriſten
Chriſten bey Altaͤren: allein am Altar, auf dem Schlachtfeld,
Floß aus den Wunden nur Blut! Jhr habt unſterbliche Seelen
Durch geheimes Wuͤrgen vertilgt! Da floß aus den Wunden
Zwar der Tod nicht, welcher zum Leben die Menſchen ins Grab warf;
Aber ewiger Tod! Jhr habt die ſchaͤumenden Becher
Eurer Gifte, die Wolluſt kraͤnzt’ und Lache des Hohnes,
Unter die Leute getragen, noch oͤfter in die Palaͤſte,
Daß von dem Zaubertrunke der goldne Tyrann hintaumelnd
Tod, und Menſchlichkeit leichter vergaß, und uͤber den Graͤbern
Jenes Gericht, das nun ſein tauſendaͤugiges Antlitz
Gegen alle Thraͤnen gewandt, die hangenden Wolken
Alle gen Himmel empor gehoben, und Jeſus enthuͤllt hat!

Jezt ward Still’ in den Himmeln; bald aber traten die Vaͤter
Von dem erwaͤhlten Geſchlecht in glaͤnzende Kreiſe zuſammen,
Auch viel Zeugen aus denen, die noch von dieſem Geſchlechte
Vor dem Abend des Weltgerichts zu dem Sohne ſich wandten.
Und wie Wolkenheere die Flamm’ in dem Schooße, ſo wallten
Furchtbar
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="21">
              <pb facs="#f0096" n="96"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Me&#x017F;&#x017F;ias.</hi> </fw><lb/>
              <l>Schatten heller, im Bild&#x2019; enthu&#x0364;lltere Zu&#x0364;ge des Urbilds;</l><lb/>
              <l>Fand ihn wieder am Kreuz, den ich im Himmel zuvor &#x017F;ah,</l><lb/>
              <l>Sah ihn gern &#x017F;o, und wußte, daß, der &#x017F;ein Haupt jezt neigte,</l><lb/>
              <l>Da er ent&#x017F;chlief, dem Grabe gebot, ihm Todte zu &#x017F;enden!</l><lb/>
              <l>Habt ihr al&#x017F;o gefor&#x017F;cht? &#x017F;eyd ihr die&#x017F;e Wege gewandelt,</l><lb/>
              <l>Als ihr, die Tochter Gottes, die freye Wahrheit zu &#x017F;uchen,</l><lb/>
              <l>Stolz vorgabt? O nennet den Namen, ihr &#x017F;eyd es nicht wu&#x0364;rdig,</l><lb/>
              <l>Jhren fe&#x017F;tlichen Namen nicht mehr, damit &#x017F;ie nicht eilend</l><lb/>
              <l>Wecke den h mmli&#x017F;chen Zorn, und mit Allmachtsblick euch vertilge!</l><lb/>
              <l>Helden wu&#x0364;rgten das Men&#x017F;chenge&#x017F;chlecht; und Prie&#x017F;ter der Chri&#x017F;ten</l><lb/>
              <l>Chri&#x017F;ten bey Alta&#x0364;ren: allein am Altar, auf dem Schlachtfeld,</l><lb/>
              <l>Floß aus den Wunden nur Blut! Jhr habt un&#x017F;terbliche Seelen</l><lb/>
              <l>Durch geheimes Wu&#x0364;rgen vertilgt! Da floß aus den Wunden</l><lb/>
              <l>Zwar der Tod nicht, welcher zum Leben die Men&#x017F;chen ins Grab warf;</l><lb/>
              <l>Aber ewiger Tod! Jhr habt die &#x017F;cha&#x0364;umenden Becher</l><lb/>
              <l>Eurer Gifte, die Wollu&#x017F;t kra&#x0364;nzt&#x2019; und Lache des Hohnes,</l><lb/>
              <l>Unter die Leute getragen, noch o&#x0364;fter in die Pala&#x0364;&#x017F;te,</l><lb/>
              <l>Daß von dem Zaubertrunke der goldne Tyrann hintaumelnd</l><lb/>
              <l>Tod, und Men&#x017F;chlichkeit leichter vergaß, und u&#x0364;ber den Gra&#x0364;bern</l><lb/>
              <l>Jenes Gericht, das nun &#x017F;ein tau&#x017F;enda&#x0364;ugiges Antlitz</l><lb/>
              <l>Gegen alle Thra&#x0364;nen gewandt, die hangenden Wolken</l><lb/>
              <l>Alle gen Himmel empor gehoben, und Je&#x017F;us enthu&#x0364;llt hat!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="22">
              <l>Jezt ward Still&#x2019; in den Himmeln; bald aber traten die Va&#x0364;ter</l><lb/>
              <l>Von dem erwa&#x0364;hlten Ge&#x017F;chlecht in gla&#x0364;nzende Krei&#x017F;e zu&#x017F;ammen,</l><lb/>
              <l>Auch viel Zeugen aus denen, die noch von die&#x017F;em Ge&#x017F;chlechte</l><lb/>
              <l>Vor dem Abend des Weltgerichts zu dem Sohne &#x017F;ich wandten.</l><lb/>
              <l>Und wie Wolkenheere die Flamm&#x2019; in dem Schooße, &#x017F;o wallten</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Furchtbar</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0096] Der Meſſias. Schatten heller, im Bild’ enthuͤlltere Zuͤge des Urbilds; Fand ihn wieder am Kreuz, den ich im Himmel zuvor ſah, Sah ihn gern ſo, und wußte, daß, der ſein Haupt jezt neigte, Da er entſchlief, dem Grabe gebot, ihm Todte zu ſenden! Habt ihr alſo geforſcht? ſeyd ihr dieſe Wege gewandelt, Als ihr, die Tochter Gottes, die freye Wahrheit zu ſuchen, Stolz vorgabt? O nennet den Namen, ihr ſeyd es nicht wuͤrdig, Jhren feſtlichen Namen nicht mehr, damit ſie nicht eilend Wecke den h mmliſchen Zorn, und mit Allmachtsblick euch vertilge! Helden wuͤrgten das Menſchengeſchlecht; und Prieſter der Chriſten Chriſten bey Altaͤren: allein am Altar, auf dem Schlachtfeld, Floß aus den Wunden nur Blut! Jhr habt unſterbliche Seelen Durch geheimes Wuͤrgen vertilgt! Da floß aus den Wunden Zwar der Tod nicht, welcher zum Leben die Menſchen ins Grab warf; Aber ewiger Tod! Jhr habt die ſchaͤumenden Becher Eurer Gifte, die Wolluſt kraͤnzt’ und Lache des Hohnes, Unter die Leute getragen, noch oͤfter in die Palaͤſte, Daß von dem Zaubertrunke der goldne Tyrann hintaumelnd Tod, und Menſchlichkeit leichter vergaß, und uͤber den Graͤbern Jenes Gericht, das nun ſein tauſendaͤugiges Antlitz Gegen alle Thraͤnen gewandt, die hangenden Wolken Alle gen Himmel empor gehoben, und Jeſus enthuͤllt hat! Jezt ward Still’ in den Himmeln; bald aber traten die Vaͤter Von dem erwaͤhlten Geſchlecht in glaͤnzende Kreiſe zuſammen, Auch viel Zeugen aus denen, die noch von dieſem Geſchlechte Vor dem Abend des Weltgerichts zu dem Sohne ſich wandten. Und wie Wolkenheere die Flamm’ in dem Schooße, ſo wallten Furchtbar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/96
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/96>, abgerufen am 02.05.2024.