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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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Leidenschaften, oder durch Schicksale, Lagen und
Verhältnisse so verwildert seyn könne, daß von
seinen natürlichen guten Anlagen fast keine Spur
mehr zu sehn ist. Hier aber kömmt es nicht
darauf an, wie jemand ein Schurke geworden,
sondern wie er, wenn er ein Solcher ist, müsse
behandelt werden. Ich beziehe mich dabey zu¬
erst auf das, was ich über den Umgang mit
Feinden und über das Betragen gegen Verirrte
und Gefallene gesagt habe, und füge nur noch
nachstehende Bemerkungen hinzu:

Daß man, wo möglich, den Umgang mit
schlechten Leuten fliehn müsse, wenn uns unsre
Ruhe und unsre moralische Vervollkommung
am Herzen liegt, das versteht sich wohl von
selbst. Wenn ein Mann von festen Grundsä¬
tzen auch nicht eigentlich schlecht durch sie wird, so
gewöhnt er sich doch nach und nach an den An¬
blick der Unthaten, und verliehrt jenen Abscheu
gegen alles was unedel ist, einen Abscheu, der
zuweilen einzig hinreicht, uns in Augenblicken
von Versuchung vor feineren Vergehungen zu be¬
wahren. Leider! aber zwingt uns unsre Lage
zuweilen, mitten unter Schurken zu leben, und

mit

Leidenſchaften, oder durch Schickſale, Lagen und
Verhaͤltniſſe ſo verwildert ſeyn koͤnne, daß von
ſeinen natuͤrlichen guten Anlagen faſt keine Spur
mehr zu ſehn iſt. Hier aber koͤmmt es nicht
darauf an, wie jemand ein Schurke geworden,
ſondern wie er, wenn er ein Solcher iſt, muͤſſe
behandelt werden. Ich beziehe mich dabey zu¬
erſt auf das, was ich uͤber den Umgang mit
Feinden und uͤber das Betragen gegen Verirrte
und Gefallene geſagt habe, und fuͤge nur noch
nachſtehende Bemerkungen hinzu:

Daß man, wo moͤglich, den Umgang mit
ſchlechten Leuten fliehn muͤſſe, wenn uns unſre
Ruhe und unſre moraliſche Vervollkommung
am Herzen liegt, das verſteht ſich wohl von
ſelbſt. Wenn ein Mann von feſten Grundſaͤ¬
tzen auch nicht eigentlich ſchlecht durch ſie wird, ſo
gewoͤhnt er ſich doch nach und nach an den An¬
blick der Unthaten, und verliehrt jenen Abſcheu
gegen alles was unedel iſt, einen Abſcheu, der
zuweilen einzig hinreicht, uns in Augenblicken
von Verſuchung vor feineren Vergehungen zu be¬
wahren. Leider! aber zwingt uns unſre Lage
zuweilen, mitten unter Schurken zu leben, und

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[238/0260] Leidenſchaften, oder durch Schickſale, Lagen und Verhaͤltniſſe ſo verwildert ſeyn koͤnne, daß von ſeinen natuͤrlichen guten Anlagen faſt keine Spur mehr zu ſehn iſt. Hier aber koͤmmt es nicht darauf an, wie jemand ein Schurke geworden, ſondern wie er, wenn er ein Solcher iſt, muͤſſe behandelt werden. Ich beziehe mich dabey zu¬ erſt auf das, was ich uͤber den Umgang mit Feinden und uͤber das Betragen gegen Verirrte und Gefallene geſagt habe, und fuͤge nur noch nachſtehende Bemerkungen hinzu: Daß man, wo moͤglich, den Umgang mit ſchlechten Leuten fliehn muͤſſe, wenn uns unſre Ruhe und unſre moraliſche Vervollkommung am Herzen liegt, das verſteht ſich wohl von ſelbſt. Wenn ein Mann von feſten Grundſaͤ¬ tzen auch nicht eigentlich ſchlecht durch ſie wird, ſo gewoͤhnt er ſich doch nach und nach an den An¬ blick der Unthaten, und verliehrt jenen Abſcheu gegen alles was unedel iſt, einen Abſcheu, der zuweilen einzig hinreicht, uns in Augenblicken von Verſuchung vor feineren Vergehungen zu be¬ wahren. Leider! aber zwingt uns unſre Lage zuweilen, mitten unter Schurken zu leben, und mit

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/260>, abgerufen am 27.04.2024.