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Koch, Robert: Untersuchung über die Aetiologie der Wundinfectionskrankheiten. Leipzig, 1878.

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Milzbrand.
Darmschleimhaut und die Iris von einem Kaninchen vor Augen
hatte. Bei einer 50 fachen Vergrösserung sieht ein solches Prä¬
parat beim ersten Anblick genau so aus, als wäre in die Gefässe
eine blaue Injectionsmasse gespritzt. Jede einzelne Darmzotte
ist von einem äusserst zierlichen blauen Netz durchzogen; in der
Magenschleimhaut ist das gesammte, die Labdrüsen umspinnende
Capillargefässnetz blaugefärbt; am Ciliarkörper ist jeder einzelne
Vorsprung injicirt und ein spiralförmig gewundenes, dunkelblau¬
gefärbtes Gefäss führt von da zur Iris und löst sich in ein mit
bogenförmigen, gegen den Irisrand gerichteten Ausbuchtungen ver¬
sehenes feines blaues Netz auf. Leber und Lunge, drüsige Appa¬
rate, wie Pankreas, Speicheldrüse sind von denselben vollständig
injicirten blauen Gefässnetzen durchzogen. Ueberhaupt ist kein
Organ, das nicht mehr oder weniger von der blaugefärbten Masse
injicirt ist. Im höchsten Grade auffallend ist aber dabei, dass
diese Injection nur das Capillargefässsystem betrifft. Alle grösseren
Gefässe, selbst schon die Arterie und Vene einer Darmzotte sieht
man entweder gar nicht gefärbt oder nur mit einem leichten
blauen Anflug, und auch das nur stellenweise, versehen. Bei einer
250 fachen Vergrösserung erkennt man schon, dass die Linien des
blauen Capillarnetzes aus vielen feinen Stäbchen zusammengesetzt
sind (Taf. III, Fig. 13) und bei 700 facher Vergrösserung (Taf. V,
Fig. 14) stellt sich heraus, dass die scheinbare Injection nichts
weiter ist, als die bekannten, in diesem Falle dunkelblau gefärbten
Milzbrandbacillen, die in ganz unglaublichen Mengen im gesammten
Capillargebiet abgelagert sind. In allen übrigen Gefässen, nament¬
lich in den grössten, sind die Bacillen oft nur vereinzelt, auf
längeren Strecken selbst ganz fehlend. Es gibt dies wieder ein
schlagendes Beispiel dafür, wie wenig maassgebend bei Infections¬
krankheiten die Untersuchung irgend einer beliebigen Blutprobe
ist; denn es ist gar nicht unmöglich, dass man aus dem Herzen
einen Tropfen Blut nimmt und keine Mikroorganismen darin
findet, die wenigen darin vorhandenen auch wohl übersieht und
dass trotzdem das Capillargefässsystem mit Parasiten überladen ist.

Indessen ist auch die Vertheilung der Milzbrandbacillen im
Capillargebiet keine ganz gleichmässige. Am spärlichsten sind
sie im Gehirn, in der Haut, in den Muskelcapillaren, in der Zunge.
In der Lunge, Leber, Niere, Milz, Darm, Magen sind sie dagegen
gleichmässig in der vorher geschilderten gewaltigen Menge ver¬
treten. Die Milz, die der Krankheit zum Namen verholfen hat,

Milzbrand.
Darmschleimhaut und die Iris von einem Kaninchen vor Augen
hatte. Bei einer 50 fachen Vergrösserung sieht ein solches Prä¬
parat beim ersten Anblick genau so aus, als wäre in die Gefässe
eine blaue Injectionsmasse gespritzt. Jede einzelne Darmzotte
ist von einem äusserst zierlichen blauen Netz durchzogen; in der
Magenschleimhaut ist das gesammte, die Labdrüsen umspinnende
Capillargefässnetz blaugefärbt; am Ciliarkörper ist jeder einzelne
Vorsprung injicirt und ein spiralförmig gewundenes, dunkelblau¬
gefärbtes Gefäss führt von da zur Iris und löst sich in ein mit
bogenförmigen, gegen den Irisrand gerichteten Ausbuchtungen ver¬
sehenes feines blaues Netz auf. Leber und Lunge, drüsige Appa¬
rate, wie Pankreas, Speicheldrüse sind von denselben vollständig
injicirten blauen Gefässnetzen durchzogen. Ueberhaupt ist kein
Organ, das nicht mehr oder weniger von der blaugefärbten Masse
injicirt ist. Im höchsten Grade auffallend ist aber dabei, dass
diese Injection nur das Capillargefässsystem betrifft. Alle grösseren
Gefässe, selbst schon die Arterie und Vene einer Darmzotte sieht
man entweder gar nicht gefärbt oder nur mit einem leichten
blauen Anflug, und auch das nur stellenweise, versehen. Bei einer
250 fachen Vergrösserung erkennt man schon, dass die Linien des
blauen Capillarnetzes aus vielen feinen Stäbchen zusammengesetzt
sind (Taf. III, Fig. 13) und bei 700 facher Vergrösserung (Taf. V,
Fig. 14) stellt sich heraus, dass die scheinbare Injection nichts
weiter ist, als die bekannten, in diesem Falle dunkelblau gefärbten
Milzbrandbacillen, die in ganz unglaublichen Mengen im gesammten
Capillargebiet abgelagert sind. In allen übrigen Gefässen, nament¬
lich in den grössten, sind die Bacillen oft nur vereinzelt, auf
längeren Strecken selbst ganz fehlend. Es gibt dies wieder ein
schlagendes Beispiel dafür, wie wenig maassgebend bei Infections¬
krankheiten die Untersuchung irgend einer beliebigen Blutprobe
ist; denn es ist gar nicht unmöglich, dass man aus dem Herzen
einen Tropfen Blut nimmt und keine Mikroorganismen darin
findet, die wenigen darin vorhandenen auch wohl übersieht und
dass trotzdem das Capillargefässsystem mit Parasiten überladen ist.

Indessen ist auch die Vertheilung der Milzbrandbacillen im
Capillargebiet keine ganz gleichmässige. Am spärlichsten sind
sie im Gehirn, in der Haut, in den Muskelcapillaren, in der Zunge.
In der Lunge, Leber, Niere, Milz, Darm, Magen sind sie dagegen
gleichmässig in der vorher geschilderten gewaltigen Menge ver¬
treten. Die Milz, die der Krankheit zum Namen verholfen hat,

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[66/0076] Milzbrand. Darmschleimhaut und die Iris von einem Kaninchen vor Augen hatte. Bei einer 50 fachen Vergrösserung sieht ein solches Prä¬ parat beim ersten Anblick genau so aus, als wäre in die Gefässe eine blaue Injectionsmasse gespritzt. Jede einzelne Darmzotte ist von einem äusserst zierlichen blauen Netz durchzogen; in der Magenschleimhaut ist das gesammte, die Labdrüsen umspinnende Capillargefässnetz blaugefärbt; am Ciliarkörper ist jeder einzelne Vorsprung injicirt und ein spiralförmig gewundenes, dunkelblau¬ gefärbtes Gefäss führt von da zur Iris und löst sich in ein mit bogenförmigen, gegen den Irisrand gerichteten Ausbuchtungen ver¬ sehenes feines blaues Netz auf. Leber und Lunge, drüsige Appa¬ rate, wie Pankreas, Speicheldrüse sind von denselben vollständig injicirten blauen Gefässnetzen durchzogen. Ueberhaupt ist kein Organ, das nicht mehr oder weniger von der blaugefärbten Masse injicirt ist. Im höchsten Grade auffallend ist aber dabei, dass diese Injection nur das Capillargefässsystem betrifft. Alle grösseren Gefässe, selbst schon die Arterie und Vene einer Darmzotte sieht man entweder gar nicht gefärbt oder nur mit einem leichten blauen Anflug, und auch das nur stellenweise, versehen. Bei einer 250 fachen Vergrösserung erkennt man schon, dass die Linien des blauen Capillarnetzes aus vielen feinen Stäbchen zusammengesetzt sind (Taf. III, Fig. 13) und bei 700 facher Vergrösserung (Taf. V, Fig. 14) stellt sich heraus, dass die scheinbare Injection nichts weiter ist, als die bekannten, in diesem Falle dunkelblau gefärbten Milzbrandbacillen, die in ganz unglaublichen Mengen im gesammten Capillargebiet abgelagert sind. In allen übrigen Gefässen, nament¬ lich in den grössten, sind die Bacillen oft nur vereinzelt, auf längeren Strecken selbst ganz fehlend. Es gibt dies wieder ein schlagendes Beispiel dafür, wie wenig maassgebend bei Infections¬ krankheiten die Untersuchung irgend einer beliebigen Blutprobe ist; denn es ist gar nicht unmöglich, dass man aus dem Herzen einen Tropfen Blut nimmt und keine Mikroorganismen darin findet, die wenigen darin vorhandenen auch wohl übersieht und dass trotzdem das Capillargefässsystem mit Parasiten überladen ist. Indessen ist auch die Vertheilung der Milzbrandbacillen im Capillargebiet keine ganz gleichmässige. Am spärlichsten sind sie im Gehirn, in der Haut, in den Muskelcapillaren, in der Zunge. In der Lunge, Leber, Niere, Milz, Darm, Magen sind sie dagegen gleichmässig in der vorher geschilderten gewaltigen Menge ver¬ treten. Die Milz, die der Krankheit zum Namen verholfen hat,

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Zitationshilfe: Koch, Robert: Untersuchung über die Aetiologie der Wundinfectionskrankheiten. Leipzig, 1878, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koch_wundinfektionskrankheiten_1878/76>, abgerufen am 10.05.2024.