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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Embryo sah ich die Nieren zwischen der sechsten und siebenten
Woche als 1 5/6 mm grosse bohnenförmige platte Körperchen, die hin-
ter dem unteren Theile der Urnieren ihre Lage hatten. Der Ureter
war deutlich hohl und führte in der Niere zu einer gewissen nicht
näher zu bestimmenden Zahl von Ausbuchtungen, die mehr als die
innere Hälfte des Organes einnahmen. Mit diesen Ausbuchtungen
standen an beiden Flächen und am äusseren Rande überall kurze,
leicht gebogene, aus Zellen gebildete Stränge in Verbindung, die An-
[Abbildung] Fig. 213.
lagen der Harnkanälchen. In der 21/2mm mes-
senden Niere des acht Wochen alten Embryo
der Fig. 213, die noch hinter der grossen
Nebenniere ihre Lage hatte, zeigte die
Oberfläche des Organes eine grössere Zahl
kleiner Abtheilungen, von denen jede aus
einer ganzen Gruppe der vorhin beschriebe-
nen, nur hier etwas längeren und mehr ge-
wundenen Zellenstränge bestand. Im Innern
fanden sich wiederum am Harnleiter die Ausbuchtungen, von deren
Wandungen jene Zellenstränge ausgingen. Bei dreimonatlichen Em-
bryonen bestanden die Nieren nur aus Rindensubstanz mit gewun-
denen Harnkanälchen von 0,016--0,048''', die zum Theil noch solid
waren, zum Theil eine deutliche Höhle besassen, jedoch alle eine
Membrana propria zeigten. Mit den letzteren Kanälchen standen schon
gut entwickelte Malpighische Körperchen in Verbindung von 0,06--
0,07''' Grösse, während die ersteren an den Enden einfach kolbige
Anschwellungen von 0,048--0,07''' ohne Gefässe darboten. -- Aus
diesen Erfahrungen, zusammengehalten mit den früheren von Rathke,
Valentin
und J. Müller über die Nieren von Säugethieren (s. meine
Mikr. Anat. II. 2. St. 372) und den oben gemeldeten von Remak, lässt
sich nun, wie mir scheint, folgender Entwicklungsgang der Niere
ableiten. Die Niere entwickelt sich in erster Linie ähnlich wie die
Lungen als eine hohle Ausstülpung der hinteren Wand der
Harnblase, an welcher natürlich sowohl die Epithelial- als die Faser-
schicht derselben sich betheiligen, und entsteht in dieser Weise ein-
[Abbildung]

Fig. 213. Harn- und Geschlechtsorgane eines acht Wochen alten mensch-
lichen Embryo etwa 2mal vergr. nn rechte Nebenniere, w Urniere, wg Ausfüh-
rungsgang derselben, n Niere, g Geschlechtsdrüse, hier von etwas auffallender
Gestalt, m Mastdarm, gh Leistenband des Wolff'schen Körpers (Gubernaculum
Hunteri
oder Lig. uteri rotundum), b Blase, h untere Hohlvene.

Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 28

Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Embryo sah ich die Nieren zwischen der sechsten und siebenten
Woche als 1⅚mm grosse bohnenförmige platte Körperchen, die hin-
ter dem unteren Theile der Urnieren ihre Lage hatten. Der Ureter
war deutlich hohl und führte in der Niere zu einer gewissen nicht
näher zu bestimmenden Zahl von Ausbuchtungen, die mehr als die
innere Hälfte des Organes einnahmen. Mit diesen Ausbuchtungen
standen an beiden Flächen und am äusseren Rande überall kurze,
leicht gebogene, aus Zellen gebildete Stränge in Verbindung, die An-
[Abbildung] Fig. 213.
lagen der Harnkanälchen. In der 2½mm mes-
senden Niere des acht Wochen alten Embryo
der Fig. 213, die noch hinter der grossen
Nebenniere ihre Lage hatte, zeigte die
Oberfläche des Organes eine grössere Zahl
kleiner Abtheilungen, von denen jede aus
einer ganzen Gruppe der vorhin beschriebe-
nen, nur hier etwas längeren und mehr ge-
wundenen Zellenstränge bestand. Im Innern
fanden sich wiederum am Harnleiter die Ausbuchtungen, von deren
Wandungen jene Zellenstränge ausgingen. Bei dreimonatlichen Em-
bryonen bestanden die Nieren nur aus Rindensubstanz mit gewun-
denen Harnkanälchen von 0,016—0,048‴, die zum Theil noch solid
waren, zum Theil eine deutliche Höhle besassen, jedoch alle eine
Membrana propria zeigten. Mit den letzteren Kanälchen standen schon
gut entwickelte Malpighische Körperchen in Verbindung von 0,06—
0,07‴ Grösse, während die ersteren an den Enden einfach kolbige
Anschwellungen von 0,048—0,07‴ ohne Gefässe darboten. — Aus
diesen Erfahrungen, zusammengehalten mit den früheren von Rathke,
Valentin
und J. Müller über die Nieren von Säugethieren (s. meine
Mikr. Anat. II. 2. St. 372) und den oben gemeldeten von Remak, lässt
sich nun, wie mir scheint, folgender Entwicklungsgang der Niere
ableiten. Die Niere entwickelt sich in erster Linie ähnlich wie die
Lungen als eine hohle Ausstülpung der hinteren Wand der
Harnblase, an welcher natürlich sowohl die Epithelial- als die Faser-
schicht derselben sich betheiligen, und entsteht in dieser Weise ein-
[Abbildung]

Fig. 213. Harn- und Geschlechtsorgane eines acht Wochen alten mensch-
lichen Embryo etwa 2mal vergr. nn rechte Nebenniere, w Urniere, wg Ausfüh-
rungsgang derselben, n Niere, g Geschlechtsdrüse, hier von etwas auffallender
Gestalt, m Mastdarm, gh Leistenband des Wolff’schen Körpers (Gubernaculum
Hunteri
oder Lig. uteri rotundum), b Blase, h untere Hohlvene.

Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 28
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[433/0449] Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane. Embryo sah ich die Nieren zwischen der sechsten und siebenten Woche als 1⅚mm grosse bohnenförmige platte Körperchen, die hin- ter dem unteren Theile der Urnieren ihre Lage hatten. Der Ureter war deutlich hohl und führte in der Niere zu einer gewissen nicht näher zu bestimmenden Zahl von Ausbuchtungen, die mehr als die innere Hälfte des Organes einnahmen. Mit diesen Ausbuchtungen standen an beiden Flächen und am äusseren Rande überall kurze, leicht gebogene, aus Zellen gebildete Stränge in Verbindung, die An- [Abbildung Fig. 213.] lagen der Harnkanälchen. In der 2½mm mes- senden Niere des acht Wochen alten Embryo der Fig. 213, die noch hinter der grossen Nebenniere ihre Lage hatte, zeigte die Oberfläche des Organes eine grössere Zahl kleiner Abtheilungen, von denen jede aus einer ganzen Gruppe der vorhin beschriebe- nen, nur hier etwas längeren und mehr ge- wundenen Zellenstränge bestand. Im Innern fanden sich wiederum am Harnleiter die Ausbuchtungen, von deren Wandungen jene Zellenstränge ausgingen. Bei dreimonatlichen Em- bryonen bestanden die Nieren nur aus Rindensubstanz mit gewun- denen Harnkanälchen von 0,016—0,048‴, die zum Theil noch solid waren, zum Theil eine deutliche Höhle besassen, jedoch alle eine Membrana propria zeigten. Mit den letzteren Kanälchen standen schon gut entwickelte Malpighische Körperchen in Verbindung von 0,06— 0,07‴ Grösse, während die ersteren an den Enden einfach kolbige Anschwellungen von 0,048—0,07‴ ohne Gefässe darboten. — Aus diesen Erfahrungen, zusammengehalten mit den früheren von Rathke, Valentin und J. Müller über die Nieren von Säugethieren (s. meine Mikr. Anat. II. 2. St. 372) und den oben gemeldeten von Remak, lässt sich nun, wie mir scheint, folgender Entwicklungsgang der Niere ableiten. Die Niere entwickelt sich in erster Linie ähnlich wie die Lungen als eine hohle Ausstülpung der hinteren Wand der Harnblase, an welcher natürlich sowohl die Epithelial- als die Faser- schicht derselben sich betheiligen, und entsteht in dieser Weise ein- [Abbildung Fig. 213. Harn- und Geschlechtsorgane eines acht Wochen alten mensch- lichen Embryo etwa 2mal vergr. nn rechte Nebenniere, w Urniere, wg Ausfüh- rungsgang derselben, n Niere, g Geschlechtsdrüse, hier von etwas auffallender Gestalt, m Mastdarm, gh Leistenband des Wolff’schen Körpers (Gubernaculum Hunteri oder Lig. uteri rotundum), b Blase, h untere Hohlvene.] Kölliker, Entwicklungsgeschichte. 28

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/449>, abgerufen am 28.04.2024.