Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Sinus urogenitalis auszumünden, der durch das Vorkommen eines
dicken Pflasterepithels ausgezeichnet war. -- Das Resultat meiner
Untersuchungen ist mithin ebenfalls das, dass Scheide und Uterus
aus den verschmelzenden Müller'schen Gängen sich hervorbilden,
ich habe jedoch den Angaben von Thiersch das beizufügen, 1) dass
die Verschmelzung in der Mitte zuerst beginnt und von da nach oben
und unten fortschreitet und 2) dass die Wand des gesammten Geni-
talstranges zur Bildung der Faserhaut von Uterus und Scheide ver-
wendet wird, so dass mithin die Urnierengänge, wenn auch nicht
mit ihrem Epithel, so doch in dieser Weise an der Gestaltung des
weiblichen Genitalkanales Antheil nehmen.

So viel von den Säugethieren. Was nun den Menschen anlangt,
so ist kein Grund zu bezweifeln, dass auch bei ihm Uterus und
Scheide wesentlich in derselben Weise aus den Müller'schen Gängen
sich hervorbilden, doch wird es allerdings der Kleinheit und Selten-
heit des Objectes wegen nicht leicht gelingen, diess thatsächlich zu
begründen. Sicher ist, dass der Grund des Uterus aus den Müller'-
schen Gängen hervorgeht, denn der Uterus ist anfänglich im dritten
Monate ein zweihörniger und wandelt sich nur ganz allmälig durch
Verschmelzung der Cornua in ein einfaches Organ um.

Die Müller'schen Gänge münden, wie wir schon früher anga-Sinus
urogenitalis
.

ben, anfänglich in den untersten Theil der Harnblase ein, und zwar
unmittelbar vor den Wolff'schen Gängen und ziemlich in einer Linie
mit denselben, während die Harnleiter höher oben sich inseriren.
Das letzte Stück der Harnblase von der Einmündung der genannten
Urnieren- und Geschlechtsgänge an, das seit J. Müller mit dem Na-
men des Sinus urogenitalis bezeichnet wird, verkürzt sich nun im
Laufe der Entwicklung immer mehr, während zugleich die angren-
zenden Theile des Harnapparates zur Urethra und die Müller'schen
Gänge zur Scheide und zum Uterus sich ausbilden und so wird es
dann zu Wege gebracht, dass am Ende Harn- und weiblicher Ge-
schlechtsapparat nur an den allerletzten Enden in dem sogenannten
Vorhofe der Scheide mit einander verbunden sind. Die besagte Ver-
kürzung ist übrigens nur als eine scheinbare aufzufassen und kommt
dadurch zu Stande, dass der ursprüngliche Sinus urogenitalis weni-
ger wächst als die übrigen Theile und so am Ende nur als ein ganz
kurzer Raum erscheint. Dass dem wirklich so ist, lässt sich für den
Menschen leicht beweisen und theile ich Ihnen hier zum Belege noch
einige Einzelnheiten mit. Bei einem dreimonatlichen menschlichen

29*

Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.
Sinus urogenitalis auszumünden, der durch das Vorkommen eines
dicken Pflasterepithels ausgezeichnet war. — Das Resultat meiner
Untersuchungen ist mithin ebenfalls das, dass Scheide und Uterus
aus den verschmelzenden Müller’schen Gängen sich hervorbilden,
ich habe jedoch den Angaben von Thiersch das beizufügen, 1) dass
die Verschmelzung in der Mitte zuerst beginnt und von da nach oben
und unten fortschreitet und 2) dass die Wand des gesammten Geni-
talstranges zur Bildung der Faserhaut von Uterus und Scheide ver-
wendet wird, so dass mithin die Urnierengänge, wenn auch nicht
mit ihrem Epithel, so doch in dieser Weise an der Gestaltung des
weiblichen Genitalkanales Antheil nehmen.

So viel von den Säugethieren. Was nun den Menschen anlangt,
so ist kein Grund zu bezweifeln, dass auch bei ihm Uterus und
Scheide wesentlich in derselben Weise aus den Müller’schen Gängen
sich hervorbilden, doch wird es allerdings der Kleinheit und Selten-
heit des Objectes wegen nicht leicht gelingen, diess thatsächlich zu
begründen. Sicher ist, dass der Grund des Uterus aus den Müller’-
schen Gängen hervorgeht, denn der Uterus ist anfänglich im dritten
Monate ein zweihörniger und wandelt sich nur ganz allmälig durch
Verschmelzung der Cornua in ein einfaches Organ um.

Die Müller’schen Gänge münden, wie wir schon früher anga-Sinus
urogenitalis
.

ben, anfänglich in den untersten Theil der Harnblase ein, und zwar
unmittelbar vor den Wolff’schen Gängen und ziemlich in einer Linie
mit denselben, während die Harnleiter höher oben sich inseriren.
Das letzte Stück der Harnblase von der Einmündung der genannten
Urnieren- und Geschlechtsgänge an, das seit J. Müller mit dem Na-
men des Sinus urogenitalis bezeichnet wird, verkürzt sich nun im
Laufe der Entwicklung immer mehr, während zugleich die angren-
zenden Theile des Harnapparates zur Urethra und die Müller’schen
Gänge zur Scheide und zum Uterus sich ausbilden und so wird es
dann zu Wege gebracht, dass am Ende Harn- und weiblicher Ge-
schlechtsapparat nur an den allerletzten Enden in dem sogenannten
Vorhofe der Scheide mit einander verbunden sind. Die besagte Ver-
kürzung ist übrigens nur als eine scheinbare aufzufassen und kommt
dadurch zu Stande, dass der ursprüngliche Sinus urogenitalis weni-
ger wächst als die übrigen Theile und so am Ende nur als ein ganz
kurzer Raum erscheint. Dass dem wirklich so ist, lässt sich für den
Menschen leicht beweisen und theile ich Ihnen hier zum Belege noch
einige Einzelnheiten mit. Bei einem dreimonatlichen menschlichen

29*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0467" n="451"/><fw place="top" type="header">Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane.</fw><lb/><hi rendition="#i">Sinus urogenitalis</hi> auszumünden, der durch das Vorkommen eines<lb/>
dicken Pflasterepithels ausgezeichnet war. &#x2014; Das Resultat meiner<lb/>
Untersuchungen ist mithin ebenfalls das, dass Scheide und Uterus<lb/>
aus den verschmelzenden <hi rendition="#k">Müller</hi>&#x2019;schen Gängen sich hervorbilden,<lb/>
ich habe jedoch den Angaben von <hi rendition="#k">Thiersch</hi> das beizufügen, 1) dass<lb/>
die Verschmelzung in der Mitte zuerst beginnt und von da nach oben<lb/>
und unten fortschreitet und 2) dass die Wand des gesammten Geni-<lb/>
talstranges zur Bildung der Faserhaut von Uterus und Scheide ver-<lb/>
wendet wird, so dass mithin die Urnierengänge, wenn auch nicht<lb/>
mit ihrem Epithel, so doch in dieser Weise an der Gestaltung des<lb/>
weiblichen Genitalkanales Antheil nehmen.</p><lb/>
        <p>So viel von den Säugethieren. Was nun den Menschen anlangt,<lb/>
so ist kein Grund zu bezweifeln, dass auch bei ihm Uterus und<lb/>
Scheide wesentlich in derselben Weise aus den <hi rendition="#k">Müller</hi>&#x2019;schen Gängen<lb/>
sich hervorbilden, doch wird es allerdings der Kleinheit und Selten-<lb/>
heit des Objectes wegen nicht leicht gelingen, diess thatsächlich zu<lb/>
begründen. Sicher ist, dass der Grund des Uterus aus den <hi rendition="#k">Müller</hi>&#x2019;-<lb/>
schen Gängen hervorgeht, denn der Uterus ist anfänglich im dritten<lb/>
Monate ein zweihörniger und wandelt sich nur ganz allmälig durch<lb/>
Verschmelzung der <hi rendition="#i">Cornua</hi> in ein einfaches Organ um.</p><lb/>
        <p>Die <hi rendition="#k">Müller</hi>&#x2019;schen Gänge münden, wie wir schon früher anga-<note place="right"><hi rendition="#i">Sinus<lb/>
urogenitalis</hi>.</note><lb/>
ben, anfänglich in den untersten Theil der Harnblase ein, und zwar<lb/>
unmittelbar vor den <hi rendition="#k">Wolff</hi>&#x2019;schen Gängen und ziemlich in einer Linie<lb/>
mit denselben, während die Harnleiter höher oben sich inseriren.<lb/>
Das letzte Stück der Harnblase von der Einmündung der genannten<lb/>
Urnieren- und Geschlechtsgänge an, das seit J. <hi rendition="#k">Müller</hi> mit dem Na-<lb/>
men des <hi rendition="#i">Sinus urogenitalis</hi> bezeichnet wird, verkürzt sich nun im<lb/>
Laufe der Entwicklung immer mehr, während zugleich die angren-<lb/>
zenden Theile des Harnapparates zur <hi rendition="#i">Urethra</hi> und die <hi rendition="#k">Müller</hi>&#x2019;schen<lb/>
Gänge zur Scheide und zum Uterus sich ausbilden und so wird es<lb/>
dann zu Wege gebracht, dass am Ende Harn- und weiblicher Ge-<lb/>
schlechtsapparat nur an den allerletzten Enden in dem sogenannten<lb/>
Vorhofe der Scheide mit einander verbunden sind. Die besagte Ver-<lb/>
kürzung ist übrigens nur als eine scheinbare aufzufassen und kommt<lb/>
dadurch zu Stande, dass der ursprüngliche <hi rendition="#i">Sinus urogenitalis</hi> weni-<lb/>
ger wächst als die übrigen Theile und so am Ende nur als ein ganz<lb/>
kurzer Raum erscheint. Dass dem wirklich so ist, lässt sich für den<lb/>
Menschen leicht beweisen und theile ich Ihnen hier zum Belege noch<lb/>
einige Einzelnheiten mit. Bei einem dreimonatlichen menschlichen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">29*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[451/0467] Entwicklung der Harn- und Geschlechtsorgane. Sinus urogenitalis auszumünden, der durch das Vorkommen eines dicken Pflasterepithels ausgezeichnet war. — Das Resultat meiner Untersuchungen ist mithin ebenfalls das, dass Scheide und Uterus aus den verschmelzenden Müller’schen Gängen sich hervorbilden, ich habe jedoch den Angaben von Thiersch das beizufügen, 1) dass die Verschmelzung in der Mitte zuerst beginnt und von da nach oben und unten fortschreitet und 2) dass die Wand des gesammten Geni- talstranges zur Bildung der Faserhaut von Uterus und Scheide ver- wendet wird, so dass mithin die Urnierengänge, wenn auch nicht mit ihrem Epithel, so doch in dieser Weise an der Gestaltung des weiblichen Genitalkanales Antheil nehmen. So viel von den Säugethieren. Was nun den Menschen anlangt, so ist kein Grund zu bezweifeln, dass auch bei ihm Uterus und Scheide wesentlich in derselben Weise aus den Müller’schen Gängen sich hervorbilden, doch wird es allerdings der Kleinheit und Selten- heit des Objectes wegen nicht leicht gelingen, diess thatsächlich zu begründen. Sicher ist, dass der Grund des Uterus aus den Müller’- schen Gängen hervorgeht, denn der Uterus ist anfänglich im dritten Monate ein zweihörniger und wandelt sich nur ganz allmälig durch Verschmelzung der Cornua in ein einfaches Organ um. Die Müller’schen Gänge münden, wie wir schon früher anga- ben, anfänglich in den untersten Theil der Harnblase ein, und zwar unmittelbar vor den Wolff’schen Gängen und ziemlich in einer Linie mit denselben, während die Harnleiter höher oben sich inseriren. Das letzte Stück der Harnblase von der Einmündung der genannten Urnieren- und Geschlechtsgänge an, das seit J. Müller mit dem Na- men des Sinus urogenitalis bezeichnet wird, verkürzt sich nun im Laufe der Entwicklung immer mehr, während zugleich die angren- zenden Theile des Harnapparates zur Urethra und die Müller’schen Gänge zur Scheide und zum Uterus sich ausbilden und so wird es dann zu Wege gebracht, dass am Ende Harn- und weiblicher Ge- schlechtsapparat nur an den allerletzten Enden in dem sogenannten Vorhofe der Scheide mit einander verbunden sind. Die besagte Ver- kürzung ist übrigens nur als eine scheinbare aufzufassen und kommt dadurch zu Stande, dass der ursprüngliche Sinus urogenitalis weni- ger wächst als die übrigen Theile und so am Ende nur als ein ganz kurzer Raum erscheint. Dass dem wirklich so ist, lässt sich für den Menschen leicht beweisen und theile ich Ihnen hier zum Belege noch einige Einzelnheiten mit. Bei einem dreimonatlichen menschlichen Sinus urogenitalis. 29*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/467
Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/467>, abgerufen am 15.05.2024.