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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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mit jungen Künstlern besetzt, die kopiren oder betrach-
ten. Die Kupferstiche sind in großen Portefeuille's gleich
Büchern aufgestellt, und in Länder abgetheilt. Je-
des Land hat dann wieder seine Unterabtheilungen. Die
merkwürdigen Portaits sind unzählig, und da sie aber-
mals in viele Klassen (als Fürsten, Gelehrte, Künstler
u. s. w.) eingetheilt sind, so kann man ein einzelnes
Portrait, das man eben gerne sehen möchte, leicht auf-
finden. Z. B. ich wünschte Dr. Luthers Portrait, so
suche ich zuerst die Seite der Wand, an welcher Deutsch-
land
aufgestellt ist, dann unter den verschiedenen Ru-
briken die Portraits, dann unter den Portraits die
Geistlichen, diesen Band lasse ich mir herausgeben,
und befriedige meinen Wunsch in wenigen Minuten. --
Einst ließ ich mir zur Unterhaltung die deutschen Künst-
ler
reichen, und fand, zu meinem Erstauen, in dem
nämlichen Portefeuille auch die deutschen Misgebur-
ten
und Narren, unter den letztern viele, die wir
undankbare Deutsche ganz vergessen haben, doch auch
manche alte Bekannte, z. B. Eulenspiegel, Hans-
wurst,
kurz, eine Menge Narren, denen man auf den
ersten Blick ansah, daß sie recht gescheide Leute gewe-
sen waren.

Die Kirche St. Sulpice

ein sehr imposantes Gebäude, dessen Aeußeres, nach mei-
ner
Empfindung, einen erhabenern Eindruck hervor-
bringt, als das der Kirche Notre Dame. Jnwendig
macht die Kuppel im Hintergrunde des Tempels eine fast
magische Wirkung. Durch eine große Oeffnung näm-
lich hinter dem Hochaltar scheinen die lichten Wolken
hereinzuquillen und auf ihnen die heilige Jungfrau mit

mit jungen Kuͤnstlern besetzt, die kopiren oder betrach-
ten. Die Kupferstiche sind in großen Portefeuille's gleich
Buͤchern aufgestellt, und in Laͤnder abgetheilt. Je-
des Land hat dann wieder seine Unterabtheilungen. Die
merkwuͤrdigen Portaits sind unzaͤhlig, und da sie aber-
mals in viele Klassen (als Fuͤrsten, Gelehrte, Kuͤnstler
u. s. w.) eingetheilt sind, so kann man ein einzelnes
Portrait, das man eben gerne sehen moͤchte, leicht auf-
finden. Z. B. ich wuͤnschte Dr. Luthers Portrait, so
suche ich zuerst die Seite der Wand, an welcher Deutsch-
land
aufgestellt ist, dann unter den verschiedenen Ru-
briken die Portraits, dann unter den Portraits die
Geistlichen, diesen Band lasse ich mir herausgeben,
und befriedige meinen Wunsch in wenigen Minuten. —
Einst ließ ich mir zur Unterhaltung die deutschen Kuͤnst-
ler
reichen, und fand, zu meinem Erstauen, in dem
naͤmlichen Portefeuille auch die deutschen Misgebur-
ten
und Narren, unter den letztern viele, die wir
undankbare Deutsche ganz vergessen haben, doch auch
manche alte Bekannte, z. B. Eulenspiegel, Hans-
wurst,
kurz, eine Menge Narren, denen man auf den
ersten Blick ansah, daß sie recht gescheide Leute gewe-
sen waren.

Die Kirche St. Sulpice

ein sehr imposantes Gebaͤude, dessen Aeußeres, nach mei-
ner
Empfindung, einen erhabenern Eindruck hervor-
bringt, als das der Kirche Notre Dame. Jnwendig
macht die Kuppel im Hintergrunde des Tempels eine fast
magische Wirkung. Durch eine große Oeffnung naͤm-
lich hinter dem Hochaltar scheinen die lichten Wolken
hereinzuquillen und auf ihnen die heilige Jungfrau mit

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[70/0070] mit jungen Kuͤnstlern besetzt, die kopiren oder betrach- ten. Die Kupferstiche sind in großen Portefeuille's gleich Buͤchern aufgestellt, und in Laͤnder abgetheilt. Je- des Land hat dann wieder seine Unterabtheilungen. Die merkwuͤrdigen Portaits sind unzaͤhlig, und da sie aber- mals in viele Klassen (als Fuͤrsten, Gelehrte, Kuͤnstler u. s. w.) eingetheilt sind, so kann man ein einzelnes Portrait, das man eben gerne sehen moͤchte, leicht auf- finden. Z. B. ich wuͤnschte Dr. Luthers Portrait, so suche ich zuerst die Seite der Wand, an welcher Deutsch- land aufgestellt ist, dann unter den verschiedenen Ru- briken die Portraits, dann unter den Portraits die Geistlichen, diesen Band lasse ich mir herausgeben, und befriedige meinen Wunsch in wenigen Minuten. — Einst ließ ich mir zur Unterhaltung die deutschen Kuͤnst- ler reichen, und fand, zu meinem Erstauen, in dem naͤmlichen Portefeuille auch die deutschen Misgebur- ten und Narren, unter den letztern viele, die wir undankbare Deutsche ganz vergessen haben, doch auch manche alte Bekannte, z. B. Eulenspiegel, Hans- wurst, kurz, eine Menge Narren, denen man auf den ersten Blick ansah, daß sie recht gescheide Leute gewe- sen waren. Die Kirche St. Sulpice ein sehr imposantes Gebaͤude, dessen Aeußeres, nach mei- ner Empfindung, einen erhabenern Eindruck hervor- bringt, als das der Kirche Notre Dame. Jnwendig macht die Kuppel im Hintergrunde des Tempels eine fast magische Wirkung. Durch eine große Oeffnung naͤm- lich hinter dem Hochaltar scheinen die lichten Wolken hereinzuquillen und auf ihnen die heilige Jungfrau mit

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/70>, abgerufen am 26.04.2024.