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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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derschön, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder
nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem
Zögling Andreas del Sarto. Sehr zweifelhaft ist
die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt,
die nämliche heilige Familie unter dem Namen Raphael
auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht
irre) fast noch vorzüglicher. Welches ist nun das ächte
Bild? -- Gleichviel, sie sind beide ächt.

Aus der Gallerie des Rubens tritt man in die
Gallerie des Le Sueur, der zuweilen der französische
Raphael
genannt wird, obgleich er nie Welschlands
schönen Himmel sah. Hier hängt weiter Nichts von ihm,
als die Geschichte des heiligen Bruno, in 24 Bildern
ausgeführt. Er malte sie auf Holz für die Kartheuser-
Mönche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu-
ben oder infame Neider beschädigten und zerkratzten die
Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genöthiget waren,
Thüren darüber machen zu lassen. Jetzt sind sie sämmt-
lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen
worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's
Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden.
Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spüre, und über-
haupt glaube, diese auf Befehl einer Königinn gemalte,
sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz
auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte
Bilder können nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs
Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen
Marmorgruppe eines lebendigen Künstlers, Amor
und Psyche, von Delaistre zu Rom verfertigt. Jch
glaube, um so berühmt zu werden, als manches griechi-
sche oder römische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter
Nichts, als der Tod ihres Schöpfers, und ein Alter von
ein paar hundert Jahren.

derschoͤn, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder
nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem
Zoͤgling Andreas del Sarto. Sehr zweifelhaft ist
die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt,
die naͤmliche heilige Familie unter dem Namen Raphael
auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht
irre) fast noch vorzuͤglicher. Welches ist nun das aͤchte
Bild? — Gleichviel, sie sind beide aͤcht.

Aus der Gallerie des Rubens tritt man in die
Gallerie des Le Sueur, der zuweilen der franzoͤsische
Raphael
genannt wird, obgleich er nie Welschlands
schoͤnen Himmel sah. Hier haͤngt weiter Nichts von ihm,
als die Geschichte des heiligen Bruno, in 24 Bildern
ausgefuͤhrt. Er malte sie auf Holz fuͤr die Kartheuser-
Moͤnche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu-
ben oder infame Neider beschaͤdigten und zerkratzten die
Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genoͤthiget waren,
Thuͤren daruͤber machen zu lassen. Jetzt sind sie saͤmmt-
lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen
worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's
Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden.
Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spuͤre, und uͤber-
haupt glaube, diese auf Befehl einer Koͤniginn gemalte,
sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz
auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte
Bilder koͤnnen nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs
Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen
Marmorgruppe eines lebendigen Kuͤnstlers, Amor
und Psyche, von Delaistre zu Rom verfertigt. Jch
glaube, um so beruͤhmt zu werden, als manches griechi-
sche oder roͤmische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter
Nichts, als der Tod ihres Schoͤpfers, und ein Alter von
ein paar hundert Jahren.

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[77/0077] derschoͤn, sie mag nun wirklich von Raphael seyn oder nicht: denn Kenner wollen behaupten, sie sey von seinem Zoͤgling Andreas del Sarto. Sehr zweifelhaft ist die Sache allerdings: denn ich erinnere mich sehr bestimmt, die naͤmliche heilige Familie unter dem Namen Raphael auch in Wien gesehen zu haben, und (wenn ich nicht irre) fast noch vorzuͤglicher. Welches ist nun das aͤchte Bild? — Gleichviel, sie sind beide aͤcht. Aus der Gallerie des Rubens tritt man in die Gallerie des Le Sueur, der zuweilen der franzoͤsische Raphael genannt wird, obgleich er nie Welschlands schoͤnen Himmel sah. Hier haͤngt weiter Nichts von ihm, als die Geschichte des heiligen Bruno, in 24 Bildern ausgefuͤhrt. Er malte sie auf Holz fuͤr die Kartheuser- Moͤnche, derer Stifter Bruno war. Muthwillige Bu- ben oder infame Neider beschaͤdigten und zerkratzten die Bilder dermaßen, daß die Kartheuser genoͤthiget waren, Thuͤren daruͤber machen zu lassen. Jetzt sind sie saͤmmt- lich restaurirt und von Holz auf Leinewand getragen worden. Man muß sich vorher ein wenig mit Bruno's Lebensgeschichte familiarisiren, um hier Genuß zu finden. Da ich aber dazu gar keine Lust in mir spuͤre, und uͤber- haupt glaube, diese auf Befehl einer Koͤniginn gemalte, sehr gemishandelte, schlecht ausgebesserte, dann von Holz auf Leinwand getragene, und endlich abermals restaurirte Bilder koͤnnen nur einen schwachen Begriff von Le Sucurs Genie geben; so wende ich mich lieber zu der herrlichen Marmorgruppe eines lebendigen Kuͤnstlers, Amor und Psyche, von Delaistre zu Rom verfertigt. Jch glaube, um so beruͤhmt zu werden, als manches griechi- sche oder roͤmische Kunstwerk, fehlt dieser Gruppe weiter Nichts, als der Tod ihres Schoͤpfers, und ein Alter von ein paar hundert Jahren.

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/77>, abgerufen am 27.04.2024.