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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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lösen können. Was ihn selbst anbetraf, so machte er sich über
diesen Punkt durchaus keine Vorwürfe. Der Tag der Hochzeit
stand vor der Thür, die Schuld würde dann rechtzeitig getilgt
werden. Der hohen Zinsen wegen, die er zahlen mußte,
wünschte er aber die Eheschließung sobald als möglich herbei.

Er hatte soeben zum vierten Male einen kleinen Taschen¬
spiegel hervorgeholt und sich in ihm von allen Seiten be¬
trachtet, als der Komtorbote eintrat und ihm die Mittheilung
überbrachte, daß der "Herr Chef" ihn zu sprechen wünsche.

"Mein lieber Timpe", redete ihn Urban an, als er
dessen Arbeitszimmer, das an der anderen Seite des großen
Komtors lag, betreten hatte, "nehmen Sie gefälligst Platz.
Ich kann Ihnen die angenehme Mittheilung machen, daß
meine Frau und ich beschlossen haben, den Hochzeitstag end¬
gültig auf den fünften Januar festzusetzen. Freuen Sie sich,
he? Die Geschichte macht sich, was?"

Er legte seinem Prokuristen die Hand auf die Schulter
und blickte ihn über die Brille hinweg pfiffig an. Franz
freute sich in der That; aber er war so überrascht, daß er
zum ersten Male seit langer Zeit die halb ironischen Höflich¬
keitsphrasen anzuwenden vergaß und ganz verlegen seinen
Dank hervorbrachte.

Und Urban, dem diese Verlegenheit ersichtliches Amüse¬
ment bereitete, fuhr fort:

"Wir werden keine große Hochzeit machen, sondern ein
einfaches Diner veranstalten. Wir haben dabei in erster
Linie auf Sie Rücksicht genommen, um Ihnen manche Un¬
annehmlichkeit in Betreff Ihrer Eltern zu ersparen . . . Ich
liebe überhaupt diese großen Tafeleien nicht, wo Hinz und
Kunz sich auf General-Unkosten sattessen. Wir werden ganz

löſen können. Was ihn ſelbſt anbetraf, ſo machte er ſich über
dieſen Punkt durchaus keine Vorwürfe. Der Tag der Hochzeit
ſtand vor der Thür, die Schuld würde dann rechtzeitig getilgt
werden. Der hohen Zinſen wegen, die er zahlen mußte,
wünſchte er aber die Eheſchließung ſobald als möglich herbei.

Er hatte ſoeben zum vierten Male einen kleinen Taſchen¬
ſpiegel hervorgeholt und ſich in ihm von allen Seiten be¬
trachtet, als der Komtorbote eintrat und ihm die Mittheilung
überbrachte, daß der „Herr Chef“ ihn zu ſprechen wünſche.

„Mein lieber Timpe“, redete ihn Urban an, als er
deſſen Arbeitszimmer, das an der anderen Seite des großen
Komtors lag, betreten hatte, „nehmen Sie gefälligſt Platz.
Ich kann Ihnen die angenehme Mittheilung machen, daß
meine Frau und ich beſchloſſen haben, den Hochzeitstag end¬
gültig auf den fünften Januar feſtzuſetzen. Freuen Sie ſich,
he? Die Geſchichte macht ſich, was?“

Er legte ſeinem Prokuriſten die Hand auf die Schulter
und blickte ihn über die Brille hinweg pfiffig an. Franz
freute ſich in der That; aber er war ſo überraſcht, daß er
zum erſten Male ſeit langer Zeit die halb ironiſchen Höflich¬
keitsphraſen anzuwenden vergaß und ganz verlegen ſeinen
Dank hervorbrachte.

Und Urban, dem dieſe Verlegenheit erſichtliches Amüſe¬
ment bereitete, fuhr fort:

„Wir werden keine große Hochzeit machen, ſondern ein
einfaches Diner veranſtalten. Wir haben dabei in erſter
Linie auf Sie Rückſicht genommen, um Ihnen manche Un¬
annehmlichkeit in Betreff Ihrer Eltern zu erſparen . . . Ich
liebe überhaupt dieſe großen Tafeleien nicht, wo Hinz und
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[190/0202] löſen können. Was ihn ſelbſt anbetraf, ſo machte er ſich über dieſen Punkt durchaus keine Vorwürfe. Der Tag der Hochzeit ſtand vor der Thür, die Schuld würde dann rechtzeitig getilgt werden. Der hohen Zinſen wegen, die er zahlen mußte, wünſchte er aber die Eheſchließung ſobald als möglich herbei. Er hatte ſoeben zum vierten Male einen kleinen Taſchen¬ ſpiegel hervorgeholt und ſich in ihm von allen Seiten be¬ trachtet, als der Komtorbote eintrat und ihm die Mittheilung überbrachte, daß der „Herr Chef“ ihn zu ſprechen wünſche. „Mein lieber Timpe“, redete ihn Urban an, als er deſſen Arbeitszimmer, das an der anderen Seite des großen Komtors lag, betreten hatte, „nehmen Sie gefälligſt Platz. Ich kann Ihnen die angenehme Mittheilung machen, daß meine Frau und ich beſchloſſen haben, den Hochzeitstag end¬ gültig auf den fünften Januar feſtzuſetzen. Freuen Sie ſich, he? Die Geſchichte macht ſich, was?“ Er legte ſeinem Prokuriſten die Hand auf die Schulter und blickte ihn über die Brille hinweg pfiffig an. Franz freute ſich in der That; aber er war ſo überraſcht, daß er zum erſten Male ſeit langer Zeit die halb ironiſchen Höflich¬ keitsphraſen anzuwenden vergaß und ganz verlegen ſeinen Dank hervorbrachte. Und Urban, dem dieſe Verlegenheit erſichtliches Amüſe¬ ment bereitete, fuhr fort: „Wir werden keine große Hochzeit machen, ſondern ein einfaches Diner veranſtalten. Wir haben dabei in erſter Linie auf Sie Rückſicht genommen, um Ihnen manche Un¬ annehmlichkeit in Betreff Ihrer Eltern zu erſparen . . . Ich liebe überhaupt dieſe großen Tafeleien nicht, wo Hinz und Kunz ſich auf General-Unkoſten ſatteſſen. Wir werden ganz

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/202>, abgerufen am 29.04.2024.