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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Kaufgebot gemacht wurde, und zwar von einem Fremden.
Er sollte immer noch das Doppelte des früheren Werthes er¬
halten. Timpe wunderte sich darüber außerordentlich. Bald
aber erfuhr er, daß die Frau seines Sohnes dahinter steckte,
die auf Umwegen ihn aus seiner traurigen Lage zu reißen ge¬
dachte. Frau Karoline bat Johannes inständig, das Geschäft
abzuschließen, er aber wollte davon nichts wissen, und ließ sich
in seinem grenzenlosen Haß gegen Urban und in der Ver¬
achtung gegen seinen Sohn hinreißen, den Schwur zu
thun, niemals von jener Seite den kleinen Finger der
rettenden Hand anzunehmen. Solange sie Beide, Karoline
und er noch lebten, würden sie wohl so viel haben, um sich
satt zu essen; und das Uebrige sei vom Uebel.

Die Meisterin bat den Altgesellen, auf ihren Mann ein¬
zureden und ihn anderen Sinnes zu machen. Thomas Beyer
aber zuckte die Achseln und sagte:

"Das wird nichts helfen, Meisterin. Ihr Mann ist ein
Charakter, und solche Leute bleiben ihrer Gesinnung treu.
Das ist gerade wie mit dem Stahl aus einem Guß; er
bricht, aber er läßt sich nicht biegen."

Der Winter hatte kaum begonnen, als Frau Karoline
sich niederlegte, um nicht wieder aufzustehen. Sie litt bereits
seit längerer Zeit an einem Magenübel, das nicht mehr zu
heilen war. Vierzehn Tage lang erschien der Arzt. Jo¬
hannes wich nicht von ihrem Lager. Als ihn der Altgeselle
eines Mittags auf einem Stuhle schlummernd fand, war er
von dem Anblick tief erschüttert. Er glaubte ein Gespenst vor
sich zu haben, aber kein Wesen von Fleisch und Blut. Sofort
schickte er den Lehrling zu seiner Schwester, die nach einer
Stunde erschien.

Kaufgebot gemacht wurde, und zwar von einem Fremden.
Er ſollte immer noch das Doppelte des früheren Werthes er¬
halten. Timpe wunderte ſich darüber außerordentlich. Bald
aber erfuhr er, daß die Frau ſeines Sohnes dahinter ſteckte,
die auf Umwegen ihn aus ſeiner traurigen Lage zu reißen ge¬
dachte. Frau Karoline bat Johannes inſtändig, das Geſchäft
abzuſchließen, er aber wollte davon nichts wiſſen, und ließ ſich
in ſeinem grenzenloſen Haß gegen Urban und in der Ver¬
achtung gegen ſeinen Sohn hinreißen, den Schwur zu
thun, niemals von jener Seite den kleinen Finger der
rettenden Hand anzunehmen. Solange ſie Beide, Karoline
und er noch lebten, würden ſie wohl ſo viel haben, um ſich
ſatt zu eſſen; und das Uebrige ſei vom Uebel.

Die Meiſterin bat den Altgeſellen, auf ihren Mann ein¬
zureden und ihn anderen Sinnes zu machen. Thomas Beyer
aber zuckte die Achſeln und ſagte:

„Das wird nichts helfen, Meiſterin. Ihr Mann iſt ein
Charakter, und ſolche Leute bleiben ihrer Geſinnung treu.
Das iſt gerade wie mit dem Stahl aus einem Guß; er
bricht, aber er läßt ſich nicht biegen.“

Der Winter hatte kaum begonnen, als Frau Karoline
ſich niederlegte, um nicht wieder aufzuſtehen. Sie litt bereits
ſeit längerer Zeit an einem Magenübel, das nicht mehr zu
heilen war. Vierzehn Tage lang erſchien der Arzt. Jo¬
hannes wich nicht von ihrem Lager. Als ihn der Altgeſelle
eines Mittags auf einem Stuhle ſchlummernd fand, war er
von dem Anblick tief erſchüttert. Er glaubte ein Geſpenſt vor
ſich zu haben, aber kein Weſen von Fleiſch und Blut. Sofort
ſchickte er den Lehrling zu ſeiner Schweſter, die nach einer
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[246/0258] Kaufgebot gemacht wurde, und zwar von einem Fremden. Er ſollte immer noch das Doppelte des früheren Werthes er¬ halten. Timpe wunderte ſich darüber außerordentlich. Bald aber erfuhr er, daß die Frau ſeines Sohnes dahinter ſteckte, die auf Umwegen ihn aus ſeiner traurigen Lage zu reißen ge¬ dachte. Frau Karoline bat Johannes inſtändig, das Geſchäft abzuſchließen, er aber wollte davon nichts wiſſen, und ließ ſich in ſeinem grenzenloſen Haß gegen Urban und in der Ver¬ achtung gegen ſeinen Sohn hinreißen, den Schwur zu thun, niemals von jener Seite den kleinen Finger der rettenden Hand anzunehmen. Solange ſie Beide, Karoline und er noch lebten, würden ſie wohl ſo viel haben, um ſich ſatt zu eſſen; und das Uebrige ſei vom Uebel. Die Meiſterin bat den Altgeſellen, auf ihren Mann ein¬ zureden und ihn anderen Sinnes zu machen. Thomas Beyer aber zuckte die Achſeln und ſagte: „Das wird nichts helfen, Meiſterin. Ihr Mann iſt ein Charakter, und ſolche Leute bleiben ihrer Geſinnung treu. Das iſt gerade wie mit dem Stahl aus einem Guß; er bricht, aber er läßt ſich nicht biegen.“ Der Winter hatte kaum begonnen, als Frau Karoline ſich niederlegte, um nicht wieder aufzuſtehen. Sie litt bereits ſeit längerer Zeit an einem Magenübel, das nicht mehr zu heilen war. Vierzehn Tage lang erſchien der Arzt. Jo¬ hannes wich nicht von ihrem Lager. Als ihn der Altgeſelle eines Mittags auf einem Stuhle ſchlummernd fand, war er von dem Anblick tief erſchüttert. Er glaubte ein Geſpenſt vor ſich zu haben, aber kein Weſen von Fleiſch und Blut. Sofort ſchickte er den Lehrling zu ſeiner Schweſter, die nach einer Stunde erſchien.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/258>, abgerufen am 14.05.2024.