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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Zwei Tage lang verließ er das Haus nicht, schlug er nur
den einen Vorderladen zurück und lebte von dem, was er in
der Küche vorräthig hatte. Die Hausthür wurde nur ge¬
öffnet, als ein Wagen aus der Fabrik vorfuhr, um die fertige
Arbeit abzuholen. Den zweiten Morgen ließ sich Beyer nicht
sehen, aber am dritten begehrte er wieder Einlaß. Er nahm
an, daß Timpe ihn nicht mehr erwarten würde. Aber der
Meister war bereits auf und sah ihn auf der Straße stehen.
Er verhielt sich ruhig und der Geselle ging bald wieder davon.
Während der ganzen Woche tauchte Beyer nicht auf.

Timpe fühlte sich beruhigt. Der Belagerungszustand
kam ihm nun so lächerlich vor, daß er den Laden wieder
öffnete und dem Hause ein freundliches Gepräge gab. Trotz¬
dem befolgte er die Vorsicht nach wie vor. Einmal wurde er
durch die Anhänglichkeit des Altgesellen so weich gestimmt,
daß er ihn persönlich aufsuchen wollte, um ihn wieder zu
holen, aber er bewahrte glücklicher Weise seine Stärke. Eine
nicht mehr erwartete Kraft war plötzlich über ihn gekommen:
einer jener thatenlustigen Augenblicke in der Erschlaffungs¬
periode eines Menschen, wo der Muth zu neuer Arbeit,
zu einem neuen Leben sich zu regen beginnt. Es war gleich¬
sam ein Trotz, ein riesenstarkes Aufbäumen gegen die Gemein¬
heiten des Daseins. Er wollte dieses Haus hier, in dem er
geboren war, in dem drei Generationen seines Namens ge¬
haust hatten, als seine Burg betrachten, deren Besitz er gegen
die Außenwelt vertheidigte. Die Einsamkeit sollte seine
Waffen schärfen. Er freute sich seines Alleinseins. Es sah
Niemand, was er trieb, er brauchte keinem zweiten Menschen
Rechenschaft über sein Thun und Lassen abzulegen.

Er hatte nur noch vierzehn Tage Zeit, um eine neue

Zwei Tage lang verließ er das Haus nicht, ſchlug er nur
den einen Vorderladen zurück und lebte von dem, was er in
der Küche vorräthig hatte. Die Hausthür wurde nur ge¬
öffnet, als ein Wagen aus der Fabrik vorfuhr, um die fertige
Arbeit abzuholen. Den zweiten Morgen ließ ſich Beyer nicht
ſehen, aber am dritten begehrte er wieder Einlaß. Er nahm
an, daß Timpe ihn nicht mehr erwarten würde. Aber der
Meiſter war bereits auf und ſah ihn auf der Straße ſtehen.
Er verhielt ſich ruhig und der Geſelle ging bald wieder davon.
Während der ganzen Woche tauchte Beyer nicht auf.

Timpe fühlte ſich beruhigt. Der Belagerungszuſtand
kam ihm nun ſo lächerlich vor, daß er den Laden wieder
öffnete und dem Hauſe ein freundliches Gepräge gab. Trotz¬
dem befolgte er die Vorſicht nach wie vor. Einmal wurde er
durch die Anhänglichkeit des Altgeſellen ſo weich geſtimmt,
daß er ihn perſönlich aufſuchen wollte, um ihn wieder zu
holen, aber er bewahrte glücklicher Weiſe ſeine Stärke. Eine
nicht mehr erwartete Kraft war plötzlich über ihn gekommen:
einer jener thatenluſtigen Augenblicke in der Erſchlaffungs¬
periode eines Menſchen, wo der Muth zu neuer Arbeit,
zu einem neuen Leben ſich zu regen beginnt. Es war gleich¬
ſam ein Trotz, ein rieſenſtarkes Aufbäumen gegen die Gemein¬
heiten des Daſeins. Er wollte dieſes Haus hier, in dem er
geboren war, in dem drei Generationen ſeines Namens ge¬
hauſt hatten, als ſeine Burg betrachten, deren Beſitz er gegen
die Außenwelt vertheidigte. Die Einſamkeit ſollte ſeine
Waffen ſchärfen. Er freute ſich ſeines Alleinſeins. Es ſah
Niemand, was er trieb, er brauchte keinem zweiten Menſchen
Rechenſchaft über ſein Thun und Laſſen abzulegen.

Er hatte nur noch vierzehn Tage Zeit, um eine neue

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[266/0278] Zwei Tage lang verließ er das Haus nicht, ſchlug er nur den einen Vorderladen zurück und lebte von dem, was er in der Küche vorräthig hatte. Die Hausthür wurde nur ge¬ öffnet, als ein Wagen aus der Fabrik vorfuhr, um die fertige Arbeit abzuholen. Den zweiten Morgen ließ ſich Beyer nicht ſehen, aber am dritten begehrte er wieder Einlaß. Er nahm an, daß Timpe ihn nicht mehr erwarten würde. Aber der Meiſter war bereits auf und ſah ihn auf der Straße ſtehen. Er verhielt ſich ruhig und der Geſelle ging bald wieder davon. Während der ganzen Woche tauchte Beyer nicht auf. Timpe fühlte ſich beruhigt. Der Belagerungszuſtand kam ihm nun ſo lächerlich vor, daß er den Laden wieder öffnete und dem Hauſe ein freundliches Gepräge gab. Trotz¬ dem befolgte er die Vorſicht nach wie vor. Einmal wurde er durch die Anhänglichkeit des Altgeſellen ſo weich geſtimmt, daß er ihn perſönlich aufſuchen wollte, um ihn wieder zu holen, aber er bewahrte glücklicher Weiſe ſeine Stärke. Eine nicht mehr erwartete Kraft war plötzlich über ihn gekommen: einer jener thatenluſtigen Augenblicke in der Erſchlaffungs¬ periode eines Menſchen, wo der Muth zu neuer Arbeit, zu einem neuen Leben ſich zu regen beginnt. Es war gleich¬ ſam ein Trotz, ein rieſenſtarkes Aufbäumen gegen die Gemein¬ heiten des Daſeins. Er wollte dieſes Haus hier, in dem er geboren war, in dem drei Generationen ſeines Namens ge¬ hauſt hatten, als ſeine Burg betrachten, deren Beſitz er gegen die Außenwelt vertheidigte. Die Einſamkeit ſollte ſeine Waffen ſchärfen. Er freute ſich ſeines Alleinſeins. Es ſah Niemand, was er trieb, er brauchte keinem zweiten Menſchen Rechenſchaft über ſein Thun und Laſſen abzulegen. Er hatte nur noch vierzehn Tage Zeit, um eine neue

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/278>, abgerufen am 14.05.2024.