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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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In dieser Stimmung ließ sich Moorfeld an die gastliche Heerdstelle
nieder. Monsieur, wir werden soupiren wilden Reis in Wasser ge¬
kocht, ein paar Wasserschnepfen und eine Ente. Brod wollen wir für
schädlich erklären. Cider-Bordeaux von Charlotteville in Ober-Canada
wird uns diese Kürbisbouteille liefern. Charlotteville ist meine Hei¬
math, Monsieur. Dort drüben liegt es. Wagh! eine Location mitten
unter Engländern, die Gott verdammen möge. Hätt' ich nicht ein
paar gute Freunde in New-Orleans, die ich Winters über besuche
pour avoir quelque conversation, ich möchte mehr Waschbär sein
als Mensch. Wagh!

Der Canadier hing einen kleinen Kessel mit Reis über sein Feuer,
steckte sein genanntes Geflügel an ein paar Bratspieße und reichte
Moorfelden die Kürbisflasche.

Die ganze Scene war unserm Helden so neu, so sehr im Geiste
dessen, was sich wohl sonst europäische Poesie unter dem "romantischen
Westen" denkt, daß Moorfeld aus seinem dumpfen, selbstertödtenden
Brüten mehr und mehr zu erwachen anfing. Und konnte er gleich sein
krampfhaft zusammengeschnürtes Herz nicht frei und fröhlich als Gastge¬
schenk bieten, so erinnerte er sich doch, daß zur Unterhaltung auffordern
auch unterhalten heiße. Wie schwer aber hätte ihm diese Aufgabe werden
sollen bei einem Manne, der von Canada nach New-Orleans reist
pour avoir quelque conversation?

Er begann sich's an der Feuerstelle bequem zu machen. Bitte, stellt mich
auch Frau und Kind vor! scherzte er dazu. Der Franzose aber schien dieses
Compliment über seine glückliche Nachahmung von Häuslichkeit zu ver¬
kennen, denn er schlug ein Schnippchen und antwortete fast mürrisch:
Wagh! Familienleben schönes Leben! Ich bin Amateur von dem Familien¬
leben -- anderer Leute! Ich liebe es außerordentlich. Aber zu Hause
will ich frei sein. Wagh! Familie ist Silber, Freiheit ist Gold!

Und plaudernd fuhr er fort: Als ich vor mehreren Jahren für
die Nordwest Biberjagd trieb, da besaß ich zwei Weiber, wie es im
Westen der Trapper Brauch. Ah, Monsieur, Schöneres hat die Welt
nicht gesehen! Die Eine, Juanita, hatte ich aus einer Mission in
Kalifornien entführt; aus ihren schwarzen Augen brannte es wie der
Blitz einer Doppelflinte, aber das dunkle spanische Feuerblut ihrer
Wangen verrieth, daß sie eben so berufen, Wunden zu heilen als zu

In dieſer Stimmung ließ ſich Moorfeld an die gaſtliche Heerdſtelle
nieder. Monſieur, wir werden ſoupiren wilden Reis in Waſſer ge¬
kocht, ein paar Waſſerſchnepfen und eine Ente. Brod wollen wir für
ſchädlich erklären. Cider-Bordeaux von Charlotteville in Ober-Canada
wird uns dieſe Kürbisbouteille liefern. Charlotteville iſt meine Hei¬
math, Monſieur. Dort drüben liegt es. Wagh! eine Location mitten
unter Engländern, die Gott verdammen möge. Hätt' ich nicht ein
paar gute Freunde in New-Orleans, die ich Winters über beſuche
pour avoir quelque conversation, ich möchte mehr Waſchbär ſein
als Menſch. Wagh!

Der Canadier hing einen kleinen Keſſel mit Reis über ſein Feuer,
ſteckte ſein genanntes Geflügel an ein paar Bratſpieße und reichte
Moorfelden die Kürbisflaſche.

Die ganze Scene war unſerm Helden ſo neu, ſo ſehr im Geiſte
deſſen, was ſich wohl ſonſt europäiſche Poeſie unter dem „romantiſchen
Weſten“ denkt, daß Moorfeld aus ſeinem dumpfen, ſelbſtertödtenden
Brüten mehr und mehr zu erwachen anfing. Und konnte er gleich ſein
krampfhaft zuſammengeſchnürtes Herz nicht frei und fröhlich als Gaſtge¬
ſchenk bieten, ſo erinnerte er ſich doch, daß zur Unterhaltung auffordern
auch unterhalten heiße. Wie ſchwer aber hätte ihm dieſe Aufgabe werden
ſollen bei einem Manne, der von Canada nach New-Orleans reiſt
pour avoir quelque conversation?

Er begann ſich's an der Feuerſtelle bequem zu machen. Bitte, ſtellt mich
auch Frau und Kind vor! ſcherzte er dazu. Der Franzoſe aber ſchien dieſes
Compliment über ſeine glückliche Nachahmung von Häuslichkeit zu ver¬
kennen, denn er ſchlug ein Schnippchen und antwortete faſt mürriſch:
Wagh! Familienleben ſchönes Leben! Ich bin Amateur von dem Familien¬
leben — anderer Leute! Ich liebe es außerordentlich. Aber zu Hauſe
will ich frei ſein. Wagh! Familie iſt Silber, Freiheit iſt Gold!

Und plaudernd fuhr er fort: Als ich vor mehreren Jahren für
die Nordweſt Biberjagd trieb, da beſaß ich zwei Weiber, wie es im
Weſten der Trapper Brauch. Ah, Monſieur, Schöneres hat die Welt
nicht geſehen! Die Eine, Juanita, hatte ich aus einer Miſſion in
Kalifornien entführt; aus ihren ſchwarzen Augen brannte es wie der
Blitz einer Doppelflinte, aber das dunkle ſpaniſche Feuerblut ihrer
Wangen verrieth, daß ſie eben ſo berufen, Wunden zu heilen als zu

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[412/0430] In dieſer Stimmung ließ ſich Moorfeld an die gaſtliche Heerdſtelle nieder. Monſieur, wir werden ſoupiren wilden Reis in Waſſer ge¬ kocht, ein paar Waſſerſchnepfen und eine Ente. Brod wollen wir für ſchädlich erklären. Cider-Bordeaux von Charlotteville in Ober-Canada wird uns dieſe Kürbisbouteille liefern. Charlotteville iſt meine Hei¬ math, Monſieur. Dort drüben liegt es. Wagh! eine Location mitten unter Engländern, die Gott verdammen möge. Hätt' ich nicht ein paar gute Freunde in New-Orleans, die ich Winters über beſuche pour avoir quelque conversation, ich möchte mehr Waſchbär ſein als Menſch. Wagh! Der Canadier hing einen kleinen Keſſel mit Reis über ſein Feuer, ſteckte ſein genanntes Geflügel an ein paar Bratſpieße und reichte Moorfelden die Kürbisflaſche. Die ganze Scene war unſerm Helden ſo neu, ſo ſehr im Geiſte deſſen, was ſich wohl ſonſt europäiſche Poeſie unter dem „romantiſchen Weſten“ denkt, daß Moorfeld aus ſeinem dumpfen, ſelbſtertödtenden Brüten mehr und mehr zu erwachen anfing. Und konnte er gleich ſein krampfhaft zuſammengeſchnürtes Herz nicht frei und fröhlich als Gaſtge¬ ſchenk bieten, ſo erinnerte er ſich doch, daß zur Unterhaltung auffordern auch unterhalten heiße. Wie ſchwer aber hätte ihm dieſe Aufgabe werden ſollen bei einem Manne, der von Canada nach New-Orleans reiſt pour avoir quelque conversation? Er begann ſich's an der Feuerſtelle bequem zu machen. Bitte, ſtellt mich auch Frau und Kind vor! ſcherzte er dazu. Der Franzoſe aber ſchien dieſes Compliment über ſeine glückliche Nachahmung von Häuslichkeit zu ver¬ kennen, denn er ſchlug ein Schnippchen und antwortete faſt mürriſch: Wagh! Familienleben ſchönes Leben! Ich bin Amateur von dem Familien¬ leben — anderer Leute! Ich liebe es außerordentlich. Aber zu Hauſe will ich frei ſein. Wagh! Familie iſt Silber, Freiheit iſt Gold! Und plaudernd fuhr er fort: Als ich vor mehreren Jahren für die Nordweſt Biberjagd trieb, da beſaß ich zwei Weiber, wie es im Weſten der Trapper Brauch. Ah, Monſieur, Schöneres hat die Welt nicht geſehen! Die Eine, Juanita, hatte ich aus einer Miſſion in Kalifornien entführt; aus ihren ſchwarzen Augen brannte es wie der Blitz einer Doppelflinte, aber das dunkle ſpaniſche Feuerblut ihrer Wangen verrieth, daß ſie eben ſo berufen, Wunden zu heilen als zu

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/430>, abgerufen am 06.05.2024.