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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mächtig geworden, in aller Gemüthlichkeit ihre Compactaten besprechen,
ändert sich die politische Sachlage. Die Handlung spielt ungefähr in
dem Winkel zwischen Mississippi, Tenessee und Alabama. Von Ken¬
tucky herüber passirt ein Zug von Ansiedlern durch, welche nach Texas
auswandern, -- wilde, gerüstete Hinterwaldsgestalten wobei dem lieben
Benjamin das Herz im Leibe lacht. Schnell verläßt er die Parthie
des Sclavenhändlers, der ohnedies nicht "gesund" wäre, und sucht
das Bündniß dieser neuen Abenteuerer für sein Vorhaben. Nun
denke man! Von einer Seite der Sclavenhändler mit Black Hamk und
einem aufgewiegelten Indianer-Stamme, von der andern Benjamin
Ridge mit den wilden Kentuckyern und endlich der Kapitän Drivvle,
der zu seinem Schutze ein paar Compagnien Alabamer Landmiliz re¬
quirirt -- so thürmen sich drei Prügel-Gewitter zugleich am Horizonte
auf: wen sollten nicht Wonneschauer schütteln? Viele der Zuschauer
sieht man ihre Plätze verlassen, um im benachbarten "bar" durch ein
Glas Rum ihre Nerven für den bevorstehenden Kunstgenuß zu stählen.

Der Sturm bricht los. Kentuckyer, Indianer, Alabamer -- die
Parteien sind so gestellt, daß Alle gegen Alle kämpfen. Denn nicht
Kampf, sondern Chaos soll es zugleich sein. Nicht Schläge müssen fallen,
sondern sie müssen auch unversehens fallen, Jeder muß doppelt angegriffen
werden: wie er's erwartet und wie er's nicht erwartet. Das gibt Ueberra¬
schung und Schadenfreude, das belebt das allgemeine Getümmel mit einer
Menge interessanter Detailzüge. Oder was kann wonnevoller sein, als zu
sehen, wie der Schlagriemen gegen das Bowiemesser klatscht, während
die Flinte auf den Schlagriemen anlegt, und der Stahldegen rücklings
die Flinte anfällt? Solche Gruppen führen sich blitzgleich dem Zu¬
schauer vor, lösen sich auf, arrangiren sich wieder, Alles reißt sich im
Wirbel einander fort, die ganze Masse ist im glühenden Fluß, ein
Feuer durchrast diese Action, das gegen deutsche Theaterschlachten ab¬
sticht, wie eine Brandrakete gegen ein fliegendes Glühwürmchen. Das
Gemälde fällt freilich aus dem Scheinbaren in die baarste Wirklichkeit,
aber wenn die dramatische Kunst hier aufhört, so wird wenigstens die
unglaubliche Gymnastik bewundert, womit sich der Menschenknäuel wirk¬
lichen Tödtungen und Verwundungen entzieht, da er gleichwohl einen
wirklichen Kampf aufführt. Auch die exactesten Theaterproben, scheint's,
können ein solches Ensemble nicht herstellen, und wie enorm wären die

mächtig geworden, in aller Gemüthlichkeit ihre Compactaten beſprechen,
ändert ſich die politiſche Sachlage. Die Handlung ſpielt ungefähr in
dem Winkel zwiſchen Miſſiſſippi, Teneſſee und Alabama. Von Ken¬
tucky herüber paſſirt ein Zug von Anſiedlern durch, welche nach Texas
auswandern, — wilde, gerüſtete Hinterwaldsgeſtalten wobei dem lieben
Benjamin das Herz im Leibe lacht. Schnell verläßt er die Parthie
des Sclavenhändlers, der ohnedies nicht „geſund“ wäre, und ſucht
das Bündniß dieſer neuen Abenteuerer für ſein Vorhaben. Nun
denke man! Von einer Seite der Sclavenhändler mit Black Hamk und
einem aufgewiegelten Indianer-Stamme, von der andern Benjamin
Ridge mit den wilden Kentuckyern und endlich der Kapitän Drivvle,
der zu ſeinem Schutze ein paar Compagnien Alabamer Landmiliz re¬
quirirt — ſo thürmen ſich drei Prügel-Gewitter zugleich am Horizonte
auf: wen ſollten nicht Wonneſchauer ſchütteln? Viele der Zuſchauer
ſieht man ihre Plätze verlaſſen, um im benachbarten „bar“ durch ein
Glas Rum ihre Nerven für den bevorſtehenden Kunſtgenuß zu ſtählen.

Der Sturm bricht los. Kentuckyer, Indianer, Alabamer — die
Parteien ſind ſo geſtellt, daß Alle gegen Alle kämpfen. Denn nicht
Kampf, ſondern Chaos ſoll es zugleich ſein. Nicht Schläge müſſen fallen,
ſondern ſie müſſen auch unverſehens fallen, Jeder muß doppelt angegriffen
werden: wie er's erwartet und wie er's nicht erwartet. Das gibt Ueberra¬
ſchung und Schadenfreude, das belebt das allgemeine Getümmel mit einer
Menge intereſſanter Detailzüge. Oder was kann wonnevoller ſein, als zu
ſehen, wie der Schlagriemen gegen das Bowiemeſſer klatſcht, während
die Flinte auf den Schlagriemen anlegt, und der Stahldegen rücklings
die Flinte anfällt? Solche Gruppen führen ſich blitzgleich dem Zu¬
ſchauer vor, löſen ſich auf, arrangiren ſich wieder, Alles reißt ſich im
Wirbel einander fort, die ganze Maſſe iſt im glühenden Fluß, ein
Feuer durchrast dieſe Action, das gegen deutſche Theaterſchlachten ab¬
ſticht, wie eine Brandrakete gegen ein fliegendes Glühwürmchen. Das
Gemälde fällt freilich aus dem Scheinbaren in die baarſte Wirklichkeit,
aber wenn die dramatiſche Kunſt hier aufhört, ſo wird wenigſtens die
unglaubliche Gymnaſtik bewundert, womit ſich der Menſchenknäuel wirk¬
lichen Tödtungen und Verwundungen entzieht, da er gleichwohl einen
wirklichen Kampf aufführt. Auch die exacteſten Theaterproben, ſcheint's,
können ein ſolches Enſemble nicht herſtellen, und wie enorm wären die

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[91/0109] mächtig geworden, in aller Gemüthlichkeit ihre Compactaten beſprechen, ändert ſich die politiſche Sachlage. Die Handlung ſpielt ungefähr in dem Winkel zwiſchen Miſſiſſippi, Teneſſee und Alabama. Von Ken¬ tucky herüber paſſirt ein Zug von Anſiedlern durch, welche nach Texas auswandern, — wilde, gerüſtete Hinterwaldsgeſtalten wobei dem lieben Benjamin das Herz im Leibe lacht. Schnell verläßt er die Parthie des Sclavenhändlers, der ohnedies nicht „geſund“ wäre, und ſucht das Bündniß dieſer neuen Abenteuerer für ſein Vorhaben. Nun denke man! Von einer Seite der Sclavenhändler mit Black Hamk und einem aufgewiegelten Indianer-Stamme, von der andern Benjamin Ridge mit den wilden Kentuckyern und endlich der Kapitän Drivvle, der zu ſeinem Schutze ein paar Compagnien Alabamer Landmiliz re¬ quirirt — ſo thürmen ſich drei Prügel-Gewitter zugleich am Horizonte auf: wen ſollten nicht Wonneſchauer ſchütteln? Viele der Zuſchauer ſieht man ihre Plätze verlaſſen, um im benachbarten „bar“ durch ein Glas Rum ihre Nerven für den bevorſtehenden Kunſtgenuß zu ſtählen. Der Sturm bricht los. Kentuckyer, Indianer, Alabamer — die Parteien ſind ſo geſtellt, daß Alle gegen Alle kämpfen. Denn nicht Kampf, ſondern Chaos ſoll es zugleich ſein. Nicht Schläge müſſen fallen, ſondern ſie müſſen auch unverſehens fallen, Jeder muß doppelt angegriffen werden: wie er's erwartet und wie er's nicht erwartet. Das gibt Ueberra¬ ſchung und Schadenfreude, das belebt das allgemeine Getümmel mit einer Menge intereſſanter Detailzüge. Oder was kann wonnevoller ſein, als zu ſehen, wie der Schlagriemen gegen das Bowiemeſſer klatſcht, während die Flinte auf den Schlagriemen anlegt, und der Stahldegen rücklings die Flinte anfällt? Solche Gruppen führen ſich blitzgleich dem Zu¬ ſchauer vor, löſen ſich auf, arrangiren ſich wieder, Alles reißt ſich im Wirbel einander fort, die ganze Maſſe iſt im glühenden Fluß, ein Feuer durchrast dieſe Action, das gegen deutſche Theaterſchlachten ab¬ ſticht, wie eine Brandrakete gegen ein fliegendes Glühwürmchen. Das Gemälde fällt freilich aus dem Scheinbaren in die baarſte Wirklichkeit, aber wenn die dramatiſche Kunſt hier aufhört, ſo wird wenigſtens die unglaubliche Gymnaſtik bewundert, womit ſich der Menſchenknäuel wirk¬ lichen Tödtungen und Verwundungen entzieht, da er gleichwohl einen wirklichen Kampf aufführt. Auch die exacteſten Theaterproben, ſcheint's, können ein ſolches Enſemble nicht herſtellen, und wie enorm wären die

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/109>, abgerufen am 29.04.2024.