Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Uhland'schen Königstöchter, um jener Goethe'schen Gretchens und Klär¬
chens willen, die in der schlichten Tiefe, in der süßen Innigkeit, in
der duftigsten Zartheit und gewagtesten Kraft ihrer Empfindung als
reizende Typen des Geschlechtes, ja als der weibliche Genius über¬
haupt uns erschienen sind? Warum wollten wir diese Wahrheit leugnen,
Mr. Howland?

Der leichte Seufzer, womit das schöne Kind Newyork's dieses Wort
begleitete, schien unserm Freunde nicht ohne einen Anflug graciöser
Koketterie. Er hätte das weibliche Herz sehr mißverstanden, wenn er
diese Anerkennung nicht mit einer leichten Schattirung von Medisance
erwiedert hätte. Er antwortete:

Sie überzeugen mich auf's angenehmste, verehrte Miß, daß der
Schönheitsadel aller Nationen mit Leichtigkeit an seinen gemeinsamen
Familienzügen sich erkennt. Sie nennen glänzende Dichternamen als Träger
des deutschen Frauenruhms und umgehen es mit Zartsinn, daß nur
die eigene Vortrefflichkeit das Verständniß des Vortrefflichen vermittelt,
und daß der goldenste Dichtermund ohne sympathetische Herzen so
stumm wäre, als spräche er in einem Luftballon jenseits der Grenze,
wo die Atmosphäre den Schall nicht mehr fortpflanzt. Aber ich muß
mich vertheidigen. Nicht aus Widerspruchslust, sondern nur, damit
die Imputation, welche dieser ehrenwerthe Gentleman aussprach, nicht
mehr Wahrscheinlichkeit gewinne, als ihr gebührt, erlaube ich mir doch
zu bemerken, daß der deutsche Frauencharakter weit entfernt ist, auf
der Höhe jenes Abschlusses zu stehen, welcher den, der auch anderer
Länder Menschen kennen lernen will, als einen Verächter des vater¬
ländischen Ideals erscheinen ließe. Das poetische Deutschland ist nicht
das wirkliche. Die Dichter sagen die Wahrheit, aber nicht die ganze
Wahrheit. Der schöne grüne Jungfraunkranz könnte immer noch schö¬
ner und grüner sein. Es liegt viel Mehlthau darauf. Empfindung
ist häufig Sentimentalität, d. h. Empfindung ohne Gegenstand, oder
ohne großen Gegenstand; vermeinte Sinnigkeit bedeutet oft die Ab¬
wesenheit der Sinne, und jene kühle, nur deutschen Mädchen eigen¬
thümliche Schwermuth, welche aus dem dunklen Bewußtsein geistiger
Kraftlosigkeit kommt; durch den Blumenflor aller weiblichen Tugenden
schleicht sich die Prüderie und pinselt die schönsten Rosen mit Zinober
an, gleichsam um mit Pferdekraft zu erröthen. Es ist viel Schwäch¬

Uhland'ſchen Königstöchter, um jener Goethe'ſchen Gretchens und Klär¬
chens willen, die in der ſchlichten Tiefe, in der ſüßen Innigkeit, in
der duftigſten Zartheit und gewagteſten Kraft ihrer Empfindung als
reizende Typen des Geſchlechtes, ja als der weibliche Genius über¬
haupt uns erſchienen ſind? Warum wollten wir dieſe Wahrheit leugnen,
Mr. Howland?

Der leichte Seufzer, womit das ſchöne Kind Newyork's dieſes Wort
begleitete, ſchien unſerm Freunde nicht ohne einen Anflug graciöſer
Koketterie. Er hätte das weibliche Herz ſehr mißverſtanden, wenn er
dieſe Anerkennung nicht mit einer leichten Schattirung von Mediſance
erwiedert hätte. Er antwortete:

Sie überzeugen mich auf's angenehmſte, verehrte Miß, daß der
Schönheitsadel aller Nationen mit Leichtigkeit an ſeinen gemeinſamen
Familienzügen ſich erkennt. Sie nennen glänzende Dichternamen als Träger
des deutſchen Frauenruhms und umgehen es mit Zartſinn, daß nur
die eigene Vortrefflichkeit das Verſtändniß des Vortrefflichen vermittelt,
und daß der goldenſte Dichtermund ohne ſympathetiſche Herzen ſo
ſtumm wäre, als ſpräche er in einem Luftballon jenſeits der Grenze,
wo die Atmoſphäre den Schall nicht mehr fortpflanzt. Aber ich muß
mich vertheidigen. Nicht aus Widerſpruchsluſt, ſondern nur, damit
die Imputation, welche dieſer ehrenwerthe Gentleman ausſprach, nicht
mehr Wahrſcheinlichkeit gewinne, als ihr gebührt, erlaube ich mir doch
zu bemerken, daß der deutſche Frauencharakter weit entfernt iſt, auf
der Höhe jenes Abſchluſſes zu ſtehen, welcher den, der auch anderer
Länder Menſchen kennen lernen will, als einen Verächter des vater¬
ländiſchen Ideals erſcheinen ließe. Das poetiſche Deutſchland iſt nicht
das wirkliche. Die Dichter ſagen die Wahrheit, aber nicht die ganze
Wahrheit. Der ſchöne grüne Jungfraunkranz könnte immer noch ſchö¬
ner und grüner ſein. Es liegt viel Mehlthau darauf. Empfindung
iſt häufig Sentimentalität, d. h. Empfindung ohne Gegenſtand, oder
ohne großen Gegenſtand; vermeinte Sinnigkeit bedeutet oft die Ab¬
weſenheit der Sinne, und jene kühle, nur deutſchen Mädchen eigen¬
thümliche Schwermuth, welche aus dem dunklen Bewußtſein geiſtiger
Kraftloſigkeit kommt; durch den Blumenflor aller weiblichen Tugenden
ſchleicht ſich die Prüderie und pinſelt die ſchönſten Roſen mit Zinober
an, gleichſam um mit Pferdekraft zu erröthen. Es iſt viel Schwäch¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="242"/>
Uhland'&#x017F;chen Königstöchter, um jener Goethe'&#x017F;chen Gretchens und Klär¬<lb/>
chens willen, die in der &#x017F;chlichten Tiefe, in der &#x017F;üßen Innigkeit, in<lb/>
der duftig&#x017F;ten Zartheit und gewagte&#x017F;ten Kraft ihrer Empfindung als<lb/>
reizende Typen des Ge&#x017F;chlechtes, ja als der weibliche Genius über¬<lb/>
haupt uns er&#x017F;chienen &#x017F;ind? Warum wollten wir die&#x017F;e Wahrheit leugnen,<lb/>
Mr. Howland?</p><lb/>
          <p>Der leichte Seufzer, womit das &#x017F;chöne Kind Newyork's die&#x017F;es Wort<lb/>
begleitete, &#x017F;chien un&#x017F;erm Freunde nicht ohne einen Anflug graciö&#x017F;er<lb/>
Koketterie. Er hätte das weibliche Herz &#x017F;ehr mißver&#x017F;tanden, wenn er<lb/>
die&#x017F;e Anerkennung nicht mit einer leichten Schattirung von Medi&#x017F;ance<lb/>
erwiedert hätte. Er antwortete:</p><lb/>
          <p>Sie überzeugen mich auf's angenehm&#x017F;te, verehrte Miß, daß der<lb/>
Schönheitsadel aller Nationen mit Leichtigkeit an &#x017F;einen gemein&#x017F;amen<lb/>
Familienzügen &#x017F;ich erkennt. Sie nennen glänzende Dichternamen als Träger<lb/>
des deut&#x017F;chen Frauenruhms und umgehen es mit Zart&#x017F;inn, daß nur<lb/>
die eigene Vortrefflichkeit das Ver&#x017F;tändniß des Vortrefflichen vermittelt,<lb/>
und daß der golden&#x017F;te Dichtermund ohne &#x017F;ympatheti&#x017F;che Herzen &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tumm wäre, als &#x017F;präche er in einem Luftballon jen&#x017F;eits der Grenze,<lb/>
wo die Atmo&#x017F;phäre den Schall nicht mehr fortpflanzt. Aber ich muß<lb/>
mich vertheidigen. Nicht aus Wider&#x017F;pruchslu&#x017F;t, &#x017F;ondern nur, damit<lb/>
die Imputation, welche die&#x017F;er ehrenwerthe Gentleman aus&#x017F;prach, nicht<lb/>
mehr Wahr&#x017F;cheinlichkeit gewinne, als ihr gebührt, erlaube ich mir doch<lb/>
zu bemerken, daß der deut&#x017F;che Frauencharakter weit entfernt i&#x017F;t, auf<lb/>
der Höhe jenes Ab&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es zu &#x017F;tehen, welcher den, der auch anderer<lb/>
Länder Men&#x017F;chen kennen lernen will, als einen Verächter des vater¬<lb/>
ländi&#x017F;chen Ideals er&#x017F;cheinen ließe. Das poeti&#x017F;che Deut&#x017F;chland i&#x017F;t nicht<lb/>
das wirkliche. Die Dichter &#x017F;agen die Wahrheit, aber nicht die ganze<lb/>
Wahrheit. Der &#x017F;chöne grüne Jungfraunkranz könnte immer noch &#x017F;chö¬<lb/>
ner und grüner &#x017F;ein. Es liegt viel Mehlthau darauf. Empfindung<lb/>
i&#x017F;t häufig Sentimentalität, d. h. Empfindung ohne Gegen&#x017F;tand, oder<lb/>
ohne großen Gegen&#x017F;tand; vermeinte Sinnigkeit bedeutet oft die Ab¬<lb/>
we&#x017F;enheit der Sinne, und jene kühle, nur deut&#x017F;chen Mädchen eigen¬<lb/>
thümliche Schwermuth, welche aus dem dunklen Bewußt&#x017F;ein gei&#x017F;tiger<lb/>
Kraftlo&#x017F;igkeit kommt; durch den Blumenflor aller weiblichen Tugenden<lb/>
&#x017F;chleicht &#x017F;ich die Prüderie und pin&#x017F;elt die &#x017F;chön&#x017F;ten Ro&#x017F;en mit Zinober<lb/>
an, gleich&#x017F;am um mit Pferdekraft zu erröthen. Es i&#x017F;t viel Schwäch¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[242/0260] Uhland'ſchen Königstöchter, um jener Goethe'ſchen Gretchens und Klär¬ chens willen, die in der ſchlichten Tiefe, in der ſüßen Innigkeit, in der duftigſten Zartheit und gewagteſten Kraft ihrer Empfindung als reizende Typen des Geſchlechtes, ja als der weibliche Genius über¬ haupt uns erſchienen ſind? Warum wollten wir dieſe Wahrheit leugnen, Mr. Howland? Der leichte Seufzer, womit das ſchöne Kind Newyork's dieſes Wort begleitete, ſchien unſerm Freunde nicht ohne einen Anflug graciöſer Koketterie. Er hätte das weibliche Herz ſehr mißverſtanden, wenn er dieſe Anerkennung nicht mit einer leichten Schattirung von Mediſance erwiedert hätte. Er antwortete: Sie überzeugen mich auf's angenehmſte, verehrte Miß, daß der Schönheitsadel aller Nationen mit Leichtigkeit an ſeinen gemeinſamen Familienzügen ſich erkennt. Sie nennen glänzende Dichternamen als Träger des deutſchen Frauenruhms und umgehen es mit Zartſinn, daß nur die eigene Vortrefflichkeit das Verſtändniß des Vortrefflichen vermittelt, und daß der goldenſte Dichtermund ohne ſympathetiſche Herzen ſo ſtumm wäre, als ſpräche er in einem Luftballon jenſeits der Grenze, wo die Atmoſphäre den Schall nicht mehr fortpflanzt. Aber ich muß mich vertheidigen. Nicht aus Widerſpruchsluſt, ſondern nur, damit die Imputation, welche dieſer ehrenwerthe Gentleman ausſprach, nicht mehr Wahrſcheinlichkeit gewinne, als ihr gebührt, erlaube ich mir doch zu bemerken, daß der deutſche Frauencharakter weit entfernt iſt, auf der Höhe jenes Abſchluſſes zu ſtehen, welcher den, der auch anderer Länder Menſchen kennen lernen will, als einen Verächter des vater¬ ländiſchen Ideals erſcheinen ließe. Das poetiſche Deutſchland iſt nicht das wirkliche. Die Dichter ſagen die Wahrheit, aber nicht die ganze Wahrheit. Der ſchöne grüne Jungfraunkranz könnte immer noch ſchö¬ ner und grüner ſein. Es liegt viel Mehlthau darauf. Empfindung iſt häufig Sentimentalität, d. h. Empfindung ohne Gegenſtand, oder ohne großen Gegenſtand; vermeinte Sinnigkeit bedeutet oft die Ab¬ weſenheit der Sinne, und jene kühle, nur deutſchen Mädchen eigen¬ thümliche Schwermuth, welche aus dem dunklen Bewußtſein geiſtiger Kraftloſigkeit kommt; durch den Blumenflor aller weiblichen Tugenden ſchleicht ſich die Prüderie und pinſelt die ſchönſten Roſen mit Zinober an, gleichſam um mit Pferdekraft zu erröthen. Es iſt viel Schwäch¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/260
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/260>, abgerufen am 09.05.2024.