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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mühte sich Moorfeld vergebens, in seinen Mienen wahrzunehmen.
Dieses Antlitz schien nur noch des Ausdrucks der Sorge fähig. Die
Sorge war heute gewichen, aber der Glanz der Freude darum nicht
aufgegangen. Der ernste Gleichmuth der Alltäglichkeit herrschte
darin.

Anhorst bemühte sich, seinem "Grundherren" ein erträgliches Früh¬
stück vorzusetzen und lobte den relativen Werth einiger Kaffeebohnen,
über die er verfüge. Moorfeld überreichte ihm seinen ständigen Reise¬
vorrath von Bouillon- und Chokolate-Tafeln. Bei diesem Anblick
sah Moorfeld das erste Lächeln auf Anhorst's Miene. "Ach, mein
Herr, was sind die Freuden des Einsamen!" vernahm er's in seinem
Innern. Er dachte an den Zellengefangenen in Philadelphia.

Die rauhe Blockhütte duftete bald von dem feinen Arom der Va¬
nille. Moorfeld fing an, von Benthal zu sprechen. Der Dritte ist
stets das beste Auskunftsmittel, wo Zwei so vollen oder fremden
Herzens sind, daß ihr Gegenüber stockt. Ueberdies stand dieses Thema
mit unter den nächsten, welche hier Boden hatten.

Anhorst schien mit Vergnügen von Moorfeld's Plänen zu hören,
-- mit mehr sogar, als womit dieser selbst in gegenwärtiger Ge¬
müthsverfassung von ihnen sprach.

Er ergriff die Gelegenheit, auch seinerseits mit einem kleinen
Projekte hervorzutreten. Durch Moorfeld's Güte, sagte er, habe er
den Kaufschilling für sein Grundstück erspart und zur Disposition.
Er wisse ihm eine vortheilhafte Beschäftigung. Der Einfall sei ihm
schon gestern im Nachhausereiten aufgetaucht. An den oberen Seen
ströme jetzt viel Volk zusammen. Ueber weite Distrikte ergieße sich
ein Andrang von Colonisten, die Alles bedürften und Nichts hätten.
Eine Zufuhr von Saatkorn und Lebensmitteln dahin müsse ungeheuer
rentiren. Er hätte Lust, sein kleines Capital in solch einem Versuche
arbeiten zu lassen. Er würde an der Erie hinabgehen, unterwegs von
den kleineren Farmern, die frühzeitig einärnten, um rasch Geld zu
machen, wohlfeiles Neukorn haben können, und damit einen Export
nach dem Westen wahrscheinlich höchst lohnend unternehmen.

Moorfeld erstaunte über die Zähigkeit der menschlichen Natur. Sie
wagen sich noch einmal auf die hohe See der Spekulation! rief er
mit unverholener Bewunderung.

mühte ſich Moorfeld vergebens, in ſeinen Mienen wahrzunehmen.
Dieſes Antlitz ſchien nur noch des Ausdrucks der Sorge fähig. Die
Sorge war heute gewichen, aber der Glanz der Freude darum nicht
aufgegangen. Der ernſte Gleichmuth der Alltäglichkeit herrſchte
darin.

Anhorſt bemühte ſich, ſeinem „Grundherren“ ein erträgliches Früh¬
ſtück vorzuſetzen und lobte den relativen Werth einiger Kaffeebohnen,
über die er verfüge. Moorfeld überreichte ihm ſeinen ſtändigen Reiſe¬
vorrath von Bouillon- und Chokolate-Tafeln. Bei dieſem Anblick
ſah Moorfeld das erſte Lächeln auf Anhorſt's Miene. „Ach, mein
Herr, was ſind die Freuden des Einſamen!“ vernahm er's in ſeinem
Innern. Er dachte an den Zellengefangenen in Philadelphia.

Die rauhe Blockhütte duftete bald von dem feinen Arom der Va¬
nille. Moorfeld fing an, von Benthal zu ſprechen. Der Dritte iſt
ſtets das beſte Auskunftsmittel, wo Zwei ſo vollen oder fremden
Herzens ſind, daß ihr Gegenüber ſtockt. Ueberdies ſtand dieſes Thema
mit unter den nächſten, welche hier Boden hatten.

Anhorſt ſchien mit Vergnügen von Moorfeld's Plänen zu hören,
— mit mehr ſogar, als womit dieſer ſelbſt in gegenwärtiger Ge¬
müthsverfaſſung von ihnen ſprach.

Er ergriff die Gelegenheit, auch ſeinerſeits mit einem kleinen
Projekte hervorzutreten. Durch Moorfeld's Güte, ſagte er, habe er
den Kaufſchilling für ſein Grundſtück erſpart und zur Dispoſition.
Er wiſſe ihm eine vortheilhafte Beſchäftigung. Der Einfall ſei ihm
ſchon geſtern im Nachhauſereiten aufgetaucht. An den oberen Seen
ſtröme jetzt viel Volk zuſammen. Ueber weite Diſtrikte ergieße ſich
ein Andrang von Coloniſten, die Alles bedürften und Nichts hätten.
Eine Zufuhr von Saatkorn und Lebensmitteln dahin müſſe ungeheuer
rentiren. Er hätte Luſt, ſein kleines Capital in ſolch einem Verſuche
arbeiten zu laſſen. Er würde an der Erie hinabgehen, unterwegs von
den kleineren Farmern, die frühzeitig einärnten, um raſch Geld zu
machen, wohlfeiles Neukorn haben können, und damit einen Export
nach dem Weſten wahrſcheinlich höchſt lohnend unternehmen.

Moorfeld erſtaunte über die Zähigkeit der menſchlichen Natur. Sie
wagen ſich noch einmal auf die hohe See der Spekulation! rief er
mit unverholener Bewunderung.

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[318/0336] mühte ſich Moorfeld vergebens, in ſeinen Mienen wahrzunehmen. Dieſes Antlitz ſchien nur noch des Ausdrucks der Sorge fähig. Die Sorge war heute gewichen, aber der Glanz der Freude darum nicht aufgegangen. Der ernſte Gleichmuth der Alltäglichkeit herrſchte darin. Anhorſt bemühte ſich, ſeinem „Grundherren“ ein erträgliches Früh¬ ſtück vorzuſetzen und lobte den relativen Werth einiger Kaffeebohnen, über die er verfüge. Moorfeld überreichte ihm ſeinen ſtändigen Reiſe¬ vorrath von Bouillon- und Chokolate-Tafeln. Bei dieſem Anblick ſah Moorfeld das erſte Lächeln auf Anhorſt's Miene. „Ach, mein Herr, was ſind die Freuden des Einſamen!“ vernahm er's in ſeinem Innern. Er dachte an den Zellengefangenen in Philadelphia. Die rauhe Blockhütte duftete bald von dem feinen Arom der Va¬ nille. Moorfeld fing an, von Benthal zu ſprechen. Der Dritte iſt ſtets das beſte Auskunftsmittel, wo Zwei ſo vollen oder fremden Herzens ſind, daß ihr Gegenüber ſtockt. Ueberdies ſtand dieſes Thema mit unter den nächſten, welche hier Boden hatten. Anhorſt ſchien mit Vergnügen von Moorfeld's Plänen zu hören, — mit mehr ſogar, als womit dieſer ſelbſt in gegenwärtiger Ge¬ müthsverfaſſung von ihnen ſprach. Er ergriff die Gelegenheit, auch ſeinerſeits mit einem kleinen Projekte hervorzutreten. Durch Moorfeld's Güte, ſagte er, habe er den Kaufſchilling für ſein Grundſtück erſpart und zur Dispoſition. Er wiſſe ihm eine vortheilhafte Beſchäftigung. Der Einfall ſei ihm ſchon geſtern im Nachhauſereiten aufgetaucht. An den oberen Seen ſtröme jetzt viel Volk zuſammen. Ueber weite Diſtrikte ergieße ſich ein Andrang von Coloniſten, die Alles bedürften und Nichts hätten. Eine Zufuhr von Saatkorn und Lebensmitteln dahin müſſe ungeheuer rentiren. Er hätte Luſt, ſein kleines Capital in ſolch einem Verſuche arbeiten zu laſſen. Er würde an der Erie hinabgehen, unterwegs von den kleineren Farmern, die frühzeitig einärnten, um raſch Geld zu machen, wohlfeiles Neukorn haben können, und damit einen Export nach dem Weſten wahrſcheinlich höchſt lohnend unternehmen. Moorfeld erſtaunte über die Zähigkeit der menſchlichen Natur. Sie wagen ſich noch einmal auf die hohe See der Spekulation! rief er mit unverholener Bewunderung.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/336>, abgerufen am 29.04.2024.