Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

currenz erscheinen, denn er hat im Productenhandel sein Schäfchen
sonst ziemlich allein geschoren. Gut, wir werden Feinde haben, ant¬
wortete Moorfeld.

Ueber Lisbon hinaus verengerte sich der sociale Horizont jener ein¬
samen Gegend. Die übrigen Waldnachbarn Moorfeld's waren es nur
sehr relativ, denn der nächste lag noch immer zehn Meilen fern. Wir
werden nicht Ursache haben, Moorfeld's Runde durch dieselben auf jedem
Schritte zu begleiten, da weder der rohe Styl dieser culturlosen Far¬
men, noch das stumpfe Menschenthum ihrer Inhaber ihm irgend ein
nennenswerthes Interesse abnöthigt. Doch wollen wir einzelne seiner
Besuche nicht mit Stillschweigen übergehen.

Gleich den ersten können wir mit seinen eigenen Worten nach ei¬
nem Briefe an Benthal erzählen. Noch war unser neuer Ansiedler
nicht dazu gekommen, die Geschichte seines Ankaufs, die Charakteristik
von Neu-Lisbon, von Anhorst u. s. w. zu Papier zu bringen, als
er sich eines Tages hinsetzte, und folgende Zeilen niederschrieb:

Eine kleine Liebschaft! daß mir aber Möwe ja nicht eifersüchtig
wird! Anhorst war nach Neu-Lisbon geritten in Besorgung einiger
Allotria zu seiner Marktfahrt. Ich saß in meinem Blockpalast allein,
spielte Violine, concipirte in Gedanken ein paar rückständige Briefe
an Dich, welche dem gegenwärtigen vorzudatiren sind und, will's Gott,
nächstens auch dran sollen. Aber noch binden sich meine Lebensgeister
schwer an's Haus, ich warf Violine und Concepte bald hinter mich,
und trabte auf ein paar Meilen in's Freie hinaus. Ohne meinen
Stallmeister sollt' ich's freilich bleiben lassen, meine wilde Grafschaft
zu inspiciren; das Ländchen hat so wenig Weg und Steg als der
blaue Himmel, oder das grüne Meer. Es ging mir auch darnach.
Denn kaum hatt' ich den Platanen und den Fichten, den Eichen,
Gummi- und Eisenholzbäumen etc. ihren sechstägigen Herrn und
Meister in verschiedenen Facaden gezeigt, als ich mit meinem Cäsar
vollkommen im Irren trieb. Es ging wie mit einem Zauber zu, daß
ich mich plötzlich in wildfremden Bezirken sah. Ich war einem Bache
gefolgt, welchen ich lange für meinen Bach hielt, denn es ist merk¬
würdig wie gleich sich hier alle Naturansichten sind. Die stille Quell¬
rinne führte mich aber allmälig tiefer in das Geholz anstatt auf meine
Boccage heraus; ich setzte ein paarmal über, je nachdem mir dieser

currenz erſcheinen, denn er hat im Productenhandel ſein Schäfchen
ſonſt ziemlich allein geſchoren. Gut, wir werden Feinde haben, ant¬
wortete Moorfeld.

Ueber Lisbon hinaus verengerte ſich der ſociale Horizont jener ein¬
ſamen Gegend. Die übrigen Waldnachbarn Moorfeld's waren es nur
ſehr relativ, denn der nächſte lag noch immer zehn Meilen fern. Wir
werden nicht Urſache haben, Moorfeld's Runde durch dieſelben auf jedem
Schritte zu begleiten, da weder der rohe Styl dieſer culturloſen Far¬
men, noch das ſtumpfe Menſchenthum ihrer Inhaber ihm irgend ein
nennenswerthes Intereſſe abnöthigt. Doch wollen wir einzelne ſeiner
Beſuche nicht mit Stillſchweigen übergehen.

Gleich den erſten können wir mit ſeinen eigenen Worten nach ei¬
nem Briefe an Benthal erzählen. Noch war unſer neuer Anſiedler
nicht dazu gekommen, die Geſchichte ſeines Ankaufs, die Charakteriſtik
von Neu-Lisbon, von Anhorſt u. ſ. w. zu Papier zu bringen, als
er ſich eines Tages hinſetzte, und folgende Zeilen niederſchrieb:

Eine kleine Liebſchaft! daß mir aber Möwe ja nicht eiferſüchtig
wird! Anhorſt war nach Neu-Lisbon geritten in Beſorgung einiger
Allotria zu ſeiner Marktfahrt. Ich ſaß in meinem Blockpalaſt allein,
ſpielte Violine, concipirte in Gedanken ein paar rückſtändige Briefe
an Dich, welche dem gegenwärtigen vorzudatiren ſind und, will's Gott,
nächſtens auch dran ſollen. Aber noch binden ſich meine Lebensgeiſter
ſchwer an's Haus, ich warf Violine und Concepte bald hinter mich,
und trabte auf ein paar Meilen in's Freie hinaus. Ohne meinen
Stallmeiſter ſollt' ich's freilich bleiben laſſen, meine wilde Grafſchaft
zu inſpiciren; das Ländchen hat ſo wenig Weg und Steg als der
blaue Himmel, oder das grüne Meer. Es ging mir auch darnach.
Denn kaum hatt' ich den Platanen und den Fichten, den Eichen,
Gummi- und Eiſenholzbäumen ꝛc. ihren ſechstägigen Herrn und
Meiſter in verſchiedenen Façaden gezeigt, als ich mit meinem Cäſar
vollkommen im Irren trieb. Es ging wie mit einem Zauber zu, daß
ich mich plötzlich in wildfremden Bezirken ſah. Ich war einem Bache
gefolgt, welchen ich lange für meinen Bach hielt, denn es iſt merk¬
würdig wie gleich ſich hier alle Naturanſichten ſind. Die ſtille Quell¬
rinne führte mich aber allmälig tiefer in das Geholz anſtatt auf meine
Boccage heraus; ich ſetzte ein paarmal über, je nachdem mir dieſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0349" n="331"/>
currenz er&#x017F;cheinen, denn er hat im Productenhandel &#x017F;ein Schäfchen<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t ziemlich allein ge&#x017F;choren. Gut, wir werden Feinde haben, ant¬<lb/>
wortete Moorfeld.</p><lb/>
          <p>Ueber Lisbon hinaus verengerte &#x017F;ich der &#x017F;ociale Horizont jener ein¬<lb/>
&#x017F;amen Gegend. Die übrigen Waldnachbarn Moorfeld's waren es nur<lb/>
&#x017F;ehr relativ, denn der näch&#x017F;te lag noch immer zehn Meilen fern. Wir<lb/>
werden nicht Ur&#x017F;ache haben, Moorfeld's Runde durch die&#x017F;elben auf jedem<lb/>
Schritte zu begleiten, da weder der rohe Styl die&#x017F;er culturlo&#x017F;en Far¬<lb/>
men, noch das &#x017F;tumpfe Men&#x017F;chenthum ihrer Inhaber ihm irgend ein<lb/>
nennenswerthes Intere&#x017F;&#x017F;e abnöthigt. Doch wollen wir einzelne &#x017F;einer<lb/>
Be&#x017F;uche nicht mit Still&#x017F;chweigen übergehen.</p><lb/>
          <p>Gleich den er&#x017F;ten können wir mit &#x017F;einen eigenen Worten nach ei¬<lb/>
nem Briefe an Benthal erzählen. Noch war un&#x017F;er neuer An&#x017F;iedler<lb/>
nicht dazu gekommen, die Ge&#x017F;chichte &#x017F;eines Ankaufs, die Charakteri&#x017F;tik<lb/>
von Neu-Lisbon, von Anhor&#x017F;t u. &#x017F;. w. zu Papier zu bringen, als<lb/>
er &#x017F;ich eines Tages hin&#x017F;etzte, und folgende Zeilen nieder&#x017F;chrieb:</p><lb/>
          <p>Eine kleine Lieb&#x017F;chaft! daß mir aber Möwe ja nicht eifer&#x017F;üchtig<lb/>
wird! Anhor&#x017F;t war nach Neu-Lisbon geritten in Be&#x017F;orgung einiger<lb/>
Allotria zu &#x017F;einer Marktfahrt. Ich &#x017F;aß in meinem Blockpala&#x017F;t allein,<lb/>
&#x017F;pielte Violine, concipirte in Gedanken ein paar rück&#x017F;tändige Briefe<lb/>
an Dich, welche dem gegenwärtigen vorzudatiren &#x017F;ind und, will's Gott,<lb/>
näch&#x017F;tens auch dran &#x017F;ollen. Aber noch binden &#x017F;ich meine Lebensgei&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;chwer an's Haus, ich warf Violine und Concepte bald hinter mich,<lb/>
und trabte auf ein paar Meilen in's Freie hinaus. Ohne meinen<lb/>
Stallmei&#x017F;ter &#x017F;ollt' ich's freilich bleiben la&#x017F;&#x017F;en, meine wilde Graf&#x017F;chaft<lb/>
zu in&#x017F;piciren; das Ländchen hat &#x017F;o wenig Weg und Steg als der<lb/>
blaue Himmel, oder das grüne Meer. Es ging mir auch darnach.<lb/>
Denn kaum hatt' ich den Platanen und den Fichten, den Eichen,<lb/>
Gummi- und Ei&#x017F;enholzbäumen &#xA75B;c. ihren &#x017F;echstägigen Herrn und<lb/>
Mei&#x017F;ter in ver&#x017F;chiedenen Fa<hi rendition="#aq">ç</hi>aden gezeigt, als ich mit meinem Cä&#x017F;ar<lb/>
vollkommen im Irren trieb. Es ging wie mit einem Zauber zu, daß<lb/>
ich mich plötzlich in wildfremden Bezirken &#x017F;ah. Ich war einem Bache<lb/>
gefolgt, welchen ich lange für <hi rendition="#g">meinen</hi> Bach hielt, denn es i&#x017F;t merk¬<lb/>
würdig wie gleich &#x017F;ich hier alle Naturan&#x017F;ichten &#x017F;ind. Die &#x017F;tille Quell¬<lb/>
rinne führte mich aber allmälig tiefer in das Geholz an&#x017F;tatt auf meine<lb/>
Boccage heraus; ich &#x017F;etzte ein paarmal über, je nachdem mir die&#x017F;er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[331/0349] currenz erſcheinen, denn er hat im Productenhandel ſein Schäfchen ſonſt ziemlich allein geſchoren. Gut, wir werden Feinde haben, ant¬ wortete Moorfeld. Ueber Lisbon hinaus verengerte ſich der ſociale Horizont jener ein¬ ſamen Gegend. Die übrigen Waldnachbarn Moorfeld's waren es nur ſehr relativ, denn der nächſte lag noch immer zehn Meilen fern. Wir werden nicht Urſache haben, Moorfeld's Runde durch dieſelben auf jedem Schritte zu begleiten, da weder der rohe Styl dieſer culturloſen Far¬ men, noch das ſtumpfe Menſchenthum ihrer Inhaber ihm irgend ein nennenswerthes Intereſſe abnöthigt. Doch wollen wir einzelne ſeiner Beſuche nicht mit Stillſchweigen übergehen. Gleich den erſten können wir mit ſeinen eigenen Worten nach ei¬ nem Briefe an Benthal erzählen. Noch war unſer neuer Anſiedler nicht dazu gekommen, die Geſchichte ſeines Ankaufs, die Charakteriſtik von Neu-Lisbon, von Anhorſt u. ſ. w. zu Papier zu bringen, als er ſich eines Tages hinſetzte, und folgende Zeilen niederſchrieb: Eine kleine Liebſchaft! daß mir aber Möwe ja nicht eiferſüchtig wird! Anhorſt war nach Neu-Lisbon geritten in Beſorgung einiger Allotria zu ſeiner Marktfahrt. Ich ſaß in meinem Blockpalaſt allein, ſpielte Violine, concipirte in Gedanken ein paar rückſtändige Briefe an Dich, welche dem gegenwärtigen vorzudatiren ſind und, will's Gott, nächſtens auch dran ſollen. Aber noch binden ſich meine Lebensgeiſter ſchwer an's Haus, ich warf Violine und Concepte bald hinter mich, und trabte auf ein paar Meilen in's Freie hinaus. Ohne meinen Stallmeiſter ſollt' ich's freilich bleiben laſſen, meine wilde Grafſchaft zu inſpiciren; das Ländchen hat ſo wenig Weg und Steg als der blaue Himmel, oder das grüne Meer. Es ging mir auch darnach. Denn kaum hatt' ich den Platanen und den Fichten, den Eichen, Gummi- und Eiſenholzbäumen ꝛc. ihren ſechstägigen Herrn und Meiſter in verſchiedenen Façaden gezeigt, als ich mit meinem Cäſar vollkommen im Irren trieb. Es ging wie mit einem Zauber zu, daß ich mich plötzlich in wildfremden Bezirken ſah. Ich war einem Bache gefolgt, welchen ich lange für meinen Bach hielt, denn es iſt merk¬ würdig wie gleich ſich hier alle Naturanſichten ſind. Die ſtille Quell¬ rinne führte mich aber allmälig tiefer in das Geholz anſtatt auf meine Boccage heraus; ich ſetzte ein paarmal über, je nachdem mir dieſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/349
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/349>, abgerufen am 09.05.2024.