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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mir den Weg an. So kamen wir bald aus dem Walde. In Kurzem
lag Vater Ermar's Hofstelle vor uns.

Der Hufschlag lockte schon von Weitem die Eltern vor das Haus.
Sie sahen verwundert ihr Kind zu Pferd ankommen, das zu Fuß
ausgegangen war.

Ich gab kurz meine einfachen Erklärungen.

Ich kann nicht sagen, daß ich im ersten Augenblicke besonders gast¬
lich angesehen war. Der Deutsche in Amerika hat immer etwas --
Verschämtes oder Abstoßendes, wenn er auf seinem einsamen Hof
überrascht wird. Und Westphälier sind schon von selbst nicht die in¬
finuantesten Menschen.

Der Mann sah mich aus harten und scharfen Zügen, wie aus
einer eisernen Maske an. Er war schlank und hoch gewachsen -- eine
lebendige Lanze. Seine Hakennase eine wahre heraldische Siegelprobe
von Energie und Charakter, sein Blauauge treu, wie der sicherste
Ankergrund. Die Mutter eine blasse, reine Frau, eine Erscheinung
wie ein Stück Damast. Ganz wie ich sie gedacht. Sie war ohne
Zweifel eine Honoratiorentochter ihrer einstigen Heimat. Der Vater
Teutoburg, die Mutter Bielefeld, würde dieses westphälische Paar ein
neumodischer Jung-Deutscher in seinem Ideen-Assonanzen-Etyl charak¬
terisiren.

Die Frau wartete das Benehmen ihres Mannes ab und der Mann
mein eigenes. Beide empfingen mich eigentlich gar nicht; es mußte
sich aus mir selbst zeigen, "was für ein Vogel ich sei".

Ich sprach natürlich von ihrem Kinde, der nächsten Veranlassung
dieses Rendezvous, und erkundigte mich, wie es hier um die Schule
stehe. Diese praktische Frage schien den Nagel auf den Kopf zu treffen.
Ich konnte sogleich sehen, daß man damit zufrieden war. Vor Allem
seufzte die Mutter lebhaft und antwortete: das sei allerdings traurig.
Eine deutsche Schule bestände nicht in der Gegend und zu den Engel¬
ländern schicke man seine deutschen Kinder gar zu schwer, sie lernten
nur ihre eigenen Eltern verunehren.

Ich erbot mich sofort zu Annettens Lehrer.

Die Frau sah ihren Mann an und der Mann hatte offenbar was
gehört, "was sich hören ließ". Ob ich gut lutherisch sei? war seine
erste Antwort darauf.

mir den Weg an. So kamen wir bald aus dem Walde. In Kurzem
lag Vater Ermar's Hofſtelle vor uns.

Der Hufſchlag lockte ſchon von Weitem die Eltern vor das Haus.
Sie ſahen verwundert ihr Kind zu Pferd ankommen, das zu Fuß
ausgegangen war.

Ich gab kurz meine einfachen Erklärungen.

Ich kann nicht ſagen, daß ich im erſten Augenblicke beſonders gaſt¬
lich angeſehen war. Der Deutſche in Amerika hat immer etwas —
Verſchämtes oder Abſtoßendes, wenn er auf ſeinem einſamen Hof
überraſcht wird. Und Weſtphälier ſind ſchon von ſelbſt nicht die in¬
finuanteſten Menſchen.

Der Mann ſah mich aus harten und ſcharfen Zügen, wie aus
einer eiſernen Maske an. Er war ſchlank und hoch gewachſen — eine
lebendige Lanze. Seine Hakennaſe eine wahre heraldiſche Siegelprobe
von Energie und Charakter, ſein Blauauge treu, wie der ſicherſte
Ankergrund. Die Mutter eine blaſſe, reine Frau, eine Erſcheinung
wie ein Stück Damaſt. Ganz wie ich ſie gedacht. Sie war ohne
Zweifel eine Honoratiorentochter ihrer einſtigen Heimat. Der Vater
Teutoburg, die Mutter Bielefeld, würde dieſes weſtphäliſche Paar ein
neumodiſcher Jung-Deutſcher in ſeinem Ideen-Aſſonanzen-Etyl charak¬
teriſiren.

Die Frau wartete das Benehmen ihres Mannes ab und der Mann
mein eigenes. Beide empfingen mich eigentlich gar nicht; es mußte
ſich aus mir ſelbſt zeigen, „was für ein Vogel ich ſei”.

Ich ſprach natürlich von ihrem Kinde, der nächſten Veranlaſſung
dieſes Rendezvous, und erkundigte mich, wie es hier um die Schule
ſtehe. Dieſe praktiſche Frage ſchien den Nagel auf den Kopf zu treffen.
Ich konnte ſogleich ſehen, daß man damit zufrieden war. Vor Allem
ſeufzte die Mutter lebhaft und antwortete: das ſei allerdings traurig.
Eine deutſche Schule beſtände nicht in der Gegend und zu den Engel¬
ländern ſchicke man ſeine deutſchen Kinder gar zu ſchwer, ſie lernten
nur ihre eigenen Eltern verunehren.

Ich erbot mich ſofort zu Annettens Lehrer.

Die Frau ſah ihren Mann an und der Mann hatte offenbar was
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[334/0352] mir den Weg an. So kamen wir bald aus dem Walde. In Kurzem lag Vater Ermar's Hofſtelle vor uns. Der Hufſchlag lockte ſchon von Weitem die Eltern vor das Haus. Sie ſahen verwundert ihr Kind zu Pferd ankommen, das zu Fuß ausgegangen war. Ich gab kurz meine einfachen Erklärungen. Ich kann nicht ſagen, daß ich im erſten Augenblicke beſonders gaſt¬ lich angeſehen war. Der Deutſche in Amerika hat immer etwas — Verſchämtes oder Abſtoßendes, wenn er auf ſeinem einſamen Hof überraſcht wird. Und Weſtphälier ſind ſchon von ſelbſt nicht die in¬ finuanteſten Menſchen. Der Mann ſah mich aus harten und ſcharfen Zügen, wie aus einer eiſernen Maske an. Er war ſchlank und hoch gewachſen — eine lebendige Lanze. Seine Hakennaſe eine wahre heraldiſche Siegelprobe von Energie und Charakter, ſein Blauauge treu, wie der ſicherſte Ankergrund. Die Mutter eine blaſſe, reine Frau, eine Erſcheinung wie ein Stück Damaſt. Ganz wie ich ſie gedacht. Sie war ohne Zweifel eine Honoratiorentochter ihrer einſtigen Heimat. Der Vater Teutoburg, die Mutter Bielefeld, würde dieſes weſtphäliſche Paar ein neumodiſcher Jung-Deutſcher in ſeinem Ideen-Aſſonanzen-Etyl charak¬ teriſiren. Die Frau wartete das Benehmen ihres Mannes ab und der Mann mein eigenes. Beide empfingen mich eigentlich gar nicht; es mußte ſich aus mir ſelbſt zeigen, „was für ein Vogel ich ſei”. Ich ſprach natürlich von ihrem Kinde, der nächſten Veranlaſſung dieſes Rendezvous, und erkundigte mich, wie es hier um die Schule ſtehe. Dieſe praktiſche Frage ſchien den Nagel auf den Kopf zu treffen. Ich konnte ſogleich ſehen, daß man damit zufrieden war. Vor Allem ſeufzte die Mutter lebhaft und antwortete: das ſei allerdings traurig. Eine deutſche Schule beſtände nicht in der Gegend und zu den Engel¬ ländern ſchicke man ſeine deutſchen Kinder gar zu ſchwer, ſie lernten nur ihre eigenen Eltern verunehren. Ich erbot mich ſofort zu Annettens Lehrer. Die Frau ſah ihren Mann an und der Mann hatte offenbar was gehört, „was ſich hören ließ”. Ob ich gut lutheriſch ſei? war ſeine erſte Antwort darauf.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/352>, abgerufen am 13.05.2024.