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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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die Arteria temporalis. Aber ich rathe, mein Herr, die zeitliche (!!)
Arterie würde bald eine ewige sein, wenn ich sie öffnete. Darum
nenn' ich auch die Dinge beim rechten Namen und nicht lateinisch.
Ich verschmähe es, mein Herr, vor Laien lateinische Ausdrücke zu ge¬
brauchen, sei's in Wörtern, oder in ganzen Phrasen; ich halte es für
unpassend, für gelehrtes Uebernehmen. Sonst bediene ich mich wohl
auch dieser Sprache der Wissenschaft, und zwar so gut als Einer, aber
aufrichtig gesagt -- nunquam opinavi, ut lingua latinum aliquot
est
, quod maladum potest sanare.

Ich brauche Dir nicht zu sagen, wie wir noch weiter aus einander
kamen, und wie ich meine Pflicht, Diebstahl und Meuchelmord vom
Hause des Mr. Gull abzuhalten, zu erfüllen bestrebt war. Es ge¬
lang mir nicht einmal. Frau, Töchter und ein Sohn ließen mich
nicht undeutlich merken, zu welcher Partei sie standen, denn der Ruf
des Doctors Meakhead sei ja ein weltbekannter, und man habe längst
gewünscht, er möchte in hiesiger Gegend sich bleibend niederlassen, was,
wenn auch vielleicht nicht so lucrativ für ihn, doch für die Wissen¬
schaft desto wünschenswerther sei, denn bei einem stätigen home (eine
der Misses erröthete), könnte er mit mehr Bequemlichkeit als jetzt
"Lehrlinge" annehmen und seine Kunst weiter verbreiten.

Also dieser Mensch wird noch "Lehrlinge" annehmen! Nun, ich
bin ja ruhig. Denn viele Dinge können Einen hier verwirren und
in Widerspruch setzen; aber der blanke einfache Todtschlag ist bis zur
Erquickung faßlich. Und siehe! jetzt weiß ich auch, warum die Ein¬
wanderung nach Amerika im Plane der Versehung liegen muß. Ohne
sie würden die Amerikaner innerhalb einer Generation
von ihren Aerzten ausgerottet sein
. Du kannst mir diesen
Satz keck nachschreiben, wenn Du wieder über Amerika schreibst. Sogar
durchschossen, oder mit fetter Schrift. Ich verantworte ihn.


Wir finden es gewiß menschlich, wenn Moorfeld den Beigeschmack
der Betise, der unter diesen Umständen seinen ärztlichen Tugend-
Uebungen beiwohnt, nicht beseligend genug findet, um ihn -- quand
meme
! zu suchen. Diese Art Thätigkeit war ihm verleidet. Er zieht
sich wieder dumpf auf sich selbst zurück, oder widmet die besseren Kräfte
seines Herzens fast ausschließlich auf seine "Flucht nach Aegypten".

die Arteria temporalis. Aber ich rathe, mein Herr, die zeitliche (!!)
Arterie würde bald eine ewige ſein, wenn ich ſie öffnete. Darum
nenn' ich auch die Dinge beim rechten Namen und nicht lateiniſch.
Ich verſchmähe es, mein Herr, vor Laien lateiniſche Ausdrücke zu ge¬
brauchen, ſei's in Wörtern, oder in ganzen Phraſen; ich halte es für
unpaſſend, für gelehrtes Uebernehmen. Sonſt bediene ich mich wohl
auch dieſer Sprache der Wiſſenſchaft, und zwar ſo gut als Einer, aber
aufrichtig geſagt — nunquam opinavi, ut lingua latinum aliquot
est
, quod maladum potest sanare.

Ich brauche Dir nicht zu ſagen, wie wir noch weiter aus einander
kamen, und wie ich meine Pflicht, Diebſtahl und Meuchelmord vom
Hauſe des Mr. Gull abzuhalten, zu erfüllen beſtrebt war. Es ge¬
lang mir nicht einmal. Frau, Töchter und ein Sohn ließen mich
nicht undeutlich merken, zu welcher Partei ſie ſtanden, denn der Ruf
des Doctors Meakhead ſei ja ein weltbekannter, und man habe längſt
gewünſcht, er möchte in hieſiger Gegend ſich bleibend niederlaſſen, was,
wenn auch vielleicht nicht ſo lucrativ für ihn, doch für die Wiſſen¬
ſchaft deſto wünſchenswerther ſei, denn bei einem ſtätigen home (eine
der Miſſes erröthete), könnte er mit mehr Bequemlichkeit als jetzt
„Lehrlinge“ annehmen und ſeine Kunſt weiter verbreiten.

Alſo dieſer Menſch wird noch „Lehrlinge“ annehmen! Nun, ich
bin ja ruhig. Denn viele Dinge können Einen hier verwirren und
in Widerſpruch ſetzen; aber der blanke einfache Todtſchlag iſt bis zur
Erquickung faßlich. Und ſiehe! jetzt weiß ich auch, warum die Ein¬
wanderung nach Amerika im Plane der Verſehung liegen muß. Ohne
ſie würden die Amerikaner innerhalb einer Generation
von ihren Aerzten ausgerottet ſein
. Du kannſt mir dieſen
Satz keck nachſchreiben, wenn Du wieder über Amerika ſchreibſt. Sogar
durchſchoſſen, oder mit fetter Schrift. Ich verantworte ihn.


Wir finden es gewiß menſchlich, wenn Moorfeld den Beigeſchmack
der Betiſe, der unter dieſen Umſtänden ſeinen ärztlichen Tugend-
Uebungen beiwohnt, nicht beſeligend genug findet, um ihn — quand
même
! zu ſuchen. Dieſe Art Thätigkeit war ihm verleidet. Er zieht
ſich wieder dumpf auf ſich ſelbſt zurück, oder widmet die beſſeren Kräfte
ſeines Herzens faſt ausſchließlich auf ſeine „Flucht nach Aegypten“.

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[353/0371] die Arteria temporalis. Aber ich rathe, mein Herr, die zeitliche (!!) Arterie würde bald eine ewige ſein, wenn ich ſie öffnete. Darum nenn' ich auch die Dinge beim rechten Namen und nicht lateiniſch. Ich verſchmähe es, mein Herr, vor Laien lateiniſche Ausdrücke zu ge¬ brauchen, ſei's in Wörtern, oder in ganzen Phraſen; ich halte es für unpaſſend, für gelehrtes Uebernehmen. Sonſt bediene ich mich wohl auch dieſer Sprache der Wiſſenſchaft, und zwar ſo gut als Einer, aber aufrichtig geſagt — nunquam opinavi, ut lingua latinum aliquot est, quod maladum potest sanare. Ich brauche Dir nicht zu ſagen, wie wir noch weiter aus einander kamen, und wie ich meine Pflicht, Diebſtahl und Meuchelmord vom Hauſe des Mr. Gull abzuhalten, zu erfüllen beſtrebt war. Es ge¬ lang mir nicht einmal. Frau, Töchter und ein Sohn ließen mich nicht undeutlich merken, zu welcher Partei ſie ſtanden, denn der Ruf des Doctors Meakhead ſei ja ein weltbekannter, und man habe längſt gewünſcht, er möchte in hieſiger Gegend ſich bleibend niederlaſſen, was, wenn auch vielleicht nicht ſo lucrativ für ihn, doch für die Wiſſen¬ ſchaft deſto wünſchenswerther ſei, denn bei einem ſtätigen home (eine der Miſſes erröthete), könnte er mit mehr Bequemlichkeit als jetzt „Lehrlinge“ annehmen und ſeine Kunſt weiter verbreiten. Alſo dieſer Menſch wird noch „Lehrlinge“ annehmen! Nun, ich bin ja ruhig. Denn viele Dinge können Einen hier verwirren und in Widerſpruch ſetzen; aber der blanke einfache Todtſchlag iſt bis zur Erquickung faßlich. Und ſiehe! jetzt weiß ich auch, warum die Ein¬ wanderung nach Amerika im Plane der Verſehung liegen muß. Ohne ſie würden die Amerikaner innerhalb einer Generation von ihren Aerzten ausgerottet ſein. Du kannſt mir dieſen Satz keck nachſchreiben, wenn Du wieder über Amerika ſchreibſt. Sogar durchſchoſſen, oder mit fetter Schrift. Ich verantworte ihn. Wir finden es gewiß menſchlich, wenn Moorfeld den Beigeſchmack der Betiſe, der unter dieſen Umſtänden ſeinen ärztlichen Tugend- Uebungen beiwohnt, nicht beſeligend genug findet, um ihn — quand même! zu ſuchen. Dieſe Art Thätigkeit war ihm verleidet. Er zieht ſich wieder dumpf auf ſich ſelbſt zurück, oder widmet die beſſeren Kräfte ſeines Herzens faſt ausſchließlich auf ſeine „Flucht nach Aegypten“.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/371>, abgerufen am 13.05.2024.