Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

war, sagte der Geistliche, er überlasse die Frommen ihrer stillen Be¬
trachtung und trat ab. Folgte die stille Betrachtung. Jeder Kopf
sank auf seinen Brustknochen, die Blicke schlossen sich, oder starrten so
vor sich hin. Schwere Seufzer, dem Tone des Schnarchens nicht un¬
ähnlich, gingen durch die Versammlung. Ueber das Ganze brannte
die Mittagssonne, -- es war getreu das Bild von gestern Mittag.
Die gesenkten Köpfe das abgesichelte Stoppelfeld -- die Seufzer das
glühheiße Geknister im Stroh -- warum mußte ich unwillkürlich mit¬
seufzen? -- Ich blickte nach Annetten hinüber: -- sie war an der
Seite ihrer Mutter eingeschlafen.

Die Andächtigen erhoben sich nach und nach aus der stillen Be¬
trachtung und zerstreuten sich durchs Waldlager zu den Verrichtungen
des Mittags. Frau Ermar sah ängstlich um sich; sie fühlte offenbar
die gleiche Pflicht dieses Berufes, aber sie gönnte auch ihrer Schlum¬
mernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen sie war,
einen Entschluß zu fassen. Endlich weckte sie das Mädchen, aber der
Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange schwarze
reverend den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und erschrocken
aus dem Schlafe fuhr, erregte sie seine Aufmerksamkeit. Er blieb
flüchtig vor ihr stehen und maß sie mit einem finstern Blicke. Mich
überlief's. Das "böse Auge" des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre
ich Mutter gewesen, ich hätte mein Kind bedeckt gegen diesen Blick.
Ohne ein Wort zu sagen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Ge¬
fühl, als wäre hier eine Einweihung vor sich gegangen.

Der Prediger -- nicht der Lisboner, sondern ein auswärtiger
Matador -- war ein widerlicher Mensch. Seine gemeinen Züge
stempelte sinnliche Rohheit. Die breite Anlage seiner untern Ge¬
sichtshälfte, die starke Muskulatur der Eßorgane gab ihm sogar
etwas thierisch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine
Spur von Geistlichkeit auf, selbst nicht von geistlichen Lastern. Ich
kann nicht sagen, daß ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus
umkleidete; die gänzliche Abwesenheit jeder Gemüthskraft, selbst einer
verirrten, war vielmehr das Schreckliche seines Bildes. Sein leeres
blaßgraues Auge sprach eigentlich gar nichts aus; wie bitterböse er
damit blickte, schien's die giftige Mißlaune eines Geschäftsmannes, der
sich nicht schnell genug reich melkt an seiner Geschäftskuh. Das war

war, ſagte der Geiſtliche, er überlaſſe die Frommen ihrer ſtillen Be¬
trachtung und trat ab. Folgte die ſtille Betrachtung. Jeder Kopf
ſank auf ſeinen Bruſtknochen, die Blicke ſchloſſen ſich, oder ſtarrten ſo
vor ſich hin. Schwere Seufzer, dem Tone des Schnarchens nicht un¬
ähnlich, gingen durch die Verſammlung. Ueber das Ganze brannte
die Mittagsſonne, — es war getreu das Bild von geſtern Mittag.
Die geſenkten Köpfe das abgeſichelte Stoppelfeld — die Seufzer das
glühheiße Gekniſter im Stroh — warum mußte ich unwillkürlich mit¬
ſeufzen? — Ich blickte nach Annetten hinüber: — ſie war an der
Seite ihrer Mutter eingeſchlafen.

Die Andächtigen erhoben ſich nach und nach aus der ſtillen Be¬
trachtung und zerſtreuten ſich durchs Waldlager zu den Verrichtungen
des Mittags. Frau Ermar ſah ängſtlich um ſich; ſie fühlte offenbar
die gleiche Pflicht dieſes Berufes, aber ſie gönnte auch ihrer Schlum¬
mernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen ſie war,
einen Entſchluß zu faſſen. Endlich weckte ſie das Mädchen, aber der
Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange ſchwarze
reverend den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und erſchrocken
aus dem Schlafe fuhr, erregte ſie ſeine Aufmerkſamkeit. Er blieb
flüchtig vor ihr ſtehen und maß ſie mit einem finſtern Blicke. Mich
überlief's. Das „böſe Auge“ des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre
ich Mutter geweſen, ich hätte mein Kind bedeckt gegen dieſen Blick.
Ohne ein Wort zu ſagen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Ge¬
fühl, als wäre hier eine Einweihung vor ſich gegangen.

Der Prediger — nicht der Lisboner, ſondern ein auswärtiger
Matador — war ein widerlicher Menſch. Seine gemeinen Züge
ſtempelte ſinnliche Rohheit. Die breite Anlage ſeiner untern Ge¬
ſichtshälfte, die ſtarke Muskulatur der Eßorgane gab ihm ſogar
etwas thieriſch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine
Spur von Geiſtlichkeit auf, ſelbſt nicht von geiſtlichen Laſtern. Ich
kann nicht ſagen, daß ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus
umkleidete; die gänzliche Abweſenheit jeder Gemüthskraft, ſelbſt einer
verirrten, war vielmehr das Schreckliche ſeines Bildes. Sein leeres
blaßgraues Auge ſprach eigentlich gar nichts aus; wie bitterböſe er
damit blickte, ſchien's die giftige Mißlaune eines Geſchäftsmannes, der
ſich nicht ſchnell genug reich melkt an ſeiner Geſchäftskuh. Das war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0402" n="384"/>
war, &#x017F;agte der Gei&#x017F;tliche, er überla&#x017F;&#x017F;e die Frommen ihrer &#x017F;tillen Be¬<lb/>
trachtung und trat ab. Folgte die &#x017F;tille Betrachtung. Jeder Kopf<lb/>
&#x017F;ank auf &#x017F;einen Bru&#x017F;tknochen, die Blicke &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich, oder &#x017F;tarrten &#x017F;o<lb/>
vor &#x017F;ich hin. Schwere Seufzer, dem Tone des Schnarchens nicht un¬<lb/>
ähnlich, gingen durch die Ver&#x017F;ammlung. Ueber das Ganze brannte<lb/>
die Mittags&#x017F;onne, &#x2014; es war getreu das Bild von ge&#x017F;tern Mittag.<lb/>
Die ge&#x017F;enkten Köpfe das abge&#x017F;ichelte Stoppelfeld &#x2014; die Seufzer das<lb/>
glühheiße Gekni&#x017F;ter im Stroh &#x2014; warum mußte ich unwillkürlich mit¬<lb/>
&#x017F;eufzen? &#x2014; Ich blickte nach Annetten hinüber: &#x2014; &#x017F;ie war an der<lb/>
Seite ihrer Mutter einge&#x017F;chlafen.</p><lb/>
          <p>Die Andächtigen erhoben &#x017F;ich nach und nach aus der &#x017F;tillen Be¬<lb/>
trachtung und zer&#x017F;treuten &#x017F;ich durchs Waldlager zu den Verrichtungen<lb/>
des Mittags. Frau Ermar &#x017F;ah äng&#x017F;tlich um &#x017F;ich; &#x017F;ie fühlte offenbar<lb/>
die gleiche Pflicht die&#x017F;es Berufes, aber &#x017F;ie gönnte auch ihrer Schlum¬<lb/>
mernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen &#x017F;ie war,<lb/>
einen Ent&#x017F;chluß zu fa&#x017F;&#x017F;en. Endlich weckte &#x017F;ie das Mädchen, aber der<lb/>
Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange &#x017F;chwarze<lb/><hi rendition="#aq">reverend</hi> den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und er&#x017F;chrocken<lb/>
aus dem Schlafe fuhr, erregte &#x017F;ie &#x017F;eine Aufmerk&#x017F;amkeit. Er blieb<lb/>
flüchtig vor ihr &#x017F;tehen und maß &#x017F;ie mit einem fin&#x017F;tern Blicke. Mich<lb/>
überlief's. Das &#x201E;&#x017F;e Auge&#x201C; des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre<lb/>
ich Mutter gewe&#x017F;en, ich hätte mein Kind bedeckt gegen die&#x017F;en Blick.<lb/>
Ohne ein Wort zu &#x017F;agen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Ge¬<lb/>
fühl, als wäre hier eine Einweihung vor &#x017F;ich gegangen.</p><lb/>
          <p>Der Prediger &#x2014; nicht der Lisboner, &#x017F;ondern ein auswärtiger<lb/>
Matador &#x2014; war ein widerlicher Men&#x017F;ch. Seine gemeinen Züge<lb/>
&#x017F;tempelte &#x017F;innliche Rohheit. Die breite Anlage &#x017F;einer untern Ge¬<lb/>
&#x017F;ichtshälfte, die &#x017F;tarke Muskulatur der Eßorgane gab ihm &#x017F;ogar<lb/>
etwas thieri&#x017F;ch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine<lb/>
Spur von Gei&#x017F;tlichkeit auf, &#x017F;elb&#x017F;t nicht von gei&#x017F;tlichen La&#x017F;tern. Ich<lb/>
kann nicht &#x017F;agen, daß ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus<lb/>
umkleidete; die gänzliche Abwe&#x017F;enheit jeder Gemüthskraft, &#x017F;elb&#x017F;t einer<lb/>
verirrten, war vielmehr das Schreckliche &#x017F;eines Bildes. Sein leeres<lb/>
blaßgraues Auge &#x017F;prach eigentlich gar nichts aus; wie bitterbö&#x017F;e er<lb/>
damit blickte, &#x017F;chien's die giftige Mißlaune eines Ge&#x017F;chäftsmannes, der<lb/>
&#x017F;ich nicht &#x017F;chnell genug reich melkt an &#x017F;einer Ge&#x017F;chäftskuh. Das war<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[384/0402] war, ſagte der Geiſtliche, er überlaſſe die Frommen ihrer ſtillen Be¬ trachtung und trat ab. Folgte die ſtille Betrachtung. Jeder Kopf ſank auf ſeinen Bruſtknochen, die Blicke ſchloſſen ſich, oder ſtarrten ſo vor ſich hin. Schwere Seufzer, dem Tone des Schnarchens nicht un¬ ähnlich, gingen durch die Verſammlung. Ueber das Ganze brannte die Mittagsſonne, — es war getreu das Bild von geſtern Mittag. Die geſenkten Köpfe das abgeſichelte Stoppelfeld — die Seufzer das glühheiße Gekniſter im Stroh — warum mußte ich unwillkürlich mit¬ ſeufzen? — Ich blickte nach Annetten hinüber: — ſie war an der Seite ihrer Mutter eingeſchlafen. Die Andächtigen erhoben ſich nach und nach aus der ſtillen Be¬ trachtung und zerſtreuten ſich durchs Waldlager zu den Verrichtungen des Mittags. Frau Ermar ſah ängſtlich um ſich; ſie fühlte offenbar die gleiche Pflicht dieſes Berufes, aber ſie gönnte auch ihrer Schlum¬ mernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen ſie war, einen Entſchluß zu faſſen. Endlich weckte ſie das Mädchen, aber der Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange ſchwarze reverend den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und erſchrocken aus dem Schlafe fuhr, erregte ſie ſeine Aufmerkſamkeit. Er blieb flüchtig vor ihr ſtehen und maß ſie mit einem finſtern Blicke. Mich überlief's. Das „böſe Auge“ des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre ich Mutter geweſen, ich hätte mein Kind bedeckt gegen dieſen Blick. Ohne ein Wort zu ſagen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Ge¬ fühl, als wäre hier eine Einweihung vor ſich gegangen. Der Prediger — nicht der Lisboner, ſondern ein auswärtiger Matador — war ein widerlicher Menſch. Seine gemeinen Züge ſtempelte ſinnliche Rohheit. Die breite Anlage ſeiner untern Ge¬ ſichtshälfte, die ſtarke Muskulatur der Eßorgane gab ihm ſogar etwas thieriſch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine Spur von Geiſtlichkeit auf, ſelbſt nicht von geiſtlichen Laſtern. Ich kann nicht ſagen, daß ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus umkleidete; die gänzliche Abweſenheit jeder Gemüthskraft, ſelbſt einer verirrten, war vielmehr das Schreckliche ſeines Bildes. Sein leeres blaßgraues Auge ſprach eigentlich gar nichts aus; wie bitterböſe er damit blickte, ſchien's die giftige Mißlaune eines Geſchäftsmannes, der ſich nicht ſchnell genug reich melkt an ſeiner Geſchäftskuh. Das war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/402
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/402>, abgerufen am 13.05.2024.