Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

reizter Moorfeld seinen Willen behauptete, desto gefährlicher schien es, ihn
zu erfüllen. Zuletzt bewältigt aber die Menschen nichts so sehr als
die Leidenschaft, wo sie in ihrem Berufe ist, und das Nachgeben mußte
gewagt werden. Man führte ihn vor das Bild der Unglücklichen. Alles
bangte einem entsetzlichen Ausbruche entgegen, als Moorfeld mit offenen
Armen auf die gräßlich Verlorene zuschritt. Aber er blieb ruhig.
Stillsinnend hielt er das Kind vor sich hin, und vertiefte sich in sein
Anschauen. Nach einer langen Pause rief er aus:

Warum nannt' ich dich auch Schwester! Dann legte er seine Hand
auf ihren Scheitel und sprach: Sei gesegnet, mein Kind! Der Gott
der Menschenopfer hat dein Schicksal erlaubt. Das reine Weib und
die Schuld dieser Welt haben eine alte, mystische Gegenseitigkeit. Edle
Jungfrauen seh ich den Ungeheuern des Alterthums opfern, und noch
dem Kreuze bringt die Jungfrau blutigen Tribut. Es mußte so sein!
Diesem Lande fängt sein zweites Zeitalter an. Als Leiber mit Leibern
hier rangen, riß die Rothhaut den Scalp vom Haupte des Weißen;
heut rollen Geistersschlachten über diesen Boden und die Wilden scal¬
piren Geister. Zu groß ist, was hier beginnt, es muß barbarisch be¬
ginnen. Die Sieger von Teutoburg, die zweimal Rom überwunden,
sollen deutsches Geistesbanner auf Washington's Kapitol pflanzen. Die
neue Welt ist ihnen gegeben, wie die alte. Voran, deutsche Jungfrau,
heilige, weihe! Du leidest für dein Volk; du bist Deutschland! armes,
frommes, mißhandeltes Kind. Mit deinem Unglück ist dieser Boden
deutsch geworden; -- könnte der Geist denn siegen, wenn er nicht zer¬
treten wird? Wir haben, liebes Kind, eine große Schuld in dieses
Land eingeführt: wir sind unschuldig! Wir sind wahrhaftig unter den
Lügnern, wir sind aufopfernd unter den Selbstlingen, wir sind zart
unter den Ungeschlachten, wir sind keusch unter den Frechen, wir sind
tiefsinnig unter den Stumpfen, wir sind fromm unter Heuchlern, wir
haben Herzen unter Ziffern, wir sind Menschen unter Bestien! Ob
wir siegen werden; -- wer darf zweifeln, wenn Columbus nicht der
Vater der Atheisten sein soll? Aber bis dahin, werden sie uns er¬
würgen. Viel schönes Leben wird untergehen. Sie haben scharfe
Messer und volle Kanonen die weißen Delawaren und Mohikaner. Sie
haben uns das Zauberwort der Cultur nachgestammelt, aber unrein, daß
sie nicht gute, nur verderbte Geister citiren können. Und sie kommen, sie

reizter Moorfeld ſeinen Willen behauptete, deſto gefährlicher ſchien es, ihn
zu erfüllen. Zuletzt bewältigt aber die Menſchen nichts ſo ſehr als
die Leidenſchaft, wo ſie in ihrem Berufe iſt, und das Nachgeben mußte
gewagt werden. Man führte ihn vor das Bild der Unglücklichen. Alles
bangte einem entſetzlichen Ausbruche entgegen, als Moorfeld mit offenen
Armen auf die gräßlich Verlorene zuſchritt. Aber er blieb ruhig.
Stillſinnend hielt er das Kind vor ſich hin, und vertiefte ſich in ſein
Anſchauen. Nach einer langen Pauſe rief er aus:

Warum nannt' ich dich auch Schweſter! Dann legte er ſeine Hand
auf ihren Scheitel und ſprach: Sei geſegnet, mein Kind! Der Gott
der Menſchenopfer hat dein Schickſal erlaubt. Das reine Weib und
die Schuld dieſer Welt haben eine alte, myſtiſche Gegenſeitigkeit. Edle
Jungfrauen ſeh ich den Ungeheuern des Alterthums opfern, und noch
dem Kreuze bringt die Jungfrau blutigen Tribut. Es mußte ſo ſein!
Dieſem Lande fängt ſein zweites Zeitalter an. Als Leiber mit Leibern
hier rangen, riß die Rothhaut den Scalp vom Haupte des Weißen;
heut rollen Geiſtersſchlachten über dieſen Boden und die Wilden ſcal¬
piren Geiſter. Zu groß iſt, was hier beginnt, es muß barbariſch be¬
ginnen. Die Sieger von Teutoburg, die zweimal Rom überwunden,
ſollen deutſches Geiſtesbanner auf Waſhington's Kapitol pflanzen. Die
neue Welt iſt ihnen gegeben, wie die alte. Voran, deutſche Jungfrau,
heilige, weihe! Du leideſt für dein Volk; du biſt Deutſchland! armes,
frommes, mißhandeltes Kind. Mit deinem Unglück iſt dieſer Boden
deutſch geworden; — könnte der Geiſt denn ſiegen, wenn er nicht zer¬
treten wird? Wir haben, liebes Kind, eine große Schuld in dieſes
Land eingeführt: wir ſind unſchuldig! Wir ſind wahrhaftig unter den
Lügnern, wir ſind aufopfernd unter den Selbſtlingen, wir ſind zart
unter den Ungeſchlachten, wir ſind keuſch unter den Frechen, wir ſind
tiefſinnig unter den Stumpfen, wir ſind fromm unter Heuchlern, wir
haben Herzen unter Ziffern, wir ſind Menſchen unter Beſtien! Ob
wir ſiegen werden; — wer darf zweifeln, wenn Columbus nicht der
Vater der Atheiſten ſein ſoll? Aber bis dahin, werden ſie uns er¬
würgen. Viel ſchönes Leben wird untergehen. Sie haben ſcharfe
Meſſer und volle Kanonen die weißen Delawaren und Mohikaner. Sie
haben uns das Zauberwort der Cultur nachgeſtammelt, aber unrein, daß
ſie nicht gute, nur verderbte Geiſter citiren können. Und ſie kommen, ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0417" n="399"/>
reizter Moorfeld &#x017F;einen Willen behauptete, de&#x017F;to gefährlicher &#x017F;chien es, ihn<lb/>
zu erfüllen. Zuletzt bewältigt aber die Men&#x017F;chen nichts &#x017F;o &#x017F;ehr als<lb/>
die Leiden&#x017F;chaft, wo &#x017F;ie in ihrem Berufe i&#x017F;t, und das Nachgeben mußte<lb/>
gewagt werden. Man führte ihn vor das Bild der Unglücklichen. Alles<lb/>
bangte einem ent&#x017F;etzlichen Ausbruche entgegen, als Moorfeld mit offenen<lb/>
Armen auf die gräßlich Verlorene zu&#x017F;chritt. Aber er blieb ruhig.<lb/>
Still&#x017F;innend hielt er das Kind vor &#x017F;ich hin, und vertiefte &#x017F;ich in &#x017F;ein<lb/>
An&#x017F;chauen. Nach einer langen Pau&#x017F;e rief er aus:</p><lb/>
          <p>Warum nannt' ich dich auch <hi rendition="#g">Schwe&#x017F;ter</hi>! Dann legte er &#x017F;eine Hand<lb/>
auf ihren Scheitel und &#x017F;prach: Sei ge&#x017F;egnet, mein Kind! Der Gott<lb/>
der Men&#x017F;chenopfer hat dein Schick&#x017F;al erlaubt. Das reine Weib und<lb/>
die Schuld die&#x017F;er Welt haben eine alte, my&#x017F;ti&#x017F;che Gegen&#x017F;eitigkeit. Edle<lb/>
Jungfrauen &#x017F;eh ich den Ungeheuern des Alterthums opfern, und noch<lb/>
dem Kreuze bringt die Jungfrau blutigen Tribut. Es mußte &#x017F;o &#x017F;ein!<lb/>
Die&#x017F;em Lande fängt &#x017F;ein zweites Zeitalter an. Als Leiber mit Leibern<lb/>
hier rangen, riß die Rothhaut den Scalp vom Haupte des Weißen;<lb/>
heut rollen Gei&#x017F;ters&#x017F;chlachten über die&#x017F;en Boden und die Wilden &#x017F;cal¬<lb/>
piren Gei&#x017F;ter. Zu groß i&#x017F;t, was hier beginnt, es muß barbari&#x017F;ch be¬<lb/>
ginnen. Die Sieger von Teutoburg, die zweimal Rom überwunden,<lb/>
&#x017F;ollen deut&#x017F;ches Gei&#x017F;tesbanner auf Wa&#x017F;hington's Kapitol pflanzen. Die<lb/>
neue Welt i&#x017F;t ihnen gegeben, wie die alte. Voran, deut&#x017F;che Jungfrau,<lb/>
heilige, weihe! Du leide&#x017F;t für dein Volk; du bi&#x017F;t Deut&#x017F;chland! armes,<lb/>
frommes, mißhandeltes Kind. Mit deinem Unglück i&#x017F;t die&#x017F;er Boden<lb/>
deut&#x017F;ch geworden; &#x2014; könnte der Gei&#x017F;t denn &#x017F;iegen, wenn er nicht zer¬<lb/>
treten wird? Wir haben, liebes Kind, eine große Schuld in die&#x017F;es<lb/>
Land eingeführt: wir &#x017F;ind un&#x017F;chuldig! Wir &#x017F;ind wahrhaftig unter den<lb/>
Lügnern, wir &#x017F;ind aufopfernd unter den Selb&#x017F;tlingen, wir &#x017F;ind zart<lb/>
unter den Unge&#x017F;chlachten, wir &#x017F;ind keu&#x017F;ch unter den Frechen, wir &#x017F;ind<lb/>
tief&#x017F;innig unter den Stumpfen, wir &#x017F;ind fromm unter Heuchlern, wir<lb/>
haben Herzen unter Ziffern, wir &#x017F;ind Men&#x017F;chen unter Be&#x017F;tien! Ob<lb/>
wir &#x017F;iegen werden; &#x2014; wer darf zweifeln, wenn Columbus nicht der<lb/>
Vater der Athei&#x017F;ten &#x017F;ein &#x017F;oll? Aber bis dahin, werden &#x017F;ie uns er¬<lb/>
würgen. Viel &#x017F;chönes Leben wird untergehen. Sie haben &#x017F;charfe<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;er und volle Kanonen die weißen Delawaren und Mohikaner. Sie<lb/>
haben uns das Zauberwort der Cultur nachge&#x017F;tammelt, aber unrein, daß<lb/>
&#x017F;ie nicht gute, nur verderbte Gei&#x017F;ter citiren können. Und &#x017F;ie kommen, &#x017F;ie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0417] reizter Moorfeld ſeinen Willen behauptete, deſto gefährlicher ſchien es, ihn zu erfüllen. Zuletzt bewältigt aber die Menſchen nichts ſo ſehr als die Leidenſchaft, wo ſie in ihrem Berufe iſt, und das Nachgeben mußte gewagt werden. Man führte ihn vor das Bild der Unglücklichen. Alles bangte einem entſetzlichen Ausbruche entgegen, als Moorfeld mit offenen Armen auf die gräßlich Verlorene zuſchritt. Aber er blieb ruhig. Stillſinnend hielt er das Kind vor ſich hin, und vertiefte ſich in ſein Anſchauen. Nach einer langen Pauſe rief er aus: Warum nannt' ich dich auch Schweſter! Dann legte er ſeine Hand auf ihren Scheitel und ſprach: Sei geſegnet, mein Kind! Der Gott der Menſchenopfer hat dein Schickſal erlaubt. Das reine Weib und die Schuld dieſer Welt haben eine alte, myſtiſche Gegenſeitigkeit. Edle Jungfrauen ſeh ich den Ungeheuern des Alterthums opfern, und noch dem Kreuze bringt die Jungfrau blutigen Tribut. Es mußte ſo ſein! Dieſem Lande fängt ſein zweites Zeitalter an. Als Leiber mit Leibern hier rangen, riß die Rothhaut den Scalp vom Haupte des Weißen; heut rollen Geiſtersſchlachten über dieſen Boden und die Wilden ſcal¬ piren Geiſter. Zu groß iſt, was hier beginnt, es muß barbariſch be¬ ginnen. Die Sieger von Teutoburg, die zweimal Rom überwunden, ſollen deutſches Geiſtesbanner auf Waſhington's Kapitol pflanzen. Die neue Welt iſt ihnen gegeben, wie die alte. Voran, deutſche Jungfrau, heilige, weihe! Du leideſt für dein Volk; du biſt Deutſchland! armes, frommes, mißhandeltes Kind. Mit deinem Unglück iſt dieſer Boden deutſch geworden; — könnte der Geiſt denn ſiegen, wenn er nicht zer¬ treten wird? Wir haben, liebes Kind, eine große Schuld in dieſes Land eingeführt: wir ſind unſchuldig! Wir ſind wahrhaftig unter den Lügnern, wir ſind aufopfernd unter den Selbſtlingen, wir ſind zart unter den Ungeſchlachten, wir ſind keuſch unter den Frechen, wir ſind tiefſinnig unter den Stumpfen, wir ſind fromm unter Heuchlern, wir haben Herzen unter Ziffern, wir ſind Menſchen unter Beſtien! Ob wir ſiegen werden; — wer darf zweifeln, wenn Columbus nicht der Vater der Atheiſten ſein ſoll? Aber bis dahin, werden ſie uns er¬ würgen. Viel ſchönes Leben wird untergehen. Sie haben ſcharfe Meſſer und volle Kanonen die weißen Delawaren und Mohikaner. Sie haben uns das Zauberwort der Cultur nachgeſtammelt, aber unrein, daß ſie nicht gute, nur verderbte Geiſter citiren können. Und ſie kommen, ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/417
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/417>, abgerufen am 07.05.2024.