Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

indem er so eben of trepass vi et armis ihn anzuklagen im Be¬
griffe stehe.

Moorfeld traute seinen Ohren nicht. Er glaubte in Wogan eine Art
Automat zu hören, welches zwar eingerichtet ist, articulirte Laute hervorzu¬
bringen, aber auf's Gerathewohl, ohne Sinn und logische Ordnung. Und da
der Mensch, selbst, wo ihm der Verstand gänzlich stille steht, seiner Natur
nach doch noch Gedanken erzeugt, so war Moorfeld's einziger Gedanke:
der Mann ist verrückt.

In diesem Sinne antwortete er auch. Er sagte, er ziehe seine
Klage auf widerrechtliche Besitzergreifung mittels Einbruchs zwar
nicht zurück, aber er suspendire sie so lange, bis die gerichtsärztliche
Expertise über die Imputationsfähigkeit des Angeklagten entschieden.
Für jetzt wünsche er unter Gerichtsgeleit in seine Wohnung zurückzu¬
kehren, und sei es ja möglich, dem geisteskranken Uebelthäter hier einen
lichten Gedankenmoment abzugewinnen, so möge er vor allem inquirirt
werden, was aus Adin Ballan, dem Schottländer, geworden.

Ein Yankee macht nicht leicht ein verblüfftes Gesicht, es wäre denn
in supernaturalistischen Dingen. Aber selbst dann affectirt er statt der
verblüfften bloß eine verächtliche Miene.

Der Friedensrichter von New-Lisbon behauptete in dieser wider¬
spruchsvollen Lage seine vollkommenste Fassung. Ja, so groß war
diese Fassung, daß er während des Vortrages der beiden Parteien
keinen Augenblick aufhörte, zu nieten und zu schweißen, denn wir dür¬
fen nicht vergessen zu bemerken, daß Moorfeld den ehrenwerthen Mr.
Cartwright bei der Ausbesserung eines Pittsburger Packwagens an¬
getroffen, welcher einer durchreisenden Auswandererfamilie aus Penn¬
sylvanien auf der schlechten Lisboner Straße in Brüche gegangen, und
welchen der barmherzige Ortsrichter so eben zur Cur vorhatte, da die¬
ser Würdige, seines Zeichens ein Schmid, aus überfließender Menschen-
und Dollarliebe mitunter auch gerne noch zu seinem vorigen Hand¬
werk griff.

Der Richter antwortete daher unter Hammerschlägen und dem
Zischen glühender Stifte gegen Moorfeld gewendet: Stehe gleich zu
Diensten, Mister. Erlauben Sie nur, daß ich das Eisen schmiede, da
es warm ist. Haben ja auch noch Zeit zu versäumen. Geht so rasch
nicht wie Sie denken, Mister. Vertreiben da einen Mann, der in

indem er ſo eben of trepass vi et armis ihn anzuklagen im Be¬
griffe ſtehe.

Moorfeld traute ſeinen Ohren nicht. Er glaubte in Wogan eine Art
Automat zu hören, welches zwar eingerichtet iſt, articulirte Laute hervorzu¬
bringen, aber auf's Gerathewohl, ohne Sinn und logiſche Ordnung. Und da
der Menſch, ſelbſt, wo ihm der Verſtand gänzlich ſtille ſteht, ſeiner Natur
nach doch noch Gedanken erzeugt, ſo war Moorfeld's einziger Gedanke:
der Mann iſt verrückt.

In dieſem Sinne antwortete er auch. Er ſagte, er ziehe ſeine
Klage auf widerrechtliche Beſitzergreifung mittels Einbruchs zwar
nicht zurück, aber er ſuſpendire ſie ſo lange, bis die gerichtsärztliche
Expertiſe über die Imputationsfähigkeit des Angeklagten entſchieden.
Für jetzt wünſche er unter Gerichtsgeleit in ſeine Wohnung zurückzu¬
kehren, und ſei es ja möglich, dem geiſteskranken Uebelthäter hier einen
lichten Gedankenmoment abzugewinnen, ſo möge er vor allem inquirirt
werden, was aus Adin Ballan, dem Schottländer, geworden.

Ein Yankee macht nicht leicht ein verblüfftes Geſicht, es wäre denn
in ſupernaturaliſtiſchen Dingen. Aber ſelbſt dann affectirt er ſtatt der
verblüfften bloß eine verächtliche Miene.

Der Friedensrichter von New-Lisbon behauptete in dieſer wider¬
ſpruchsvollen Lage ſeine vollkommenſte Faſſung. Ja, ſo groß war
dieſe Faſſung, daß er während des Vortrages der beiden Parteien
keinen Augenblick aufhörte, zu nieten und zu ſchweißen, denn wir dür¬
fen nicht vergeſſen zu bemerken, daß Moorfeld den ehrenwerthen Mr.
Cartwright bei der Ausbeſſerung eines Pittsburger Packwagens an¬
getroffen, welcher einer durchreiſenden Auswandererfamilie aus Penn¬
ſylvanien auf der ſchlechten Lisboner Straße in Brüche gegangen, und
welchen der barmherzige Ortsrichter ſo eben zur Cur vorhatte, da die¬
ſer Würdige, ſeines Zeichens ein Schmid, aus überfließender Menſchen-
und Dollarliebe mitunter auch gerne noch zu ſeinem vorigen Hand¬
werk griff.

Der Richter antwortete daher unter Hammerſchlägen und dem
Ziſchen glühender Stifte gegen Moorfeld gewendet: Stehe gleich zu
Dienſten, Miſter. Erlauben Sie nur, daß ich das Eiſen ſchmiede, da
es warm iſt. Haben ja auch noch Zeit zu verſäumen. Geht ſo raſch
nicht wie Sie denken, Miſter. Vertreiben da einen Mann, der in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0449" n="431"/>
indem er &#x017F;o eben <hi rendition="#aq">of trepass vi et armis</hi> ihn anzuklagen im Be¬<lb/>
griffe &#x017F;tehe.</p><lb/>
          <p>Moorfeld traute &#x017F;einen Ohren nicht. Er glaubte in Wogan eine Art<lb/>
Automat zu hören, welches zwar eingerichtet i&#x017F;t, articulirte Laute hervorzu¬<lb/>
bringen, aber auf's Gerathewohl, ohne Sinn und logi&#x017F;che Ordnung. Und da<lb/>
der Men&#x017F;ch, &#x017F;elb&#x017F;t, wo ihm der Ver&#x017F;tand gänzlich &#x017F;tille &#x017F;teht, &#x017F;einer Natur<lb/>
nach doch noch Gedanken erzeugt, &#x017F;o war Moorfeld's einziger Gedanke:<lb/>
der Mann i&#x017F;t verrückt.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;em Sinne antwortete er auch. Er &#x017F;agte, er ziehe &#x017F;eine<lb/>
Klage auf widerrechtliche Be&#x017F;itzergreifung mittels Einbruchs zwar<lb/>
nicht zurück, aber er &#x017F;u&#x017F;pendire &#x017F;ie &#x017F;o lange, bis die gerichtsärztliche<lb/><choice><sic>Erperti&#x017F;e</sic><corr>Experti&#x017F;e</corr></choice> über die Imputationsfähigkeit des Angeklagten ent&#x017F;chieden.<lb/>
Für jetzt wün&#x017F;che er unter Gerichtsgeleit in &#x017F;eine Wohnung zurückzu¬<lb/>
kehren, und &#x017F;ei es ja möglich, dem gei&#x017F;teskranken Uebelthäter hier einen<lb/>
lichten Gedankenmoment abzugewinnen, &#x017F;o möge er vor allem inquirirt<lb/>
werden, was aus Adin Ballan, dem Schottländer, geworden.</p><lb/>
          <p>Ein Yankee macht nicht leicht ein verblüfftes Ge&#x017F;icht, es wäre denn<lb/>
in &#x017F;upernaturali&#x017F;ti&#x017F;chen Dingen. Aber &#x017F;elb&#x017F;t dann affectirt er &#x017F;tatt der<lb/>
verblüfften bloß eine verächtliche Miene.</p><lb/>
          <p>Der Friedensrichter von New-Lisbon behauptete in die&#x017F;er wider¬<lb/>
&#x017F;pruchsvollen Lage &#x017F;eine vollkommen&#x017F;te Fa&#x017F;&#x017F;ung. Ja, &#x017F;o groß war<lb/>
die&#x017F;e Fa&#x017F;&#x017F;ung, daß er während des Vortrages der beiden Parteien<lb/>
keinen Augenblick aufhörte, zu nieten und zu &#x017F;chweißen, denn wir dür¬<lb/>
fen nicht verge&#x017F;&#x017F;en zu bemerken, daß Moorfeld den ehrenwerthen Mr.<lb/>
Cartwright bei der Ausbe&#x017F;&#x017F;erung eines Pittsburger Packwagens an¬<lb/>
getroffen, welcher einer durchrei&#x017F;enden Auswandererfamilie aus Penn¬<lb/>
&#x017F;ylvanien auf der &#x017F;chlechten Lisboner Straße in Brüche gegangen, und<lb/>
welchen der barmherzige Ortsrichter &#x017F;o eben zur Cur vorhatte, da die¬<lb/>
&#x017F;er Würdige, &#x017F;eines Zeichens ein Schmid, aus überfließender Men&#x017F;chen-<lb/>
und Dollarliebe mitunter auch gerne noch zu &#x017F;einem vorigen Hand¬<lb/>
werk griff.</p><lb/>
          <p>Der Richter antwortete daher unter Hammer&#x017F;chlägen und dem<lb/>
Zi&#x017F;chen glühender Stifte gegen Moorfeld gewendet: Stehe gleich zu<lb/>
Dien&#x017F;ten, Mi&#x017F;ter. Erlauben Sie nur, daß ich das Ei&#x017F;en &#x017F;chmiede, da<lb/>
es warm i&#x017F;t. Haben ja auch noch Zeit zu ver&#x017F;äumen. Geht &#x017F;o ra&#x017F;ch<lb/>
nicht wie Sie denken, Mi&#x017F;ter. Vertreiben da einen Mann, der in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0449] indem er ſo eben of trepass vi et armis ihn anzuklagen im Be¬ griffe ſtehe. Moorfeld traute ſeinen Ohren nicht. Er glaubte in Wogan eine Art Automat zu hören, welches zwar eingerichtet iſt, articulirte Laute hervorzu¬ bringen, aber auf's Gerathewohl, ohne Sinn und logiſche Ordnung. Und da der Menſch, ſelbſt, wo ihm der Verſtand gänzlich ſtille ſteht, ſeiner Natur nach doch noch Gedanken erzeugt, ſo war Moorfeld's einziger Gedanke: der Mann iſt verrückt. In dieſem Sinne antwortete er auch. Er ſagte, er ziehe ſeine Klage auf widerrechtliche Beſitzergreifung mittels Einbruchs zwar nicht zurück, aber er ſuſpendire ſie ſo lange, bis die gerichtsärztliche Expertiſe über die Imputationsfähigkeit des Angeklagten entſchieden. Für jetzt wünſche er unter Gerichtsgeleit in ſeine Wohnung zurückzu¬ kehren, und ſei es ja möglich, dem geiſteskranken Uebelthäter hier einen lichten Gedankenmoment abzugewinnen, ſo möge er vor allem inquirirt werden, was aus Adin Ballan, dem Schottländer, geworden. Ein Yankee macht nicht leicht ein verblüfftes Geſicht, es wäre denn in ſupernaturaliſtiſchen Dingen. Aber ſelbſt dann affectirt er ſtatt der verblüfften bloß eine verächtliche Miene. Der Friedensrichter von New-Lisbon behauptete in dieſer wider¬ ſpruchsvollen Lage ſeine vollkommenſte Faſſung. Ja, ſo groß war dieſe Faſſung, daß er während des Vortrages der beiden Parteien keinen Augenblick aufhörte, zu nieten und zu ſchweißen, denn wir dür¬ fen nicht vergeſſen zu bemerken, daß Moorfeld den ehrenwerthen Mr. Cartwright bei der Ausbeſſerung eines Pittsburger Packwagens an¬ getroffen, welcher einer durchreiſenden Auswandererfamilie aus Penn¬ ſylvanien auf der ſchlechten Lisboner Straße in Brüche gegangen, und welchen der barmherzige Ortsrichter ſo eben zur Cur vorhatte, da die¬ ſer Würdige, ſeines Zeichens ein Schmid, aus überfließender Menſchen- und Dollarliebe mitunter auch gerne noch zu ſeinem vorigen Hand¬ werk griff. Der Richter antwortete daher unter Hammerſchlägen und dem Ziſchen glühender Stifte gegen Moorfeld gewendet: Stehe gleich zu Dienſten, Miſter. Erlauben Sie nur, daß ich das Eiſen ſchmiede, da es warm iſt. Haben ja auch noch Zeit zu verſäumen. Geht ſo raſch nicht wie Sie denken, Miſter. Vertreiben da einen Mann, der in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/449
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/449>, abgerufen am 12.05.2024.