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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Die Taverne fand sich unangenehmer Weise von einem stark ab-
und zugehenden Publikum jener Rowdies besetzt, welche vorn an der
Straßenecke ihr Standquartier aufgeschlagen. Moorfeld zeigte Gold
und forderte ein ruhiges Zimmer mit der besten Flasche Wein. Man
übergab ihm eine Stube des Hinterhauses, und brachte Wein, der
mindestens seiner Etiquette nach, Ost-India-Madeira war.

Bei der Eile, die Moorfeld für die Bestimmung dieses Abends
hatte, konnte er nicht daran denken, seinem unerwarteten Gaste die
Pflicht der Gastfreundschaft zu erfüllen. Einzig die Pflicht als Arzt
und Mensch gebot augenblickliche Erfüllung hier.

Moorfeld erlaubte sich die nöthigsten Fragen um das körperliche
Befinden des Unglücklichen. Der Alte antwortete nicht. Er starrte
still vor sich hin. Er drückte sich in die Ecke des Kanapee's und zog
fest seinen Mantel an sich. Moorfeld, auf eine scharfe Beobachtung
durch das Auge, wie so häufig in solchen Fällen, fast ausschließlich
beschränkt, folgte der geringsten dieser Bewegungen mit Aufmerksamkeit.
Die Züge des Greises zeigten den Ausdruck tiefer Erschöpfung und
langwieriger Seelenleiden. Eigentliche Krankheitssymptome konnte
Moorfeld nicht darin erforschen. Sein Kopf war von zarten und
edlen Formen, das Auge glanzvoll, entschieden geistig. Die schön ge¬
bleichte Stirne strahlte vom blendendsten Weiß, der Mund, der übri¬
gens auch nicht Einen Zahn nachwies, schien gegen die greisenhafte
Erschlaffung der Muskel, welche die Mundwinkel abwärts zieht, ziem¬
lich standhaft geblieben. Man sah die lange Uebung des wohlredenden
Italieners, den Abglanz witziger Scherze und feiner Tafelgenüsse darauf.
Wenigstens glaubte Moorfeld, indem die physiognomischen Transponir¬
künste seiner Phantasie zu spielen anfingen, aus dieser Greisenmaske die
Jugend eines eleganten Lebemannes zu dechiffriren, und wir dürfen es sehr
dahingestellt lassen, ob sein studienhafter Blick mehr mit poetischem oder
pathologischem Tiefsinn in die Züge des alten Mannes hineinträumte.

Moorfeld schenkte zwei Gläser voll. Der Alte wickelte eine seiner
Hände aus dem Mantel, und streckte sie zitternd nach dem Weine aus.
Moorfeld gab sich die Miene, ihm das Glas in die Hand zu drücken,
wobei er die Gelegenheit benützte, seinen Puls zu fühlen. Er war
herabgestimmt, aber gleichmäßig. Beruhigter stieß Moorfeld an mit
dem Alten. Dieser aber führte das Glas nicht zum Munde. Er hielt

Die Taverne fand ſich unangenehmer Weiſe von einem ſtark ab-
und zugehenden Publikum jener Rowdies beſetzt, welche vorn an der
Straßenecke ihr Standquartier aufgeſchlagen. Moorfeld zeigte Gold
und forderte ein ruhiges Zimmer mit der beſten Flaſche Wein. Man
übergab ihm eine Stube des Hinterhauſes, und brachte Wein, der
mindeſtens ſeiner Etiquette nach, Oſt-India-Madeira war.

Bei der Eile, die Moorfeld für die Beſtimmung dieſes Abends
hatte, konnte er nicht daran denken, ſeinem unerwarteten Gaſte die
Pflicht der Gaſtfreundſchaft zu erfüllen. Einzig die Pflicht als Arzt
und Menſch gebot augenblickliche Erfüllung hier.

Moorfeld erlaubte ſich die nöthigſten Fragen um das körperliche
Befinden des Unglücklichen. Der Alte antwortete nicht. Er ſtarrte
ſtill vor ſich hin. Er drückte ſich in die Ecke des Kanapee's und zog
feſt ſeinen Mantel an ſich. Moorfeld, auf eine ſcharfe Beobachtung
durch das Auge, wie ſo häufig in ſolchen Fällen, faſt ausſchließlich
beſchränkt, folgte der geringſten dieſer Bewegungen mit Aufmerkſamkeit.
Die Züge des Greiſes zeigten den Ausdruck tiefer Erſchöpfung und
langwieriger Seelenleiden. Eigentliche Krankheitsſymptome konnte
Moorfeld nicht darin erforſchen. Sein Kopf war von zarten und
edlen Formen, das Auge glanzvoll, entſchieden geiſtig. Die ſchön ge¬
bleichte Stirne ſtrahlte vom blendendſten Weiß, der Mund, der übri¬
gens auch nicht Einen Zahn nachwies, ſchien gegen die greiſenhafte
Erſchlaffung der Muskel, welche die Mundwinkel abwärts zieht, ziem¬
lich ſtandhaft geblieben. Man ſah die lange Uebung des wohlredenden
Italieners, den Abglanz witziger Scherze und feiner Tafelgenüſſe darauf.
Wenigſtens glaubte Moorfeld, indem die phyſiognomiſchen Transponir¬
künſte ſeiner Phantaſie zu ſpielen anfingen, aus dieſer Greiſenmaske die
Jugend eines eleganten Lebemannes zu dechiffriren, und wir dürfen es ſehr
dahingeſtellt laſſen, ob ſein ſtudienhafter Blick mehr mit poetiſchem oder
pathologiſchem Tiefſinn in die Züge des alten Mannes hineinträumte.

Moorfeld ſchenkte zwei Gläſer voll. Der Alte wickelte eine ſeiner
Hände aus dem Mantel, und ſtreckte ſie zitternd nach dem Weine aus.
Moorfeld gab ſich die Miene, ihm das Glas in die Hand zu drücken,
wobei er die Gelegenheit benützte, ſeinen Puls zu fühlen. Er war
herabgeſtimmt, aber gleichmäßig. Beruhigter ſtieß Moorfeld an mit
dem Alten. Dieſer aber führte das Glas nicht zum Munde. Er hielt

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[470/0488] Die Taverne fand ſich unangenehmer Weiſe von einem ſtark ab- und zugehenden Publikum jener Rowdies beſetzt, welche vorn an der Straßenecke ihr Standquartier aufgeſchlagen. Moorfeld zeigte Gold und forderte ein ruhiges Zimmer mit der beſten Flaſche Wein. Man übergab ihm eine Stube des Hinterhauſes, und brachte Wein, der mindeſtens ſeiner Etiquette nach, Oſt-India-Madeira war. Bei der Eile, die Moorfeld für die Beſtimmung dieſes Abends hatte, konnte er nicht daran denken, ſeinem unerwarteten Gaſte die Pflicht der Gaſtfreundſchaft zu erfüllen. Einzig die Pflicht als Arzt und Menſch gebot augenblickliche Erfüllung hier. Moorfeld erlaubte ſich die nöthigſten Fragen um das körperliche Befinden des Unglücklichen. Der Alte antwortete nicht. Er ſtarrte ſtill vor ſich hin. Er drückte ſich in die Ecke des Kanapee's und zog feſt ſeinen Mantel an ſich. Moorfeld, auf eine ſcharfe Beobachtung durch das Auge, wie ſo häufig in ſolchen Fällen, faſt ausſchließlich beſchränkt, folgte der geringſten dieſer Bewegungen mit Aufmerkſamkeit. Die Züge des Greiſes zeigten den Ausdruck tiefer Erſchöpfung und langwieriger Seelenleiden. Eigentliche Krankheitsſymptome konnte Moorfeld nicht darin erforſchen. Sein Kopf war von zarten und edlen Formen, das Auge glanzvoll, entſchieden geiſtig. Die ſchön ge¬ bleichte Stirne ſtrahlte vom blendendſten Weiß, der Mund, der übri¬ gens auch nicht Einen Zahn nachwies, ſchien gegen die greiſenhafte Erſchlaffung der Muskel, welche die Mundwinkel abwärts zieht, ziem¬ lich ſtandhaft geblieben. Man ſah die lange Uebung des wohlredenden Italieners, den Abglanz witziger Scherze und feiner Tafelgenüſſe darauf. Wenigſtens glaubte Moorfeld, indem die phyſiognomiſchen Transponir¬ künſte ſeiner Phantaſie zu ſpielen anfingen, aus dieſer Greiſenmaske die Jugend eines eleganten Lebemannes zu dechiffriren, und wir dürfen es ſehr dahingeſtellt laſſen, ob ſein ſtudienhafter Blick mehr mit poetiſchem oder pathologiſchem Tiefſinn in die Züge des alten Mannes hineinträumte. Moorfeld ſchenkte zwei Gläſer voll. Der Alte wickelte eine ſeiner Hände aus dem Mantel, und ſtreckte ſie zitternd nach dem Weine aus. Moorfeld gab ſich die Miene, ihm das Glas in die Hand zu drücken, wobei er die Gelegenheit benützte, ſeinen Puls zu fühlen. Er war herabgeſtimmt, aber gleichmäßig. Beruhigter ſtieß Moorfeld an mit dem Alten. Dieſer aber führte das Glas nicht zum Munde. Er hielt

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/488>, abgerufen am 13.05.2024.