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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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wir kein Reich, wir sind nur ein Haus. Das ist unser Unglück. In
weiten Entfernungen würde er erwärmen und beleben, im engen Fa¬
milienraume verzehrt und tödtet er. Er ist ein Jupiter und wir
sind -- die Asche der Semele!

Moorfeld stöhnte unter Bergeslasten.

Ja, die Künste haben keine Freistätte hier, eine Werkstätte sollen
sie haben. Ein Bennet will erschaffen, was er genießt. Und so
war es meinen Kindern schon in der Wiege dictirt: Du malest, du
dichtest, du modelirst, du musicirst! Die Natur hatte nur das Recht,
die Steuern zu bewilligen, die ihr Bennet auferlegte, sie durfte Ja
sagen, aber nicht Nein.

Und wahrlich, sie sagte nicht nein! Die Kinder dieses Vaters hatten
wirkliche, angeborene Talente. Aber gibt es Mittel, das Talent sich
selbst verhaßt zu machen, so gebrauchte sie Bennet. Die Art, wie er
die Talente weckte, -- was sag' ich, "wecken"? So weckt nicht das
Morgenlied der Lerche, spielende Batterien wecken so. Er donnerte
die armen Kleinen schon aus ihrem zartesten Kindheitsschlafe empor.
Auf zur Arbeit! war das erste Wort seiner Vaterlippe. Daß sie in
drei Sprachen zugleich erzogen werden, rechne ich noch für nichts, die
Natur leistet wirklich Außerordentliches hierin. Daß sie den Freuden
ihrer Spiele, den geringsten Erhohlungen und Genüssen ihres Alters
entsagen mußten, daß ihre Kinderstube ein Gedränge von Lehrern und
Büchern erfüllte, zwischen welchem das flüchtigste Lächeln einer Muße¬
stunde erdrückt wurde, daß ihnen die frische Luft, die Nahrung, die
Ruhe des nächtlichen Lagers entzogen wurde, "weil die Götter den
Sterblichen nur Alles für Arbeit verkaufen", -- das ist schon etwas,
mein Herr! cela commence a compter! Aber was soll ich sagen,
was soll ich als Frau sagen, wenn diese dämonische Begeisterung selbst
das Opfer der Schicklichkeit, des Anstandes, des weiblichen Schamge¬
fühls nicht für zu groß hält, um es ohne Weiteres zu fordern? Jenny,
meine älteste, modellirt. Die Diana im Trumeau unsers Parlours
ist von ihr. Aber nicht Dilletantin soll sie bleiben, sie soll wetteifern
mit Künstlern, welchen das Studium der Antike, welchen der Anblick
der unmittelbaren Natur zu Gebote steht. Und wir leben in Puritaner-
Staaten, mein Herr! O, lassen Sie mich schweigen! Von welchen Stür¬
men, von welchem Thränenmeere rede ich da! Papa, sie werden mit

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wir kein Reich, wir ſind nur ein Haus. Das iſt unſer Unglück. In
weiten Entfernungen würde er erwärmen und beleben, im engen Fa¬
milienraume verzehrt und tödtet er. Er iſt ein Jupiter und wir
ſind — die Aſche der Semele!

Moorfeld ſtöhnte unter Bergeslaſten.

Ja, die Künſte haben keine Freiſtätte hier, eine Werkſtätte ſollen
ſie haben. Ein Bennet will erſchaffen, was er genießt. Und ſo
war es meinen Kindern ſchon in der Wiege dictirt: Du maleſt, du
dichteſt, du modelirſt, du muſicirſt! Die Natur hatte nur das Recht,
die Steuern zu bewilligen, die ihr Bennet auferlegte, ſie durfte Ja
ſagen, aber nicht Nein.

Und wahrlich, ſie ſagte nicht nein! Die Kinder dieſes Vaters hatten
wirkliche, angeborene Talente. Aber gibt es Mittel, das Talent ſich
ſelbſt verhaßt zu machen, ſo gebrauchte ſie Bennet. Die Art, wie er
die Talente weckte, — was ſag' ich, „wecken“? So weckt nicht das
Morgenlied der Lerche, ſpielende Batterien wecken ſo. Er donnerte
die armen Kleinen ſchon aus ihrem zarteſten Kindheitsſchlafe empor.
Auf zur Arbeit! war das erſte Wort ſeiner Vaterlippe. Daß ſie in
drei Sprachen zugleich erzogen werden, rechne ich noch für nichts, die
Natur leiſtet wirklich Außerordentliches hierin. Daß ſie den Freuden
ihrer Spiele, den geringſten Erhohlungen und Genüſſen ihres Alters
entſagen mußten, daß ihre Kinderſtube ein Gedränge von Lehrern und
Büchern erfüllte, zwiſchen welchem das flüchtigſte Lächeln einer Muße¬
ſtunde erdrückt wurde, daß ihnen die friſche Luft, die Nahrung, die
Ruhe des nächtlichen Lagers entzogen wurde, „weil die Götter den
Sterblichen nur Alles für Arbeit verkaufen“, — das iſt ſchon etwas,
mein Herr! cela commence à compter! Aber was ſoll ich ſagen,
was ſoll ich als Frau ſagen, wenn dieſe dämoniſche Begeiſterung ſelbſt
das Opfer der Schicklichkeit, des Anſtandes, des weiblichen Schamge¬
fühls nicht für zu groß hält, um es ohne Weiteres zu fordern? Jenny,
meine älteſte, modellirt. Die Diana im Trumeau unſers Parlours
iſt von ihr. Aber nicht Dilletantin ſoll ſie bleiben, ſie ſoll wetteifern
mit Künſtlern, welchen das Studium der Antike, welchen der Anblick
der unmittelbaren Natur zu Gebote ſteht. Und wir leben in Puritaner-
Staaten, mein Herr! O, laſſen Sie mich ſchweigen! Von welchen Stür¬
men, von welchem Thränenmeere rede ich da! Papa, ſie werden mit

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[487/0505] wir kein Reich, wir ſind nur ein Haus. Das iſt unſer Unglück. In weiten Entfernungen würde er erwärmen und beleben, im engen Fa¬ milienraume verzehrt und tödtet er. Er iſt ein Jupiter und wir ſind — die Aſche der Semele! Moorfeld ſtöhnte unter Bergeslaſten. Ja, die Künſte haben keine Freiſtätte hier, eine Werkſtätte ſollen ſie haben. Ein Bennet will erſchaffen, was er genießt. Und ſo war es meinen Kindern ſchon in der Wiege dictirt: Du maleſt, du dichteſt, du modelirſt, du muſicirſt! Die Natur hatte nur das Recht, die Steuern zu bewilligen, die ihr Bennet auferlegte, ſie durfte Ja ſagen, aber nicht Nein. Und wahrlich, ſie ſagte nicht nein! Die Kinder dieſes Vaters hatten wirkliche, angeborene Talente. Aber gibt es Mittel, das Talent ſich ſelbſt verhaßt zu machen, ſo gebrauchte ſie Bennet. Die Art, wie er die Talente weckte, — was ſag' ich, „wecken“? So weckt nicht das Morgenlied der Lerche, ſpielende Batterien wecken ſo. Er donnerte die armen Kleinen ſchon aus ihrem zarteſten Kindheitsſchlafe empor. Auf zur Arbeit! war das erſte Wort ſeiner Vaterlippe. Daß ſie in drei Sprachen zugleich erzogen werden, rechne ich noch für nichts, die Natur leiſtet wirklich Außerordentliches hierin. Daß ſie den Freuden ihrer Spiele, den geringſten Erhohlungen und Genüſſen ihres Alters entſagen mußten, daß ihre Kinderſtube ein Gedränge von Lehrern und Büchern erfüllte, zwiſchen welchem das flüchtigſte Lächeln einer Muße¬ ſtunde erdrückt wurde, daß ihnen die friſche Luft, die Nahrung, die Ruhe des nächtlichen Lagers entzogen wurde, „weil die Götter den Sterblichen nur Alles für Arbeit verkaufen“, — das iſt ſchon etwas, mein Herr! cela commence à compter! Aber was ſoll ich ſagen, was ſoll ich als Frau ſagen, wenn dieſe dämoniſche Begeiſterung ſelbſt das Opfer der Schicklichkeit, des Anſtandes, des weiblichen Schamge¬ fühls nicht für zu groß hält, um es ohne Weiteres zu fordern? Jenny, meine älteſte, modellirt. Die Diana im Trumeau unſers Parlours iſt von ihr. Aber nicht Dilletantin ſoll ſie bleiben, ſie ſoll wetteifern mit Künſtlern, welchen das Studium der Antike, welchen der Anblick der unmittelbaren Natur zu Gebote ſteht. Und wir leben in Puritaner- Staaten, mein Herr! O, laſſen Sie mich ſchweigen! Von welchen Stür¬ men, von welchem Thränenmeere rede ich da! Papa, ſie werden mit 32*

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/505>, abgerufen am 27.04.2024.