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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Sonntag mit Feuerlöschen. Banjo ist Sünde, aber Feuerlöschen ist
gut Werk, nicht wahr, Sar? Nun, so müssen sie doch erst Feuer an¬
zünden, wenn sie Feuer löschen wollen, wie, Sar? Moorfeld sah
den naiven Logiker erschrocken an. Sie sind Brandstifter zu ihrem
Sonntagsvergnügen? rief er mit starker Betonung, aber in diesem
Augenblicke erdröhnten dumpfe Glockenschläge, die sich zwar von dem
monotonen Getön des sogenannten Kirchengeläutes nicht unterschieden,
die der entzückte Jack aber sogleich für ein Feuersignal erklärte. Mit
einem lauten Freudengejubel sprang er in die Küche hinweg, fluchend
auf die unzeitige Neuerung der Brandstifterpraxis, die schon so früh
anfange, und ihn nicht einmal an seinem Spültisch fertig werden
lasse. Moorfeld ging wie im Traume auf die Straße hinaus.

Er fand am Kai schon die ersten Anfänge eines Zusammenlaufs.
"Rooseveltstreet in der vierten Ward!" riefen die Begegnenden ein¬
ander zu. Auf Erkundigung hörte Moorfeld, daß der genannte Be¬
zirk am Ostflusse liege, also gerade auf der entgegengesetzten Seite
der Stadt. Vergebens sah er sich rings nach einem Omnibus um,
kein Fuhrwerk war irgendwo zu sehen und zu hören. Er merkte, daß
auch hier der Sonntag im Spiele sei, und daß ihm als Fremden nur
übrig bleibe, auf gut Glück der Richtung derjenigen zu folgen, welche
denselben Weg einzuschlagen schienen. Das that er.

Die Menge des Straßenpublikums mehrte sich mit jedem Schritt.
Der hochgeputzte Neger in weißen Handschuhen und Manschetten, das
zarte Phantasiestäbchen balancirend, an seinem Arme die schwarze Schöne,
die im weißen Kleide mit Rosaschleifen ihren äthiopischen Teint vor¬
theilhaft, wie sie meint, zu heben weiß, der kurze Dandy-Frack, die
strahlende Uniform, die schwere Sammtrobe, der wallende Federhut --
das Alles eilte auf einen Schauplatz voraussichtlicher Unreinlichkeit mit
größtem Eifer. Dazu malte sich auf allen Mienen, selbst der ele¬
gantesten Herren und Damen, eine gewisse Freudigkeit, ja schon der
Umstand, daß sie aus so weiter Ferne zu einem so alltäglichen Er¬
eigniß zusammenströmten, war bedeutungsvoll. Kurz, Moorfeld konnte
unverhohlen wahrnehmen, daß die Leute die Zwangsjacke ihrer Sonn¬
tagsfeier begierig lüfteten, daß ihnen der Brand ein wahres Volks¬
fest sei, und daß Jack's Vermuthung ohne Zweifel ihre sittenkundige
Giltigkeit habe.

Sonntag mit Feuerlöſchen. Banjo iſt Sünde, aber Feuerlöſchen iſt
gut Werk, nicht wahr, Sar? Nun, ſo müſſen ſie doch erſt Feuer an¬
zünden, wenn ſie Feuer löſchen wollen, wie, Sar? Moorfeld ſah
den naiven Logiker erſchrocken an. Sie ſind Brandſtifter zu ihrem
Sonntagsvergnügen? rief er mit ſtarker Betonung, aber in dieſem
Augenblicke erdröhnten dumpfe Glockenſchläge, die ſich zwar von dem
monotonen Getön des ſogenannten Kirchengeläutes nicht unterſchieden,
die der entzückte Jack aber ſogleich für ein Feuerſignal erklärte. Mit
einem lauten Freudengejubel ſprang er in die Küche hinweg, fluchend
auf die unzeitige Neuerung der Brandſtifterpraxis, die ſchon ſo früh
anfange, und ihn nicht einmal an ſeinem Spültiſch fertig werden
laſſe. Moorfeld ging wie im Traume auf die Straße hinaus.

Er fand am Kai ſchon die erſten Anfänge eines Zuſammenlaufs.
„Rooſeveltſtreet in der vierten Ward!“ riefen die Begegnenden ein¬
ander zu. Auf Erkundigung hörte Moorfeld, daß der genannte Be¬
zirk am Oſtfluſſe liege, alſo gerade auf der entgegengeſetzten Seite
der Stadt. Vergebens ſah er ſich rings nach einem Omnibus um,
kein Fuhrwerk war irgendwo zu ſehen und zu hören. Er merkte, daß
auch hier der Sonntag im Spiele ſei, und daß ihm als Fremden nur
übrig bleibe, auf gut Glück der Richtung derjenigen zu folgen, welche
denſelben Weg einzuſchlagen ſchienen. Das that er.

Die Menge des Straßenpublikums mehrte ſich mit jedem Schritt.
Der hochgeputzte Neger in weißen Handſchuhen und Manſchetten, das
zarte Phantaſieſtäbchen balancirend, an ſeinem Arme die ſchwarze Schöne,
die im weißen Kleide mit Roſaſchleifen ihren äthiopiſchen Teint vor¬
theilhaft, wie ſie meint, zu heben weiß, der kurze Dandy-Frack, die
ſtrahlende Uniform, die ſchwere Sammtrobe, der wallende Federhut —
das Alles eilte auf einen Schauplatz vorausſichtlicher Unreinlichkeit mit
größtem Eifer. Dazu malte ſich auf allen Mienen, ſelbſt der ele¬
ganteſten Herren und Damen, eine gewiſſe Freudigkeit, ja ſchon der
Umſtand, daß ſie aus ſo weiter Ferne zu einem ſo alltäglichen Er¬
eigniß zuſammenſtrömten, war bedeutungsvoll. Kurz, Moorfeld konnte
unverhohlen wahrnehmen, daß die Leute die Zwangsjacke ihrer Sonn¬
tagsfeier begierig lüfteten, daß ihnen der Brand ein wahres Volks¬
feſt ſei, und daß Jack's Vermuthung ohne Zweifel ihre ſittenkundige
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[40/0058] Sonntag mit Feuerlöſchen. Banjo iſt Sünde, aber Feuerlöſchen iſt gut Werk, nicht wahr, Sar? Nun, ſo müſſen ſie doch erſt Feuer an¬ zünden, wenn ſie Feuer löſchen wollen, wie, Sar? Moorfeld ſah den naiven Logiker erſchrocken an. Sie ſind Brandſtifter zu ihrem Sonntagsvergnügen? rief er mit ſtarker Betonung, aber in dieſem Augenblicke erdröhnten dumpfe Glockenſchläge, die ſich zwar von dem monotonen Getön des ſogenannten Kirchengeläutes nicht unterſchieden, die der entzückte Jack aber ſogleich für ein Feuerſignal erklärte. Mit einem lauten Freudengejubel ſprang er in die Küche hinweg, fluchend auf die unzeitige Neuerung der Brandſtifterpraxis, die ſchon ſo früh anfange, und ihn nicht einmal an ſeinem Spültiſch fertig werden laſſe. Moorfeld ging wie im Traume auf die Straße hinaus. Er fand am Kai ſchon die erſten Anfänge eines Zuſammenlaufs. „Rooſeveltſtreet in der vierten Ward!“ riefen die Begegnenden ein¬ ander zu. Auf Erkundigung hörte Moorfeld, daß der genannte Be¬ zirk am Oſtfluſſe liege, alſo gerade auf der entgegengeſetzten Seite der Stadt. Vergebens ſah er ſich rings nach einem Omnibus um, kein Fuhrwerk war irgendwo zu ſehen und zu hören. Er merkte, daß auch hier der Sonntag im Spiele ſei, und daß ihm als Fremden nur übrig bleibe, auf gut Glück der Richtung derjenigen zu folgen, welche denſelben Weg einzuſchlagen ſchienen. Das that er. Die Menge des Straßenpublikums mehrte ſich mit jedem Schritt. Der hochgeputzte Neger in weißen Handſchuhen und Manſchetten, das zarte Phantaſieſtäbchen balancirend, an ſeinem Arme die ſchwarze Schöne, die im weißen Kleide mit Roſaſchleifen ihren äthiopiſchen Teint vor¬ theilhaft, wie ſie meint, zu heben weiß, der kurze Dandy-Frack, die ſtrahlende Uniform, die ſchwere Sammtrobe, der wallende Federhut — das Alles eilte auf einen Schauplatz vorausſichtlicher Unreinlichkeit mit größtem Eifer. Dazu malte ſich auf allen Mienen, ſelbſt der ele¬ ganteſten Herren und Damen, eine gewiſſe Freudigkeit, ja ſchon der Umſtand, daß ſie aus ſo weiter Ferne zu einem ſo alltäglichen Er¬ eigniß zuſammenſtrömten, war bedeutungsvoll. Kurz, Moorfeld konnte unverhohlen wahrnehmen, daß die Leute die Zwangsjacke ihrer Sonn¬ tagsfeier begierig lüfteten, daß ihnen der Brand ein wahres Volks¬ feſt ſei, und daß Jack's Vermuthung ohne Zweifel ihre ſittenkundige Giltigkeit habe.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/58>, abgerufen am 27.04.2024.