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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Moorfeld aber saß in einer ernsthafteren Stimmung, als er eben
gezeigt hatte, auf seinem Zimmer. Er revidirte den Plan seines new¬
yorker Aufenthaltes. Bekanntlich bringt ein Reisender an den Ort
seiner Bestimmung irgend eine fertige Disposition mit, deren Stich¬
haltigkeit indeß bald von den wirklichen Verhältnissen in Frage gestellt
wird. Dies war jetzt Moorfeld's Fall. Er hatte geglaubt, vor seiner
Weiterreise nach dem Landesinneren in Newyork, der ersten amerika¬
nischen Großstadt, Station halten zu müssen. Das Verständniß der
hinterländischen Zustände, hatte er gemeint, könne er sich dadurch
rascher und in größeren Zügen aufschließen. Ebenso hatte er durch
Agentur sich Quartier in einem Privathause bestellt: das Culturbild
eines Volkes, nahm er an, könne ein Beobachter nirgends directer
studiren, als an der Quelle aller Cultur, in der Familie. Diese
Voraussetzungen waren es, welche er nun noch einmal durchprüfte.
Daß die Stadt nothwendig die idealisirte Physiognomie des Landes
darstelle, ist vielleicht, überlegte er jetzt, blos europäisch gedacht; in Amerika
möchte das Gegentheil walten. Ein Agriculturland, wie es ist, liege
sein höchster Charakterausdruck wohl eben im Lande, und die Stadt
sei nur eine Pantomime, ein Nebenumstand, eine Art Pseudoplasma.
In der That, schien es ihm jetzt deutlicher zu werden, was er schon
Angesichts der Feuerlösch-Emeute dunkel zu fühlen geglaubt. Er hatte
sich der Wildheit dieser Scene nicht rein zu erfreuen vermocht. Er
hatte den gesunden, naiven Kraftdrang eines Volkes, das sich so sprich¬
wörtlich das jugendliche nennt, in der Balgerei jener Bursche doch
nicht recht durchempfunden. Er glaubte, jede deutsche Bauernschlacht
weise mehr robusten Vandalismus auf; in dieser Newyorker Jugend
läge vielmehr ein gewisses Etwas, das gerade das Gegentheil vermein¬
ter amerikanischer Ursprünglichkeit sei: nämlich eine reflectirte, theatra¬
lische Frechheit, eine Emotion von matten und früh verbrauchten Kräf¬
ten, die höchstens an der Nachsicht der Polizei zu einem Strohfeuer auf¬
prasselt, wie es den Europäer vorübergehend blendet. Kurz die Ahnung
beschlich ihn, ob eine amerikanische Stadt, anstatt die potenzirten, nicht
vielmehr die blasirten Elemente des Volkslebens zur Erscheinung bringe,
den oberflächlichen Schaum einer reinen und gesunden Gährung, deren
Proceß sich auf andern Schauplätzen vollziehe. Was zweitens das Culturbild
von Herrn Staunton's Familie betraf, so gab sich unser Freund Mühe,

Moorfeld aber ſaß in einer ernſthafteren Stimmung, als er eben
gezeigt hatte, auf ſeinem Zimmer. Er revidirte den Plan ſeines new¬
yorker Aufenthaltes. Bekanntlich bringt ein Reiſender an den Ort
ſeiner Beſtimmung irgend eine fertige Dispoſition mit, deren Stich¬
haltigkeit indeß bald von den wirklichen Verhältniſſen in Frage geſtellt
wird. Dies war jetzt Moorfeld's Fall. Er hatte geglaubt, vor ſeiner
Weiterreiſe nach dem Landesinneren in Newyork, der erſten amerika¬
niſchen Großſtadt, Station halten zu müſſen. Das Verſtändniß der
hinterländiſchen Zuſtände, hatte er gemeint, könne er ſich dadurch
raſcher und in größeren Zügen aufſchließen. Ebenſo hatte er durch
Agentur ſich Quartier in einem Privathauſe beſtellt: das Culturbild
eines Volkes, nahm er an, könne ein Beobachter nirgends directer
ſtudiren, als an der Quelle aller Cultur, in der Familie. Dieſe
Vorausſetzungen waren es, welche er nun noch einmal durchprüfte.
Daß die Stadt nothwendig die idealiſirte Phyſiognomie des Landes
darſtelle, iſt vielleicht, überlegte er jetzt, blos europäiſch gedacht; in Amerika
möchte das Gegentheil walten. Ein Agriculturland, wie es iſt, liege
ſein höchſter Charakterausdruck wohl eben im Lande, und die Stadt
ſei nur eine Pantomime, ein Nebenumſtand, eine Art Pſeudoplasma.
In der That, ſchien es ihm jetzt deutlicher zu werden, was er ſchon
Angeſichts der Feuerlöſch-Emeute dunkel zu fühlen geglaubt. Er hatte
ſich der Wildheit dieſer Scene nicht rein zu erfreuen vermocht. Er
hatte den geſunden, naiven Kraftdrang eines Volkes, das ſich ſo ſprich¬
wörtlich das jugendliche nennt, in der Balgerei jener Burſche doch
nicht recht durchempfunden. Er glaubte, jede deutſche Bauernſchlacht
weiſe mehr robuſten Vandalismus auf; in dieſer Newyorker Jugend
läge vielmehr ein gewiſſes Etwas, das gerade das Gegentheil vermein¬
ter amerikaniſcher Urſprünglichkeit ſei: nämlich eine reflectirte, theatra¬
liſche Frechheit, eine Emotion von matten und früh verbrauchten Kräf¬
ten, die höchſtens an der Nachſicht der Polizei zu einem Strohfeuer auf¬
praſſelt, wie es den Europäer vorübergehend blendet. Kurz die Ahnung
beſchlich ihn, ob eine amerikaniſche Stadt, anſtatt die potenzirten, nicht
vielmehr die blaſirten Elemente des Volkslebens zur Erſcheinung bringe,
den oberflächlichen Schaum einer reinen und geſunden Gährung, deren
Proceß ſich auf andern Schauplätzen vollziehe. Was zweitens das Culturbild
von Herrn Staunton's Familie betraf, ſo gab ſich unſer Freund Mühe,

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[46/0064] Moorfeld aber ſaß in einer ernſthafteren Stimmung, als er eben gezeigt hatte, auf ſeinem Zimmer. Er revidirte den Plan ſeines new¬ yorker Aufenthaltes. Bekanntlich bringt ein Reiſender an den Ort ſeiner Beſtimmung irgend eine fertige Dispoſition mit, deren Stich¬ haltigkeit indeß bald von den wirklichen Verhältniſſen in Frage geſtellt wird. Dies war jetzt Moorfeld's Fall. Er hatte geglaubt, vor ſeiner Weiterreiſe nach dem Landesinneren in Newyork, der erſten amerika¬ niſchen Großſtadt, Station halten zu müſſen. Das Verſtändniß der hinterländiſchen Zuſtände, hatte er gemeint, könne er ſich dadurch raſcher und in größeren Zügen aufſchließen. Ebenſo hatte er durch Agentur ſich Quartier in einem Privathauſe beſtellt: das Culturbild eines Volkes, nahm er an, könne ein Beobachter nirgends directer ſtudiren, als an der Quelle aller Cultur, in der Familie. Dieſe Vorausſetzungen waren es, welche er nun noch einmal durchprüfte. Daß die Stadt nothwendig die idealiſirte Phyſiognomie des Landes darſtelle, iſt vielleicht, überlegte er jetzt, blos europäiſch gedacht; in Amerika möchte das Gegentheil walten. Ein Agriculturland, wie es iſt, liege ſein höchſter Charakterausdruck wohl eben im Lande, und die Stadt ſei nur eine Pantomime, ein Nebenumſtand, eine Art Pſeudoplasma. In der That, ſchien es ihm jetzt deutlicher zu werden, was er ſchon Angeſichts der Feuerlöſch-Emeute dunkel zu fühlen geglaubt. Er hatte ſich der Wildheit dieſer Scene nicht rein zu erfreuen vermocht. Er hatte den geſunden, naiven Kraftdrang eines Volkes, das ſich ſo ſprich¬ wörtlich das jugendliche nennt, in der Balgerei jener Burſche doch nicht recht durchempfunden. Er glaubte, jede deutſche Bauernſchlacht weiſe mehr robuſten Vandalismus auf; in dieſer Newyorker Jugend läge vielmehr ein gewiſſes Etwas, das gerade das Gegentheil vermein¬ ter amerikaniſcher Urſprünglichkeit ſei: nämlich eine reflectirte, theatra¬ liſche Frechheit, eine Emotion von matten und früh verbrauchten Kräf¬ ten, die höchſtens an der Nachſicht der Polizei zu einem Strohfeuer auf¬ praſſelt, wie es den Europäer vorübergehend blendet. Kurz die Ahnung beſchlich ihn, ob eine amerikaniſche Stadt, anſtatt die potenzirten, nicht vielmehr die blaſirten Elemente des Volkslebens zur Erſcheinung bringe, den oberflächlichen Schaum einer reinen und geſunden Gährung, deren Proceß ſich auf andern Schauplätzen vollziehe. Was zweitens das Culturbild von Herrn Staunton's Familie betraf, ſo gab ſich unſer Freund Mühe,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/64>, abgerufen am 27.04.2024.