Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre Verehrer in eine etwas zweideutige Verfassung zwischen Enthu¬
siasmus und Horreur bringen. Gärten mit grenadiersteifen Pallisa¬
den-Zäunen, Rasengründe mit angestrichenen Holzstatuen verziert, wa¬
ren ein gewöhnlicher Anblick; Pagoden, Tempel, Kiosk's, Pavillons,
welche vom chinesischen bis zum venetianischen, vom maurischen bis
zum Roccoco-Styl alle Bauformen der Erde verstandlos-bunt durch¬
einander würfelten, und regelmäßig einen schreienden Lackfarbenanstrich
wie eine Bedientenlivree trugen, das war der immer wiederkehrende
Anblick dieser Luxus-Bauten. Ja, unter seinen Augen sah Moorfeld
eine Colonnade entstehen, welche in ein- und derselben Front sämmtliche
fünf Säulenordnungen zugleich vereinigte! Von da an brauchte er
seinen Dollond doch weniger häufig, und besah sich das kleine Narren¬
paradies lieber mit freiem Auge. Aus dieser Perspective blieb es
allerliebst.

Aber wenn das Costüm eines Volkslebens mit unserm Schönheits¬
gefühl im Widerspruche steht, so ist es immer die zarte Sache des Augen¬
blicks wie es uns afficiren soll. Eine scheinlose Veranlassung, ein un¬
bedeutender Zufall und die Stimmung kann eben so schnell aus dem
Humor in Aergerniß, ja in wahre Verzweiflung umschlagen, der ästhe¬
tische Sinn seine Verletzung anstatt komisch, tragisch auffassen. Zweifeln
wir nicht, daß mit solchen Veranlassungen unsers Landsmanns Weg
wahrhaft besäet war. Vergessen wir nicht, daß Moorfeld auf einen
verdorbenen Magen gebeten wird, wenn ihn sein Banquier zu¬
fällig zu Gaste bittet; vergessen wir nicht, daß fast in jedem öffent¬
lichen Locale, in das er eintritt, sein Auge sich krampfhaft an den
Plafond klammern muß, wenn ein unbewachter Blick auf den Boden,
d. h. in den Speichel von tausend Tabakkauern ihm nicht das Ge¬
kröse im Leibe umwenden soll; vergessen wir nicht, daß es solch kleine,
aber unerschöpflich durchvariirte Täglichkeiten sind, aus welchen unser
Wohl- oder Uebelbefinden gewebt wird: und wir entschuldigen ge¬
wiß unsern Freund, daß er mitten im Anschauen einer großartigen
Volksthümlichkeit das Große nirgends recht zu Gesichte bekommt, weil
es unter tausend widerlichen Zügen von Volksrohheit begraben liegt,
deren Abstoßungskraft der Anziehungskraft fast überall das Gegenge¬
wicht hält. Kurz, wenn gemeine Naturen mit ihrem Thun und
edle mit ihrem Sein zahlen, so war es dem Europäer, aus dessen

ihre Verehrer in eine etwas zweideutige Verfaſſung zwiſchen Enthu¬
ſiasmus und Horreur bringen. Gärten mit grenadierſteifen Palliſa¬
den-Zäunen, Raſengründe mit angeſtrichenen Holzſtatuen verziert, wa¬
ren ein gewöhnlicher Anblick; Pagoden, Tempel, Kiosk's, Pavillons,
welche vom chineſiſchen bis zum venetianiſchen, vom mauriſchen bis
zum Roccoco-Styl alle Bauformen der Erde verſtandlos-bunt durch¬
einander würfelten, und regelmäßig einen ſchreienden Lackfarbenanſtrich
wie eine Bedientenlivree trugen, das war der immer wiederkehrende
Anblick dieſer Luxus-Bauten. Ja, unter ſeinen Augen ſah Moorfeld
eine Colonnade entſtehen, welche in ein- und derſelben Front ſämmtliche
fünf Säulenordnungen zugleich vereinigte! Von da an brauchte er
ſeinen Dollond doch weniger häufig, und beſah ſich das kleine Narren¬
paradies lieber mit freiem Auge. Aus dieſer Perſpective blieb es
allerliebſt.

Aber wenn das Coſtüm eines Volkslebens mit unſerm Schönheits¬
gefühl im Widerſpruche ſteht, ſo iſt es immer die zarte Sache des Augen¬
blicks wie es uns afficiren ſoll. Eine ſcheinloſe Veranlaſſung, ein un¬
bedeutender Zufall und die Stimmung kann eben ſo ſchnell aus dem
Humor in Aergerniß, ja in wahre Verzweiflung umſchlagen, der äſthe¬
tiſche Sinn ſeine Verletzung anſtatt komiſch, tragiſch auffaſſen. Zweifeln
wir nicht, daß mit ſolchen Veranlaſſungen unſers Landsmanns Weg
wahrhaft beſäet war. Vergeſſen wir nicht, daß Moorfeld auf einen
verdorbenen Magen gebeten wird, wenn ihn ſein Banquier zu¬
fällig zu Gaſte bittet; vergeſſen wir nicht, daß faſt in jedem öffent¬
lichen Locale, in das er eintritt, ſein Auge ſich krampfhaft an den
Plafond klammern muß, wenn ein unbewachter Blick auf den Boden,
d. h. in den Speichel von tauſend Tabakkauern ihm nicht das Ge¬
kröſe im Leibe umwenden ſoll; vergeſſen wir nicht, daß es ſolch kleine,
aber unerſchöpflich durchvariirte Täglichkeiten ſind, aus welchen unſer
Wohl- oder Uebelbefinden gewebt wird: und wir entſchuldigen ge¬
wiß unſern Freund, daß er mitten im Anſchauen einer großartigen
Volksthümlichkeit das Große nirgends recht zu Geſichte bekommt, weil
es unter tauſend widerlichen Zügen von Volksrohheit begraben liegt,
deren Abſtoßungskraft der Anziehungskraft faſt überall das Gegenge¬
wicht hält. Kurz, wenn gemeine Naturen mit ihrem Thun und
edle mit ihrem Sein zahlen, ſo war es dem Europäer, aus deſſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0095" n="77"/>
ihre Verehrer in eine etwas zweideutige Verfa&#x017F;&#x017F;ung zwi&#x017F;chen Enthu¬<lb/>
&#x017F;iasmus und Horreur bringen. Gärten mit grenadier&#x017F;teifen Palli&#x017F;<lb/>
den-Zäunen, Ra&#x017F;engründe mit ange&#x017F;trichenen Holz&#x017F;tatuen verziert, wa¬<lb/>
ren ein gewöhnlicher Anblick; Pagoden, Tempel, Kiosk's, Pavillons,<lb/>
welche vom chine&#x017F;i&#x017F;chen bis zum venetiani&#x017F;chen, vom mauri&#x017F;chen bis<lb/>
zum Roccoco-Styl alle Bauformen der Erde ver&#x017F;tandlos-bunt durch¬<lb/>
einander würfelten, und regelmäßig einen &#x017F;chreienden Lackfarbenan&#x017F;trich<lb/>
wie eine Bedientenlivree trugen, das war der immer wiederkehrende<lb/>
Anblick die&#x017F;er Luxus-Bauten. Ja, unter &#x017F;einen Augen &#x017F;ah Moorfeld<lb/>
eine Colonnade ent&#x017F;tehen, welche in ein- und der&#x017F;elben Front &#x017F;ämmtliche<lb/>
fünf Säulenordnungen zugleich vereinigte! Von da an brauchte er<lb/>
&#x017F;einen Dollond doch weniger häufig, und be&#x017F;ah &#x017F;ich das kleine Narren¬<lb/>
paradies lieber mit freiem Auge. Aus die&#x017F;er Per&#x017F;pective blieb es<lb/>
allerlieb&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Aber wenn das Co&#x017F;tüm eines Volkslebens mit un&#x017F;erm Schönheits¬<lb/>
gefühl im Wider&#x017F;pruche &#x017F;teht, &#x017F;o i&#x017F;t es immer die zarte Sache des Augen¬<lb/>
blicks wie es uns afficiren &#x017F;oll. Eine &#x017F;cheinlo&#x017F;e Veranla&#x017F;&#x017F;ung, ein un¬<lb/>
bedeutender Zufall und die Stimmung kann eben &#x017F;o &#x017F;chnell aus dem<lb/>
Humor in Aergerniß, ja in wahre Verzweiflung um&#x017F;chlagen, der ä&#x017F;the¬<lb/>
ti&#x017F;che Sinn &#x017F;eine Verletzung an&#x017F;tatt komi&#x017F;ch, tragi&#x017F;ch auffa&#x017F;&#x017F;en. Zweifeln<lb/>
wir nicht, daß mit &#x017F;olchen Veranla&#x017F;&#x017F;ungen un&#x017F;ers Landsmanns Weg<lb/>
wahrhaft be&#x017F;äet war. Verge&#x017F;&#x017F;en wir nicht, daß Moorfeld auf einen<lb/>
verdorbenen Magen gebeten wird, wenn ihn &#x017F;ein Banquier zu¬<lb/>
fällig zu Ga&#x017F;te bittet; verge&#x017F;&#x017F;en wir nicht, daß fa&#x017F;t in jedem öffent¬<lb/>
lichen Locale, in das er eintritt, &#x017F;ein Auge &#x017F;ich krampfhaft an den<lb/>
Plafond klammern muß, wenn ein unbewachter Blick auf den Boden,<lb/>
d. h. in den Speichel von tau&#x017F;end Tabakkauern ihm nicht das Ge¬<lb/>
krö&#x017F;e im Leibe umwenden &#x017F;oll; verge&#x017F;&#x017F;en wir nicht, daß es &#x017F;olch kleine,<lb/>
aber uner&#x017F;chöpflich durchvariirte Täglichkeiten &#x017F;ind, aus welchen un&#x017F;er<lb/>
Wohl- oder Uebelbefinden gewebt wird: und wir ent&#x017F;chuldigen ge¬<lb/>
wiß un&#x017F;ern Freund, daß er mitten im An&#x017F;chauen einer großartigen<lb/>
Volksthümlichkeit das Große nirgends recht zu Ge&#x017F;ichte bekommt, weil<lb/>
es unter tau&#x017F;end widerlichen Zügen von Volksrohheit begraben liegt,<lb/>
deren Ab&#x017F;toßungskraft der Anziehungskraft fa&#x017F;t überall das Gegenge¬<lb/>
wicht hält. Kurz, wenn gemeine Naturen mit ihrem <hi rendition="#g">Thun</hi> und<lb/>
edle mit ihrem <hi rendition="#g">Sein</hi> zahlen, &#x017F;o war es dem Europäer, aus de&#x017F;&#x017F;en<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0095] ihre Verehrer in eine etwas zweideutige Verfaſſung zwiſchen Enthu¬ ſiasmus und Horreur bringen. Gärten mit grenadierſteifen Palliſa¬ den-Zäunen, Raſengründe mit angeſtrichenen Holzſtatuen verziert, wa¬ ren ein gewöhnlicher Anblick; Pagoden, Tempel, Kiosk's, Pavillons, welche vom chineſiſchen bis zum venetianiſchen, vom mauriſchen bis zum Roccoco-Styl alle Bauformen der Erde verſtandlos-bunt durch¬ einander würfelten, und regelmäßig einen ſchreienden Lackfarbenanſtrich wie eine Bedientenlivree trugen, das war der immer wiederkehrende Anblick dieſer Luxus-Bauten. Ja, unter ſeinen Augen ſah Moorfeld eine Colonnade entſtehen, welche in ein- und derſelben Front ſämmtliche fünf Säulenordnungen zugleich vereinigte! Von da an brauchte er ſeinen Dollond doch weniger häufig, und beſah ſich das kleine Narren¬ paradies lieber mit freiem Auge. Aus dieſer Perſpective blieb es allerliebſt. Aber wenn das Coſtüm eines Volkslebens mit unſerm Schönheits¬ gefühl im Widerſpruche ſteht, ſo iſt es immer die zarte Sache des Augen¬ blicks wie es uns afficiren ſoll. Eine ſcheinloſe Veranlaſſung, ein un¬ bedeutender Zufall und die Stimmung kann eben ſo ſchnell aus dem Humor in Aergerniß, ja in wahre Verzweiflung umſchlagen, der äſthe¬ tiſche Sinn ſeine Verletzung anſtatt komiſch, tragiſch auffaſſen. Zweifeln wir nicht, daß mit ſolchen Veranlaſſungen unſers Landsmanns Weg wahrhaft beſäet war. Vergeſſen wir nicht, daß Moorfeld auf einen verdorbenen Magen gebeten wird, wenn ihn ſein Banquier zu¬ fällig zu Gaſte bittet; vergeſſen wir nicht, daß faſt in jedem öffent¬ lichen Locale, in das er eintritt, ſein Auge ſich krampfhaft an den Plafond klammern muß, wenn ein unbewachter Blick auf den Boden, d. h. in den Speichel von tauſend Tabakkauern ihm nicht das Ge¬ kröſe im Leibe umwenden ſoll; vergeſſen wir nicht, daß es ſolch kleine, aber unerſchöpflich durchvariirte Täglichkeiten ſind, aus welchen unſer Wohl- oder Uebelbefinden gewebt wird: und wir entſchuldigen ge¬ wiß unſern Freund, daß er mitten im Anſchauen einer großartigen Volksthümlichkeit das Große nirgends recht zu Geſichte bekommt, weil es unter tauſend widerlichen Zügen von Volksrohheit begraben liegt, deren Abſtoßungskraft der Anziehungskraft faſt überall das Gegenge¬ wicht hält. Kurz, wenn gemeine Naturen mit ihrem Thun und edle mit ihrem Sein zahlen, ſo war es dem Europäer, aus deſſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/95
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/95>, abgerufen am 27.04.2024.