Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelassen. Doch lobte er
die alte Muskete und verglich sie in seinem Sinn mit David's
Saitenspiel, vor welchem der böse Geist von Saul entwich; denn mit
jedem Schusse, der aus dem schwergeladenen Laufe fuhr, meinte er
um einen Theil seines Unmuths erleichtert zu sein, und es war ihm
als ob er alle Hindernisse, die sich ihm in dieser schnöden Welt entge¬
genstellten, über den Haufen schieße.

Dazwischen ging er einmal in die Sonne, um nachzusehen, ob man
seiner nicht bei der Bedienung der Gäste bedürfe. Die Einkehr war
diesen Abend nicht so stark wie sonst, weil sich die Neujahrsnachtgäste
in die vielen Wirthshäuser des Fleckens vertheilten, und weil man
wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als
auf eine lange Sylvesterfeier. Derselbe war jedoch heute ungewöhn¬
lich aufgeräumt, er trank, schwatzte, lachte und kneipte abwechselnd
ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen
waren, in die Backen, so daß einer der Anwesenden dem Wirthssohne
zuflüsterte: Du, dein Gestrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine
Brille um das zu sehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin,
die vor den Leuten gute Miene zum bösen Spiele machen mußte,
suchte ihrem Manne sein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬
laufenden Gerüchten zu trotzen beabsichtigte, durch Spottreden zu ver¬
leiden: Du bist so alt, sagte sie, daß die Männer da nicht einmal
mehr eifersüchtig auf dich werden. Es ist auch ziemlich lang her,
entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬
sen bist, und euer Gift ist doch nur süß, so lang die Drachen jung
sind. Ich weiß nicht, setzte er gegen die Gesellschaft gewendet hinzu,
meine Alte ist das Leben ziemlich gewöhnt, sie ist verhärtet, aber
wenn sie unser Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub',
ich ließ' schnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief
die Sonnenwirthin, unser Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu
sich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit
diese Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für sich
nichts Feindseliges damit gesagt sein sollte, wie man denn auch wußte, daß
die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren
uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichsten
Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle

hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelaſſen. Doch lobte er
die alte Muskete und verglich ſie in ſeinem Sinn mit David's
Saitenſpiel, vor welchem der böſe Geiſt von Saul entwich; denn mit
jedem Schuſſe, der aus dem ſchwergeladenen Laufe fuhr, meinte er
um einen Theil ſeines Unmuths erleichtert zu ſein, und es war ihm
als ob er alle Hinderniſſe, die ſich ihm in dieſer ſchnöden Welt entge¬
genſtellten, über den Haufen ſchieße.

Dazwiſchen ging er einmal in die Sonne, um nachzuſehen, ob man
ſeiner nicht bei der Bedienung der Gäſte bedürfe. Die Einkehr war
dieſen Abend nicht ſo ſtark wie ſonſt, weil ſich die Neujahrsnachtgäſte
in die vielen Wirthshäuſer des Fleckens vertheilten, und weil man
wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als
auf eine lange Sylveſterfeier. Derſelbe war jedoch heute ungewöhn¬
lich aufgeräumt, er trank, ſchwatzte, lachte und kneipte abwechſelnd
ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen
waren, in die Backen, ſo daß einer der Anweſenden dem Wirthsſohne
zuflüſterte: Du, dein Geſtrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine
Brille um das zu ſehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin,
die vor den Leuten gute Miene zum böſen Spiele machen mußte,
ſuchte ihrem Manne ſein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬
laufenden Gerüchten zu trotzen beabſichtigte, durch Spottreden zu ver¬
leiden: Du biſt ſo alt, ſagte ſie, daß die Männer da nicht einmal
mehr eiferſüchtig auf dich werden. Es iſt auch ziemlich lang her,
entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬
ſen biſt, und euer Gift iſt doch nur ſüß, ſo lang die Drachen jung
ſind. Ich weiß nicht, ſetzte er gegen die Geſellſchaft gewendet hinzu,
meine Alte iſt das Leben ziemlich gewöhnt, ſie iſt verhärtet, aber
wenn ſie unſer Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub',
ich ließ' ſchnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief
die Sonnenwirthin, unſer Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu
ſich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit
dieſe Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für ſich
nichts Feindſeliges damit geſagt ſein ſollte, wie man denn auch wußte, daß
die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren
uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichſten
Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0105" n="89"/>
hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugela&#x017F;&#x017F;en. Doch lobte er<lb/>
die alte Muskete und verglich &#x017F;ie in &#x017F;einem Sinn mit David's<lb/>
Saiten&#x017F;piel, vor welchem der bö&#x017F;e Gei&#x017F;t von Saul entwich; denn mit<lb/>
jedem Schu&#x017F;&#x017F;e, der aus dem &#x017F;chwergeladenen Laufe fuhr, meinte er<lb/>
um einen Theil &#x017F;eines Unmuths erleichtert zu &#x017F;ein, und es war ihm<lb/>
als ob er alle Hinderni&#x017F;&#x017F;e, die &#x017F;ich ihm in die&#x017F;er &#x017F;chnöden Welt entge¬<lb/>
gen&#x017F;tellten, über den Haufen &#x017F;chieße.</p><lb/>
        <p>Dazwi&#x017F;chen ging er einmal in die Sonne, um nachzu&#x017F;ehen, ob man<lb/>
&#x017F;einer nicht bei der Bedienung der Gä&#x017F;te bedürfe. Die Einkehr war<lb/>
die&#x017F;en Abend nicht &#x017F;o &#x017F;tark wie &#x017F;on&#x017F;t, weil &#x017F;ich die Neujahrsnachtgä&#x017F;te<lb/>
in die vielen Wirthshäu&#x017F;er des Fleckens vertheilten, und weil man<lb/>
wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als<lb/>
auf eine lange Sylve&#x017F;terfeier. Der&#x017F;elbe war jedoch heute ungewöhn¬<lb/>
lich aufgeräumt, er trank, &#x017F;chwatzte, lachte und kneipte abwech&#x017F;elnd<lb/>
ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen<lb/>
waren, in die Backen, &#x017F;o daß einer der Anwe&#x017F;enden dem Wirths&#x017F;ohne<lb/>
zuflü&#x017F;terte: Du, dein Ge&#x017F;trenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine<lb/>
Brille um das zu &#x017F;ehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin,<lb/>
die vor den Leuten gute Miene zum bö&#x017F;en Spiele machen mußte,<lb/>
&#x017F;uchte ihrem Manne &#x017F;ein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬<lb/>
laufenden Gerüchten zu trotzen beab&#x017F;ichtigte, durch Spottreden zu ver¬<lb/>
leiden: Du bi&#x017F;t &#x017F;o alt, &#x017F;agte &#x017F;ie, daß die Männer da nicht einmal<lb/>
mehr eifer&#x017F;üchtig auf dich werden. Es i&#x017F;t auch ziemlich lang her,<lb/>
entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬<lb/>
&#x017F;en bi&#x017F;t, und euer Gift i&#x017F;t doch nur &#x017F;üß, &#x017F;o lang die Drachen jung<lb/>
&#x017F;ind. Ich weiß nicht, &#x017F;etzte er gegen die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft gewendet hinzu,<lb/>
meine Alte i&#x017F;t das Leben ziemlich gewöhnt, &#x017F;ie i&#x017F;t verhärtet, aber<lb/>
wenn &#x017F;ie un&#x017F;er Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub',<lb/>
ich ließ' &#x017F;chnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief<lb/>
die Sonnenwirthin, un&#x017F;er Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu<lb/>
&#x017F;ich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit<lb/>
die&#x017F;e Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für &#x017F;ich<lb/>
nichts Feind&#x017F;eliges damit ge&#x017F;agt &#x017F;ein &#x017F;ollte, wie man denn auch wußte, daß<lb/>
die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren<lb/>
uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglich&#x017F;ten<lb/>
Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0105] hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelaſſen. Doch lobte er die alte Muskete und verglich ſie in ſeinem Sinn mit David's Saitenſpiel, vor welchem der böſe Geiſt von Saul entwich; denn mit jedem Schuſſe, der aus dem ſchwergeladenen Laufe fuhr, meinte er um einen Theil ſeines Unmuths erleichtert zu ſein, und es war ihm als ob er alle Hinderniſſe, die ſich ihm in dieſer ſchnöden Welt entge¬ genſtellten, über den Haufen ſchieße. Dazwiſchen ging er einmal in die Sonne, um nachzuſehen, ob man ſeiner nicht bei der Bedienung der Gäſte bedürfe. Die Einkehr war dieſen Abend nicht ſo ſtark wie ſonſt, weil ſich die Neujahrsnachtgäſte in die vielen Wirthshäuſer des Fleckens vertheilten, und weil man wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als auf eine lange Sylveſterfeier. Derſelbe war jedoch heute ungewöhn¬ lich aufgeräumt, er trank, ſchwatzte, lachte und kneipte abwechſelnd ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen waren, in die Backen, ſo daß einer der Anweſenden dem Wirthsſohne zuflüſterte: Du, dein Geſtrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine Brille um das zu ſehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin, die vor den Leuten gute Miene zum böſen Spiele machen mußte, ſuchte ihrem Manne ſein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬ laufenden Gerüchten zu trotzen beabſichtigte, durch Spottreden zu ver¬ leiden: Du biſt ſo alt, ſagte ſie, daß die Männer da nicht einmal mehr eiferſüchtig auf dich werden. Es iſt auch ziemlich lang her, entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬ ſen biſt, und euer Gift iſt doch nur ſüß, ſo lang die Drachen jung ſind. Ich weiß nicht, ſetzte er gegen die Geſellſchaft gewendet hinzu, meine Alte iſt das Leben ziemlich gewöhnt, ſie iſt verhärtet, aber wenn ſie unſer Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub', ich ließ' ſchnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief die Sonnenwirthin, unſer Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu ſich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit dieſe Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für ſich nichts Feindſeliges damit geſagt ſein ſollte, wie man denn auch wußte, daß die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichſten Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/105
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/105>, abgerufen am 26.04.2024.