Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Ja, aber was fangt man derweil mit dem Buben an, bis Ant¬
wort kommt? fragte die Krämerin. In Plochingen, von wo er schreibt,
kann man ihn doch nicht liegen lassen, daß er dort eine rechte Zech'
hinmacht.

Und wenn man ihn ohne Weiters wieder in's Haus nimmt, sagte
die Sonnenwirthin, so setzt er sich fest und fangt das alt' Lied wieder
an, und ist dann nicht mehr fortzubringen, wenn's auch zehnmal von
Sachsenhausen kommt, daß all sein Vorgeben verlogen sei.

In diesem Augenblicke hörte man ein Posthorn und gleich darauf
den Knall einer Peitsche. Der Postreiter hält vor'm Haus, der Haus¬
knecht soll ihm das Pferd halten, sagte der Sonnenwirth, der an's
Fenster getreten war. Es freute ihn jedesmal, wenn Briefe für den
Flecken in der Sonne abgegeben wurden oder wenn Postpferde zur
Einkehr genöthigt waren, weil er den Beweis darauf zu gründen hoffte,
daß eine Zwischenpost hier errichtet werden sollte. Nach einer Weile
kam der Postknecht herein und überreichte ihm einen Brief: "An Herrn
Herrn Hans Jerg Schwan zur löblichen Sonne in Eberspbach". Der
Sonnenwirth befahl einen Schoppen und las den Brief bedächtig, wäh¬
rend jener den Wein stehend trank; denn in seinen hohen steifen Stie¬
feln würde ihm das Sitzen eine Arbeit gekostet haben, die sich für
einen kurzen Aufenthalt nicht verlohnte.

Der Sonnenwirth hatte den Brief erst zu Ende gelesen, als der
Postknecht schon wieder zu Pferde saß und blasend gen Göppingen
weiter ritt. Der Bub' hat nicht gelogen, sagte er, es verhält sich
vielmehr Alles so wie er behauptet. Mein Bruder schreibt mir da,
er hätt' ihn gern behalten, aber er habe dem Gerichtsschreiber in Boll
für dessen Sohn bereits zugesagt gehabt. Als Gast wär' er ihm will¬
kommen gewesen, so lang er hätte bleiben mögen, auch habe Alles im
Haus den Vetter gern gehabt; der aber habe sich nicht halten lassen,
sondern sei nach etlichen Tagen wieder fort.

Und hat sich Gott weiß wie lang in der Welt herumtrieben, sagte
die Sonnenwirthin.

Nicht gar lang, dem Datum nach, entgegnete der Chirurg, dem
der Sonnenwirth den Brief hingereicht hatte.

Es ist zwar dumm von dem Buben, versetzte der Sonnenwirth,
daß er auf die Einladung nicht länger blieben ist; man hätt' sich

Ja, aber was fangt man derweil mit dem Buben an, bis Ant¬
wort kommt? fragte die Krämerin. In Plochingen, von wo er ſchreibt,
kann man ihn doch nicht liegen laſſen, daß er dort eine rechte Zech'
hinmacht.

Und wenn man ihn ohne Weiters wieder in's Haus nimmt, ſagte
die Sonnenwirthin, ſo ſetzt er ſich feſt und fangt das alt' Lied wieder
an, und iſt dann nicht mehr fortzubringen, wenn's auch zehnmal von
Sachſenhauſen kommt, daß all ſein Vorgeben verlogen ſei.

In dieſem Augenblicke hörte man ein Poſthorn und gleich darauf
den Knall einer Peitſche. Der Poſtreiter hält vor'm Haus, der Haus¬
knecht ſoll ihm das Pferd halten, ſagte der Sonnenwirth, der an's
Fenſter getreten war. Es freute ihn jedesmal, wenn Briefe für den
Flecken in der Sonne abgegeben wurden oder wenn Poſtpferde zur
Einkehr genöthigt waren, weil er den Beweis darauf zu gründen hoffte,
daß eine Zwiſchenpoſt hier errichtet werden ſollte. Nach einer Weile
kam der Poſtknecht herein und überreichte ihm einen Brief: „An Herrn
Herrn Hans Jerg Schwan zur löblichen Sonne in Eberſpbach“. Der
Sonnenwirth befahl einen Schoppen und las den Brief bedächtig, wäh¬
rend jener den Wein ſtehend trank; denn in ſeinen hohen ſteifen Stie¬
feln würde ihm das Sitzen eine Arbeit gekoſtet haben, die ſich für
einen kurzen Aufenthalt nicht verlohnte.

Der Sonnenwirth hatte den Brief erſt zu Ende geleſen, als der
Poſtknecht ſchon wieder zu Pferde ſaß und blaſend gen Göppingen
weiter ritt. Der Bub' hat nicht gelogen, ſagte er, es verhält ſich
vielmehr Alles ſo wie er behauptet. Mein Bruder ſchreibt mir da,
er hätt' ihn gern behalten, aber er habe dem Gerichtsſchreiber in Boll
für deſſen Sohn bereits zugeſagt gehabt. Als Gaſt wär' er ihm will¬
kommen geweſen, ſo lang er hätte bleiben mögen, auch habe Alles im
Haus den Vetter gern gehabt; der aber habe ſich nicht halten laſſen,
ſondern ſei nach etlichen Tagen wieder fort.

Und hat ſich Gott weiß wie lang in der Welt herumtrieben, ſagte
die Sonnenwirthin.

Nicht gar lang, dem Datum nach, entgegnete der Chirurg, dem
der Sonnenwirth den Brief hingereicht hatte.

Es iſt zwar dumm von dem Buben, verſetzte der Sonnenwirth,
daß er auf die Einladung nicht länger blieben iſt; man hätt' ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0180" n="164"/>
        <p>Ja, aber was fangt man derweil mit dem Buben an, bis Ant¬<lb/>
wort kommt? fragte die Krämerin. In Plochingen, von wo er &#x017F;chreibt,<lb/>
kann man ihn doch nicht liegen la&#x017F;&#x017F;en, daß er dort eine rechte Zech'<lb/>
hinmacht.</p><lb/>
        <p>Und wenn man ihn ohne Weiters wieder in's Haus nimmt, &#x017F;agte<lb/>
die Sonnenwirthin, &#x017F;o &#x017F;etzt er &#x017F;ich fe&#x017F;t und fangt das alt' Lied wieder<lb/>
an, und i&#x017F;t dann nicht mehr fortzubringen, wenn's auch zehnmal von<lb/>
Sach&#x017F;enhau&#x017F;en kommt, daß all &#x017F;ein Vorgeben verlogen &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>In die&#x017F;em Augenblicke hörte man ein Po&#x017F;thorn und gleich darauf<lb/>
den Knall einer Peit&#x017F;che. Der Po&#x017F;treiter hält vor'm Haus, der Haus¬<lb/>
knecht &#x017F;oll ihm das Pferd halten, &#x017F;agte der Sonnenwirth, der an's<lb/>
Fen&#x017F;ter getreten war. Es freute ihn jedesmal, wenn Briefe für den<lb/>
Flecken in der Sonne abgegeben wurden oder wenn Po&#x017F;tpferde zur<lb/>
Einkehr genöthigt waren, weil er den Beweis darauf zu gründen hoffte,<lb/>
daß eine Zwi&#x017F;chenpo&#x017F;t hier errichtet werden &#x017F;ollte. Nach einer Weile<lb/>
kam der Po&#x017F;tknecht herein und überreichte ihm einen Brief: &#x201E;An Herrn<lb/>
Herrn Hans Jerg Schwan zur löblichen Sonne in Eber&#x017F;pbach&#x201C;. Der<lb/>
Sonnenwirth befahl einen Schoppen und las den Brief bedächtig, wäh¬<lb/>
rend jener den Wein &#x017F;tehend trank; denn in &#x017F;einen hohen &#x017F;teifen Stie¬<lb/>
feln würde ihm das Sitzen eine Arbeit geko&#x017F;tet haben, die &#x017F;ich für<lb/>
einen kurzen Aufenthalt nicht verlohnte.</p><lb/>
        <p>Der Sonnenwirth hatte den Brief er&#x017F;t zu Ende gele&#x017F;en, als der<lb/>
Po&#x017F;tknecht &#x017F;chon wieder zu Pferde &#x017F;aß und bla&#x017F;end gen Göppingen<lb/>
weiter ritt. Der Bub' hat nicht gelogen, &#x017F;agte er, es verhält &#x017F;ich<lb/>
vielmehr Alles &#x017F;o wie er behauptet. Mein Bruder &#x017F;chreibt mir da,<lb/>
er hätt' ihn gern behalten, aber er habe dem Gerichts&#x017F;chreiber in Boll<lb/>
für de&#x017F;&#x017F;en Sohn bereits zuge&#x017F;agt gehabt. Als Ga&#x017F;t wär' er ihm will¬<lb/>
kommen gewe&#x017F;en, &#x017F;o lang er hätte bleiben mögen, auch habe Alles im<lb/>
Haus den Vetter gern gehabt; der aber habe &#x017F;ich nicht halten la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
&#x017F;ondern &#x017F;ei nach etlichen Tagen wieder fort.</p><lb/>
        <p>Und hat &#x017F;ich Gott weiß wie lang in der Welt herumtrieben, &#x017F;agte<lb/>
die Sonnenwirthin.</p><lb/>
        <p>Nicht gar lang, dem Datum nach, entgegnete der Chirurg, dem<lb/>
der Sonnenwirth den Brief hingereicht hatte.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t zwar dumm von dem Buben, ver&#x017F;etzte der Sonnenwirth,<lb/>
daß er auf die Einladung nicht länger blieben i&#x017F;t; man hätt' &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0180] Ja, aber was fangt man derweil mit dem Buben an, bis Ant¬ wort kommt? fragte die Krämerin. In Plochingen, von wo er ſchreibt, kann man ihn doch nicht liegen laſſen, daß er dort eine rechte Zech' hinmacht. Und wenn man ihn ohne Weiters wieder in's Haus nimmt, ſagte die Sonnenwirthin, ſo ſetzt er ſich feſt und fangt das alt' Lied wieder an, und iſt dann nicht mehr fortzubringen, wenn's auch zehnmal von Sachſenhauſen kommt, daß all ſein Vorgeben verlogen ſei. In dieſem Augenblicke hörte man ein Poſthorn und gleich darauf den Knall einer Peitſche. Der Poſtreiter hält vor'm Haus, der Haus¬ knecht ſoll ihm das Pferd halten, ſagte der Sonnenwirth, der an's Fenſter getreten war. Es freute ihn jedesmal, wenn Briefe für den Flecken in der Sonne abgegeben wurden oder wenn Poſtpferde zur Einkehr genöthigt waren, weil er den Beweis darauf zu gründen hoffte, daß eine Zwiſchenpoſt hier errichtet werden ſollte. Nach einer Weile kam der Poſtknecht herein und überreichte ihm einen Brief: „An Herrn Herrn Hans Jerg Schwan zur löblichen Sonne in Eberſpbach“. Der Sonnenwirth befahl einen Schoppen und las den Brief bedächtig, wäh¬ rend jener den Wein ſtehend trank; denn in ſeinen hohen ſteifen Stie¬ feln würde ihm das Sitzen eine Arbeit gekoſtet haben, die ſich für einen kurzen Aufenthalt nicht verlohnte. Der Sonnenwirth hatte den Brief erſt zu Ende geleſen, als der Poſtknecht ſchon wieder zu Pferde ſaß und blaſend gen Göppingen weiter ritt. Der Bub' hat nicht gelogen, ſagte er, es verhält ſich vielmehr Alles ſo wie er behauptet. Mein Bruder ſchreibt mir da, er hätt' ihn gern behalten, aber er habe dem Gerichtsſchreiber in Boll für deſſen Sohn bereits zugeſagt gehabt. Als Gaſt wär' er ihm will¬ kommen geweſen, ſo lang er hätte bleiben mögen, auch habe Alles im Haus den Vetter gern gehabt; der aber habe ſich nicht halten laſſen, ſondern ſei nach etlichen Tagen wieder fort. Und hat ſich Gott weiß wie lang in der Welt herumtrieben, ſagte die Sonnenwirthin. Nicht gar lang, dem Datum nach, entgegnete der Chirurg, dem der Sonnenwirth den Brief hingereicht hatte. Es iſt zwar dumm von dem Buben, verſetzte der Sonnenwirth, daß er auf die Einladung nicht länger blieben iſt; man hätt' ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/180
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/180>, abgerufen am 15.05.2024.