Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Es war als ob er in ein Trauerhaus käme, als er in die Stube
des Hirschbauers trat. Die Alte heulte bei seinem Anblick laut auf
und fuhr sich in die Haare, als ob sie sie ausraufen wollte, und der
kleine weißköpfige Bube, der sich an ihrem Rocke hielt, heulte vor
Angst mit, ohne von dem Vorgang etwas zu verstehen. Der Bauer,
ohnehin von Alter und Mangel erschöpft, saß ganz gebeugt und ge¬
brochen auf einem schadhaften Stuhl am Ofen; seine beiden älteren
Söhne lehnten ernsthaft, doch ohne sichtbare Betrübniß neben ihm an
der Wand. Christine aber flog, gleichfalls lautweinend, dem Ankömm¬
ling entgegen. Mein Frieder, mein Frieder! schrie sie an seinem
Halse. Bist endlich da? Sieh, ich kann mein Elend auf keinem
Berg übersehen!

So bleib' im Thal, erwiderte er.

Jetzt treibt er noch sein Gespött' mit uns, sagte der Alte mit
dumpfer, sinkender Stimme.

Nein, alter Vater, erwiderte Friedrich, indem er Christinen um
den Leib haltend zu ihm trat und seine Hand mit Gewalt faßte, 's
ist mir jetzt nicht eben spöttisch zu Muth, aber ich seh' nur nicht ein,
was es für ein Jammer sein soll, daß ich jetzt endlich vor den Her¬
ren und vor der ganzen Gemeinde erklären kann, daß ich mich mit
der Christine in allen Treuen versprochen hab' und sie heirathen will.
Und das sagst du morgen vor Kirchenconvent, Christine, und gibst
Alles an, wie's wahr ist, und sagst unverhohlen, ich sei der Vater zu
dem Kind, das du unterm Herzen trägst. Heulet doch nicht so, wandte
er sich zu der Alten, die bei diesen Worten wieder in ein lautes Ge¬
schrei ausbrach, das ist eine natürliche Sach', wer A gesagt hat, muß
auch B sagen, und mich wundert's nur, daß die Leut' noch so ein
Zetermordio drüber verführen können, da es doch so oft und allerorten
vorkommt. Es ist nur bis das Kränzle verschmerzt ist. Sehet ein¬
mal die Kinder an, die das Kyrie nicht abgewartet haben, und ver¬
gleichet sie mit den andern, die rechtmäßig kommen sind. Ist ein
Unterschied zwischen ihnen? Und macht man noch einen Unterschied zwi¬
schen einer Frau, die vor zehn, zwanzig Jahren am Mittwoch hat vor
den Altar stehen müssen, und einer, die ihr Kränzlein in Ehren, wie
sie's heißen, vor den Menschen, aber vielleicht nicht vor Gott getragen
hat? Wenn einmal Gras drüber gewachsen ist, so verzollt Jedermann

Es war als ob er in ein Trauerhaus käme, als er in die Stube
des Hirſchbauers trat. Die Alte heulte bei ſeinem Anblick laut auf
und fuhr ſich in die Haare, als ob ſie ſie ausraufen wollte, und der
kleine weißköpfige Bube, der ſich an ihrem Rocke hielt, heulte vor
Angſt mit, ohne von dem Vorgang etwas zu verſtehen. Der Bauer,
ohnehin von Alter und Mangel erſchöpft, ſaß ganz gebeugt und ge¬
brochen auf einem ſchadhaften Stuhl am Ofen; ſeine beiden älteren
Söhne lehnten ernſthaft, doch ohne ſichtbare Betrübniß neben ihm an
der Wand. Chriſtine aber flog, gleichfalls lautweinend, dem Ankömm¬
ling entgegen. Mein Frieder, mein Frieder! ſchrie ſie an ſeinem
Halſe. Biſt endlich da? Sieh, ich kann mein Elend auf keinem
Berg überſehen!

So bleib' im Thal, erwiderte er.

Jetzt treibt er noch ſein Geſpött' mit uns, ſagte der Alte mit
dumpfer, ſinkender Stimme.

Nein, alter Vater, erwiderte Friedrich, indem er Chriſtinen um
den Leib haltend zu ihm trat und ſeine Hand mit Gewalt faßte, 's
iſt mir jetzt nicht eben ſpöttiſch zu Muth, aber ich ſeh' nur nicht ein,
was es für ein Jammer ſein ſoll, daß ich jetzt endlich vor den Her¬
ren und vor der ganzen Gemeinde erklären kann, daß ich mich mit
der Chriſtine in allen Treuen verſprochen hab' und ſie heirathen will.
Und das ſagſt du morgen vor Kirchenconvent, Chriſtine, und gibſt
Alles an, wie's wahr iſt, und ſagſt unverhohlen, ich ſei der Vater zu
dem Kind, das du unterm Herzen trägſt. Heulet doch nicht ſo, wandte
er ſich zu der Alten, die bei dieſen Worten wieder in ein lautes Ge¬
ſchrei ausbrach, das iſt eine natürliche Sach', wer A geſagt hat, muß
auch B ſagen, und mich wundert's nur, daß die Leut' noch ſo ein
Zetermordio drüber verführen können, da es doch ſo oft und allerorten
vorkommt. Es iſt nur bis das Kränzle verſchmerzt iſt. Sehet ein¬
mal die Kinder an, die das Kyrie nicht abgewartet haben, und ver¬
gleichet ſie mit den andern, die rechtmäßig kommen ſind. Iſt ein
Unterſchied zwiſchen ihnen? Und macht man noch einen Unterſchied zwi¬
ſchen einer Frau, die vor zehn, zwanzig Jahren am Mittwoch hat vor
den Altar ſtehen müſſen, und einer, die ihr Kränzlein in Ehren, wie
ſie's heißen, vor den Menſchen, aber vielleicht nicht vor Gott getragen
hat? Wenn einmal Gras drüber gewachſen iſt, ſo verzollt Jedermann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0197" n="181"/>
        <p>Es war als ob er in ein Trauerhaus käme, als er in die Stube<lb/>
des Hir&#x017F;chbauers trat. Die Alte heulte bei &#x017F;einem Anblick laut auf<lb/>
und fuhr &#x017F;ich in die Haare, als ob &#x017F;ie &#x017F;ie ausraufen wollte, und der<lb/>
kleine weißköpfige Bube, der &#x017F;ich an ihrem Rocke hielt, heulte vor<lb/>
Ang&#x017F;t mit, ohne von dem Vorgang etwas zu ver&#x017F;tehen. Der Bauer,<lb/>
ohnehin von Alter und Mangel er&#x017F;chöpft, &#x017F;aß ganz gebeugt und ge¬<lb/>
brochen auf einem &#x017F;chadhaften Stuhl am Ofen; &#x017F;eine beiden älteren<lb/>
Söhne lehnten ern&#x017F;thaft, doch ohne &#x017F;ichtbare Betrübniß neben ihm an<lb/>
der Wand. Chri&#x017F;tine aber flog, gleichfalls lautweinend, dem Ankömm¬<lb/>
ling entgegen. Mein Frieder, mein Frieder! &#x017F;chrie &#x017F;ie an &#x017F;einem<lb/>
Hal&#x017F;e. Bi&#x017F;t endlich da? Sieh, ich kann mein Elend auf keinem<lb/>
Berg über&#x017F;ehen!</p><lb/>
        <p>So bleib' im Thal, erwiderte er.</p><lb/>
        <p>Jetzt treibt er noch &#x017F;ein Ge&#x017F;pött' mit uns, &#x017F;agte der Alte mit<lb/>
dumpfer, &#x017F;inkender Stimme.</p><lb/>
        <p>Nein, alter Vater, erwiderte Friedrich, indem er Chri&#x017F;tinen um<lb/>
den Leib haltend zu ihm trat und &#x017F;eine Hand mit Gewalt faßte, 's<lb/>
i&#x017F;t mir jetzt nicht eben &#x017F;pötti&#x017F;ch zu Muth, aber ich &#x017F;eh' nur nicht ein,<lb/>
was es für ein Jammer &#x017F;ein &#x017F;oll, daß ich jetzt endlich vor den Her¬<lb/>
ren und vor der ganzen Gemeinde erklären kann, daß ich mich mit<lb/>
der Chri&#x017F;tine in allen Treuen ver&#x017F;prochen hab' und &#x017F;ie heirathen will.<lb/>
Und das &#x017F;ag&#x017F;t du morgen vor Kirchenconvent, Chri&#x017F;tine, und gib&#x017F;t<lb/>
Alles an, wie's wahr i&#x017F;t, und &#x017F;ag&#x017F;t unverhohlen, ich &#x017F;ei der Vater zu<lb/>
dem Kind, das du unterm Herzen träg&#x017F;t. Heulet doch nicht &#x017F;o, wandte<lb/>
er &#x017F;ich zu der Alten, die bei die&#x017F;en Worten wieder in ein lautes Ge¬<lb/>
&#x017F;chrei ausbrach, das i&#x017F;t eine natürliche Sach', wer A ge&#x017F;agt hat, muß<lb/>
auch B &#x017F;agen, und mich wundert's nur, daß die Leut' noch &#x017F;o ein<lb/>
Zetermordio drüber verführen können, da es doch &#x017F;o oft und allerorten<lb/>
vorkommt. Es i&#x017F;t nur bis das Kränzle ver&#x017F;chmerzt i&#x017F;t. Sehet ein¬<lb/>
mal die Kinder an, die das Kyrie nicht abgewartet haben, und ver¬<lb/>
gleichet &#x017F;ie mit den andern, die rechtmäßig kommen &#x017F;ind. I&#x017F;t ein<lb/>
Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen ihnen? Und macht man noch einen Unter&#x017F;chied zwi¬<lb/>
&#x017F;chen einer Frau, die vor zehn, zwanzig Jahren am Mittwoch hat vor<lb/>
den Altar &#x017F;tehen mü&#x017F;&#x017F;en, und einer, die ihr Kränzlein in Ehren, wie<lb/>
&#x017F;ie's heißen, vor den Men&#x017F;chen, aber vielleicht nicht vor Gott getragen<lb/>
hat? Wenn einmal Gras drüber gewach&#x017F;en i&#x017F;t, &#x017F;o verzollt Jedermann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0197] Es war als ob er in ein Trauerhaus käme, als er in die Stube des Hirſchbauers trat. Die Alte heulte bei ſeinem Anblick laut auf und fuhr ſich in die Haare, als ob ſie ſie ausraufen wollte, und der kleine weißköpfige Bube, der ſich an ihrem Rocke hielt, heulte vor Angſt mit, ohne von dem Vorgang etwas zu verſtehen. Der Bauer, ohnehin von Alter und Mangel erſchöpft, ſaß ganz gebeugt und ge¬ brochen auf einem ſchadhaften Stuhl am Ofen; ſeine beiden älteren Söhne lehnten ernſthaft, doch ohne ſichtbare Betrübniß neben ihm an der Wand. Chriſtine aber flog, gleichfalls lautweinend, dem Ankömm¬ ling entgegen. Mein Frieder, mein Frieder! ſchrie ſie an ſeinem Halſe. Biſt endlich da? Sieh, ich kann mein Elend auf keinem Berg überſehen! So bleib' im Thal, erwiderte er. Jetzt treibt er noch ſein Geſpött' mit uns, ſagte der Alte mit dumpfer, ſinkender Stimme. Nein, alter Vater, erwiderte Friedrich, indem er Chriſtinen um den Leib haltend zu ihm trat und ſeine Hand mit Gewalt faßte, 's iſt mir jetzt nicht eben ſpöttiſch zu Muth, aber ich ſeh' nur nicht ein, was es für ein Jammer ſein ſoll, daß ich jetzt endlich vor den Her¬ ren und vor der ganzen Gemeinde erklären kann, daß ich mich mit der Chriſtine in allen Treuen verſprochen hab' und ſie heirathen will. Und das ſagſt du morgen vor Kirchenconvent, Chriſtine, und gibſt Alles an, wie's wahr iſt, und ſagſt unverhohlen, ich ſei der Vater zu dem Kind, das du unterm Herzen trägſt. Heulet doch nicht ſo, wandte er ſich zu der Alten, die bei dieſen Worten wieder in ein lautes Ge¬ ſchrei ausbrach, das iſt eine natürliche Sach', wer A geſagt hat, muß auch B ſagen, und mich wundert's nur, daß die Leut' noch ſo ein Zetermordio drüber verführen können, da es doch ſo oft und allerorten vorkommt. Es iſt nur bis das Kränzle verſchmerzt iſt. Sehet ein¬ mal die Kinder an, die das Kyrie nicht abgewartet haben, und ver¬ gleichet ſie mit den andern, die rechtmäßig kommen ſind. Iſt ein Unterſchied zwiſchen ihnen? Und macht man noch einen Unterſchied zwi¬ ſchen einer Frau, die vor zehn, zwanzig Jahren am Mittwoch hat vor den Altar ſtehen müſſen, und einer, die ihr Kränzlein in Ehren, wie ſie's heißen, vor den Menſchen, aber vielleicht nicht vor Gott getragen hat? Wenn einmal Gras drüber gewachſen iſt, ſo verzollt Jedermann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/197
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/197>, abgerufen am 27.04.2024.