Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

schrocken. Meine Herrschaft ist im Pfarrhaus, sie sind oft nach'm
Nachtessen dort, und die Kinder sind allein. Die Schulmeisterin thät'
mir's nicht verzeihen, und ich möcht's ihr auch nicht zu leid thun, daß
einem von den Kindern etwas geschäh'.

Hat die Kathrine Kinder? fragte er, sie aufhaltend.

Ha, was meinst? antwortete sie, drei, und das Aeltest' davon ist
schier fünf Jahr' alt.

Was man nicht erleben kann! sagte er: ist mir's doch, als hätt'
sie erst gestern noch im Ebersbacher Amthaus gedient, mit ihrem Bleich¬
schnäbele und ihrer schmächtigen Gestalt, und jetzt hat sie schon ein
fünfjähriges Kind.

Es ist auch in die sechs Jahr', daß sie den Schulmeister hier ge¬
heirathet hat. O Frieder, das Weib hat den Himmel an mir ver¬
dient. Aber jetzt laß mich, nur 'n Augenblick laß mich, ich komm
wieder! Sieh, wenn den Kindern etwas zustieß', die sie mir anvertraut
hat, es wär' mein Tod.

Gleich lass' ich dich gehen, sagte er und faßte sie an der Hand.
Wenn du aber wieder kommst, bleibst dann bei mir und ziehst mit
mir fort? Ich leid's nicht, daß mein Weib im Dienst ist. Sieh',
bloß um deinetwillen bin ich von Frankfurt hergewandert, um dir zu
halten, was ich dir versprochen hab'. Meines Bleibens ist im Ländle
nicht, kannst dir wohl denken warum, aber draußen können wir das
und jenes probiren, werden uns schon durchschlagen, und das ehrlich,
hoff' ich. Auch ist jetzt leichter in der Welt fortzukommen: es ist
Krieg, und der bringt manchen Verdienst unter die Leut'. Der König
von Preußen ist in Sachsen eingefallen, es geht alles drunter und
drüber.

Ja, man spricht hier auch davon, versetzte sie. Ach Gott, was ist
das für eine Welt!

Gehst mit mir? und das gleich? fragte er dringender.

So weit ich seh! rief sie, ihm noch einmal um den Hals fallend.
Aber von meiner Schulmeisterin muß ich Abschied nehmen, sie meint's
so gut mit mir.

Sie griff nach ihrer Gelte. Er wollte dieselbe tragen, aber sie
gab es nicht zu. Geh' zwischen den Häusern da den Fußweg 'naus,
daß dich niemand bemerkt. Bei den drei großen Bäumen stoß' ich

ſchrocken. Meine Herrſchaft iſt im Pfarrhaus, ſie ſind oft nach'm
Nachteſſen dort, und die Kinder ſind allein. Die Schulmeiſterin thät'
mir's nicht verzeihen, und ich möcht's ihr auch nicht zu leid thun, daß
einem von den Kindern etwas geſchäh'.

Hat die Kathrine Kinder? fragte er, ſie aufhaltend.

Ha, was meinſt? antwortete ſie, drei, und das Aelteſt' davon iſt
ſchier fünf Jahr' alt.

Was man nicht erleben kann! ſagte er: iſt mir's doch, als hätt'
ſie erſt geſtern noch im Ebersbacher Amthaus gedient, mit ihrem Bleich¬
ſchnäbele und ihrer ſchmächtigen Geſtalt, und jetzt hat ſie ſchon ein
fünfjähriges Kind.

Es iſt auch in die ſechs Jahr', daß ſie den Schulmeiſter hier ge¬
heirathet hat. O Frieder, das Weib hat den Himmel an mir ver¬
dient. Aber jetzt laß mich, nur 'n Augenblick laß mich, ich komm
wieder! Sieh, wenn den Kindern etwas zuſtieß', die ſie mir anvertraut
hat, es wär' mein Tod.

Gleich laſſ' ich dich gehen, ſagte er und faßte ſie an der Hand.
Wenn du aber wieder kommſt, bleibſt dann bei mir und ziehſt mit
mir fort? Ich leid's nicht, daß mein Weib im Dienſt iſt. Sieh',
bloß um deinetwillen bin ich von Frankfurt hergewandert, um dir zu
halten, was ich dir verſprochen hab'. Meines Bleibens iſt im Ländle
nicht, kannſt dir wohl denken warum, aber draußen können wir das
und jenes probiren, werden uns ſchon durchſchlagen, und das ehrlich,
hoff' ich. Auch iſt jetzt leichter in der Welt fortzukommen: es iſt
Krieg, und der bringt manchen Verdienſt unter die Leut'. Der König
von Preußen iſt in Sachſen eingefallen, es geht alles drunter und
drüber.

Ja, man ſpricht hier auch davon, verſetzte ſie. Ach Gott, was iſt
das für eine Welt!

Gehſt mit mir? und das gleich? fragte er dringender.

So weit ich ſeh! rief ſie, ihm noch einmal um den Hals fallend.
Aber von meiner Schulmeiſterin muß ich Abſchied nehmen, ſie meint's
ſo gut mit mir.

Sie griff nach ihrer Gelte. Er wollte dieſelbe tragen, aber ſie
gab es nicht zu. Geh' zwiſchen den Häuſern da den Fußweg 'naus,
daß dich niemand bemerkt. Bei den drei großen Bäumen ſtoß' ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0304" n="288"/>
&#x017F;chrocken. Meine Herr&#x017F;chaft i&#x017F;t im Pfarrhaus, &#x017F;ie &#x017F;ind oft nach'm<lb/>
Nachte&#x017F;&#x017F;en dort, und die Kinder &#x017F;ind allein. Die Schulmei&#x017F;terin thät'<lb/>
mir's nicht verzeihen, und ich möcht's ihr auch nicht zu leid thun, daß<lb/>
einem von den Kindern etwas ge&#x017F;chäh'.</p><lb/>
        <p>Hat die Kathrine Kinder? fragte er, &#x017F;ie aufhaltend.</p><lb/>
        <p>Ha, was mein&#x017F;t? antwortete &#x017F;ie, drei, und das Aelte&#x017F;t' davon i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chier fünf Jahr' alt.</p><lb/>
        <p>Was man nicht erleben kann! &#x017F;agte er: i&#x017F;t mir's doch, als hätt'<lb/>
&#x017F;ie er&#x017F;t ge&#x017F;tern noch im Ebersbacher Amthaus gedient, mit ihrem Bleich¬<lb/>
&#x017F;chnäbele und ihrer &#x017F;chmächtigen Ge&#x017F;talt, und jetzt hat &#x017F;ie &#x017F;chon ein<lb/>
fünfjähriges Kind.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t auch in die &#x017F;echs Jahr', daß &#x017F;ie den Schulmei&#x017F;ter hier ge¬<lb/>
heirathet hat. O Frieder, das Weib hat den Himmel an mir ver¬<lb/>
dient. Aber jetzt laß mich, nur 'n Augenblick laß mich, ich komm<lb/>
wieder! Sieh, wenn den Kindern etwas zu&#x017F;tieß', die &#x017F;ie mir anvertraut<lb/>
hat, es wär' mein Tod.</p><lb/>
        <p>Gleich la&#x017F;&#x017F;' ich dich gehen, &#x017F;agte er und faßte &#x017F;ie an der Hand.<lb/>
Wenn du aber wieder komm&#x017F;t, bleib&#x017F;t dann bei mir und zieh&#x017F;t mit<lb/>
mir fort? Ich leid's nicht, daß mein Weib im Dien&#x017F;t i&#x017F;t. Sieh',<lb/>
bloß um deinetwillen bin ich von Frankfurt hergewandert, um dir zu<lb/>
halten, was ich dir ver&#x017F;prochen hab'. Meines Bleibens i&#x017F;t im Ländle<lb/>
nicht, kann&#x017F;t dir wohl denken warum, aber draußen können wir das<lb/>
und jenes probiren, werden uns &#x017F;chon durch&#x017F;chlagen, und das ehrlich,<lb/>
hoff' ich. Auch i&#x017F;t jetzt leichter in der Welt fortzukommen: es i&#x017F;t<lb/>
Krieg, und der bringt manchen Verdien&#x017F;t unter die Leut'. Der König<lb/>
von Preußen i&#x017F;t in Sach&#x017F;en eingefallen, es geht alles drunter und<lb/>
drüber.</p><lb/>
        <p>Ja, man &#x017F;pricht hier auch davon, ver&#x017F;etzte &#x017F;ie. Ach Gott, was i&#x017F;t<lb/>
das für eine Welt!</p><lb/>
        <p>Geh&#x017F;t mit mir? und das gleich? fragte er dringender.</p><lb/>
        <p>So weit ich &#x017F;eh! rief &#x017F;ie, ihm noch einmal um den Hals fallend.<lb/>
Aber von meiner Schulmei&#x017F;terin muß ich Ab&#x017F;chied nehmen, &#x017F;ie meint's<lb/>
&#x017F;o gut mit mir.</p><lb/>
        <p>Sie griff nach ihrer Gelte. Er wollte die&#x017F;elbe tragen, aber &#x017F;ie<lb/>
gab es nicht zu. Geh' zwi&#x017F;chen den Häu&#x017F;ern da den Fußweg 'naus,<lb/>
daß dich niemand bemerkt. Bei den drei großen Bäumen &#x017F;toß' ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[288/0304] ſchrocken. Meine Herrſchaft iſt im Pfarrhaus, ſie ſind oft nach'm Nachteſſen dort, und die Kinder ſind allein. Die Schulmeiſterin thät' mir's nicht verzeihen, und ich möcht's ihr auch nicht zu leid thun, daß einem von den Kindern etwas geſchäh'. Hat die Kathrine Kinder? fragte er, ſie aufhaltend. Ha, was meinſt? antwortete ſie, drei, und das Aelteſt' davon iſt ſchier fünf Jahr' alt. Was man nicht erleben kann! ſagte er: iſt mir's doch, als hätt' ſie erſt geſtern noch im Ebersbacher Amthaus gedient, mit ihrem Bleich¬ ſchnäbele und ihrer ſchmächtigen Geſtalt, und jetzt hat ſie ſchon ein fünfjähriges Kind. Es iſt auch in die ſechs Jahr', daß ſie den Schulmeiſter hier ge¬ heirathet hat. O Frieder, das Weib hat den Himmel an mir ver¬ dient. Aber jetzt laß mich, nur 'n Augenblick laß mich, ich komm wieder! Sieh, wenn den Kindern etwas zuſtieß', die ſie mir anvertraut hat, es wär' mein Tod. Gleich laſſ' ich dich gehen, ſagte er und faßte ſie an der Hand. Wenn du aber wieder kommſt, bleibſt dann bei mir und ziehſt mit mir fort? Ich leid's nicht, daß mein Weib im Dienſt iſt. Sieh', bloß um deinetwillen bin ich von Frankfurt hergewandert, um dir zu halten, was ich dir verſprochen hab'. Meines Bleibens iſt im Ländle nicht, kannſt dir wohl denken warum, aber draußen können wir das und jenes probiren, werden uns ſchon durchſchlagen, und das ehrlich, hoff' ich. Auch iſt jetzt leichter in der Welt fortzukommen: es iſt Krieg, und der bringt manchen Verdienſt unter die Leut'. Der König von Preußen iſt in Sachſen eingefallen, es geht alles drunter und drüber. Ja, man ſpricht hier auch davon, verſetzte ſie. Ach Gott, was iſt das für eine Welt! Gehſt mit mir? und das gleich? fragte er dringender. So weit ich ſeh! rief ſie, ihm noch einmal um den Hals fallend. Aber von meiner Schulmeiſterin muß ich Abſchied nehmen, ſie meint's ſo gut mit mir. Sie griff nach ihrer Gelte. Er wollte dieſelbe tragen, aber ſie gab es nicht zu. Geh' zwiſchen den Häuſern da den Fußweg 'naus, daß dich niemand bemerkt. Bei den drei großen Bäumen ſtoß' ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/304
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/304>, abgerufen am 04.05.2024.