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Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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zu Tische annehmen. Mit Gewandtheit wurde sodann die Tafelzeit verlängert, bis man erklären konnte, daß es einem Morde gleich zu achten wäre, wenn man den verehrten Gast bei schon sinkendem Abend die halsbrechende Felsensteige hinabführen ließe. Nach langer und lebhafter Weigerung mußte er sich endlich in das Unvermeidliche fügen. Der Pfarrer schlug zur Ausfüllung der Zwischenzeit einen kleinen romantischen Spaziergang vor und führte dann den Gast zum Abendimbiß zurück.

Der Decan starrte verwundert in das Lichtermeer, das ihn hier empfing. Die Pfarrerin hatte aber auch nicht bloß ihren eigenen Leuchterschatz, der nicht klein war, in voller Heerschau ausgestellt, sondern auch sämmtliche disponible Prachtstücke der Revierförsterin, ja selbst ein paar Antiquitäten von der Schulmeisterin -- im Hause des Ortsvorstehers gab es nur autochthonische Ampeln -- ins Feuer geführt. Zur Entfaltung aller dieser Schlachtreihen war es nöthig gewesen, mehrere Tische zusammenzurücken.

Der Decan unterdrückte ein Lächeln über die vermeintliche Geschmacklosigkeit, und man setzte sich. Während der Hauptschüsseln gönnte man ihm Ruhe; doch hatte er auch da schon in seinem angeblichen Lieblingsfache genug zu arbeiten, weil Niemand der Kerzen in den beiden größten, fast Candelabern zu vergleichenden Leuchtern, die vor seinem Platze standen, sich annahm, und er als Mann von Erziehung sie fort und fort allein bedienen mußte. Die kurzen, scharfen, sicheren

zu Tische annehmen. Mit Gewandtheit wurde sodann die Tafelzeit verlängert, bis man erklären konnte, daß es einem Morde gleich zu achten wäre, wenn man den verehrten Gast bei schon sinkendem Abend die halsbrechende Felsensteige hinabführen ließe. Nach langer und lebhafter Weigerung mußte er sich endlich in das Unvermeidliche fügen. Der Pfarrer schlug zur Ausfüllung der Zwischenzeit einen kleinen romantischen Spaziergang vor und führte dann den Gast zum Abendimbiß zurück.

Der Decan starrte verwundert in das Lichtermeer, das ihn hier empfing. Die Pfarrerin hatte aber auch nicht bloß ihren eigenen Leuchterschatz, der nicht klein war, in voller Heerschau ausgestellt, sondern auch sämmtliche disponible Prachtstücke der Revierförsterin, ja selbst ein paar Antiquitäten von der Schulmeisterin — im Hause des Ortsvorstehers gab es nur autochthonische Ampeln — ins Feuer geführt. Zur Entfaltung aller dieser Schlachtreihen war es nöthig gewesen, mehrere Tische zusammenzurücken.

Der Decan unterdrückte ein Lächeln über die vermeintliche Geschmacklosigkeit, und man setzte sich. Während der Hauptschüsseln gönnte man ihm Ruhe; doch hatte er auch da schon in seinem angeblichen Lieblingsfache genug zu arbeiten, weil Niemand der Kerzen in den beiden größten, fast Candelabern zu vergleichenden Leuchtern, die vor seinem Platze standen, sich annahm, und er als Mann von Erziehung sie fort und fort allein bedienen mußte. Die kurzen, scharfen, sicheren

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/23>, abgerufen am 07.05.2024.