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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 11. Die Rechte der Einzelstaaten.
liegenden Wahlsystems. Endlich das Recht jedes Staates, daß
seine Angehörigen unter den gleichen Bedingungen wie die Ange-
hörigen der andern Staaten zur Bekleidung von Reichsämtern be-
fähigt, daß sie von denselben nicht grundsätzlich ausgeschlossen
sind.

Aus der Natur dieser Rechte als unmittelbarer Wirkungen
der Reichsverfassung ergeben sich zwei Rechtssätze.

1. Die Rechte der Einzelstaaten können sich mit jeder Aende-
rung der Verfassung ändern, ja auch ohne Abänderung der Ver-
fassungs-Urkunde in Folge der dem Reiche zustehenden Gesetzgebung.
So ist z. B. durch das Ges. über die Rechtsverhältnisse der zum
dienstlichen Gebrauche einer Reichsverwaltung bestimmten Gegen-
stände v. 28 Mai 1873 und durch das Ges. über die Errichtung
eines Reichs-Eisenbahn-Amtes vom 3. Juli 1873 eine solche Aen-
derung der Mitgliedschafts-Rechte der Einzelstaaten eingetreten.

Es ist demgemäß der Inhalt der Mitgliedschaftsrechte ein
wechselnder. Bestimmt wird derselbe einseitig vom Reich durch
die von ihm ausgehenden Willensakte, welche theils im Wege der
verfassungsändernden theils im Wege der einfachen Gesetzgebung
theils auch im Wege eines Beschlusses des Bundesraths, so weit
die Kompetenz des letzeren sich erstreckt, erfolgen können. Der
einzelne Staat kann nur durch seine Abstimmung im Bundes-
rath auf die Erhaltung oder Erweiterung seiner Rechte oder auf
die Einschränkung seiner Pflichten hinwirken; hat das Reich seinen
Willen in verfassungsmäßiger Weise erklärt, so ist der Wille des
einzelnen Staates unerheblich. Die Gesammtheit der einzelnen
Staaten erscheint tamquam unum corpus und der Theil wird durch
die Veränderung des Ganzen ohne Weiteres mitbetroffen.

Die einzelnen in der Mitgliedschaft enthaltenen Rechte und
Pflichten der Staaten sind daher dem Reiche gegenüber nicht iura
quaesita
, die nicht ohne Zustimmung der einzelnen Staaten ein-
geschränkt oder beseitigt werden können. Ebenso wenig sind die
in der Mitgliedschaft begründeten Pflichten ihrem Umfange nach
definitiv begränzt, so daß sie nicht ohne Zustimmung der einzelnen
Staaten erschwert werden können. Wol aber können sich aus der
Mitgliedschaft einzelne Rechte und Pflichten ablösen als perfekt ge-
wordene Wirkungen, als selbständig gewordene Rechte und Pflichten,
die man der Mitgliedschaft gegenüber mit separirten Früchten ver-

§. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten.
liegenden Wahlſyſtems. Endlich das Recht jedes Staates, daß
ſeine Angehörigen unter den gleichen Bedingungen wie die Ange-
hörigen der andern Staaten zur Bekleidung von Reichsämtern be-
fähigt, daß ſie von denſelben nicht grundſätzlich ausgeſchloſſen
ſind.

Aus der Natur dieſer Rechte als unmittelbarer Wirkungen
der Reichsverfaſſung ergeben ſich zwei Rechtsſätze.

1. Die Rechte der Einzelſtaaten können ſich mit jeder Aende-
rung der Verfaſſung ändern, ja auch ohne Abänderung der Ver-
faſſungs-Urkunde in Folge der dem Reiche zuſtehenden Geſetzgebung.
So iſt z. B. durch das Geſ. über die Rechtsverhältniſſe der zum
dienſtlichen Gebrauche einer Reichsverwaltung beſtimmten Gegen-
ſtände v. 28 Mai 1873 und durch das Geſ. über die Errichtung
eines Reichs-Eiſenbahn-Amtes vom 3. Juli 1873 eine ſolche Aen-
derung der Mitgliedſchafts-Rechte der Einzelſtaaten eingetreten.

Es iſt demgemäß der Inhalt der Mitgliedſchaftsrechte ein
wechſelnder. Beſtimmt wird derſelbe einſeitig vom Reich durch
die von ihm ausgehenden Willensakte, welche theils im Wege der
verfaſſungsändernden theils im Wege der einfachen Geſetzgebung
theils auch im Wege eines Beſchluſſes des Bundesraths, ſo weit
die Kompetenz des letzeren ſich erſtreckt, erfolgen können. Der
einzelne Staat kann nur durch ſeine Abſtimmung im Bundes-
rath auf die Erhaltung oder Erweiterung ſeiner Rechte oder auf
die Einſchränkung ſeiner Pflichten hinwirken; hat das Reich ſeinen
Willen in verfaſſungsmäßiger Weiſe erklärt, ſo iſt der Wille des
einzelnen Staates unerheblich. Die Geſammtheit der einzelnen
Staaten erſcheint tamquam unum corpus und der Theil wird durch
die Veränderung des Ganzen ohne Weiteres mitbetroffen.

Die einzelnen in der Mitgliedſchaft enthaltenen Rechte und
Pflichten der Staaten ſind daher dem Reiche gegenüber nicht iura
quaesita
, die nicht ohne Zuſtimmung der einzelnen Staaten ein-
geſchränkt oder beſeitigt werden können. Ebenſo wenig ſind die
in der Mitgliedſchaft begründeten Pflichten ihrem Umfange nach
definitiv begränzt, ſo daß ſie nicht ohne Zuſtimmung der einzelnen
Staaten erſchwert werden können. Wol aber können ſich aus der
Mitgliedſchaft einzelne Rechte und Pflichten ablöſen als perfekt ge-
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[111/0131] §. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten. liegenden Wahlſyſtems. Endlich das Recht jedes Staates, daß ſeine Angehörigen unter den gleichen Bedingungen wie die Ange- hörigen der andern Staaten zur Bekleidung von Reichsämtern be- fähigt, daß ſie von denſelben nicht grundſätzlich ausgeſchloſſen ſind. Aus der Natur dieſer Rechte als unmittelbarer Wirkungen der Reichsverfaſſung ergeben ſich zwei Rechtsſätze. 1. Die Rechte der Einzelſtaaten können ſich mit jeder Aende- rung der Verfaſſung ändern, ja auch ohne Abänderung der Ver- faſſungs-Urkunde in Folge der dem Reiche zuſtehenden Geſetzgebung. So iſt z. B. durch das Geſ. über die Rechtsverhältniſſe der zum dienſtlichen Gebrauche einer Reichsverwaltung beſtimmten Gegen- ſtände v. 28 Mai 1873 und durch das Geſ. über die Errichtung eines Reichs-Eiſenbahn-Amtes vom 3. Juli 1873 eine ſolche Aen- derung der Mitgliedſchafts-Rechte der Einzelſtaaten eingetreten. Es iſt demgemäß der Inhalt der Mitgliedſchaftsrechte ein wechſelnder. Beſtimmt wird derſelbe einſeitig vom Reich durch die von ihm ausgehenden Willensakte, welche theils im Wege der verfaſſungsändernden theils im Wege der einfachen Geſetzgebung theils auch im Wege eines Beſchluſſes des Bundesraths, ſo weit die Kompetenz des letzeren ſich erſtreckt, erfolgen können. Der einzelne Staat kann nur durch ſeine Abſtimmung im Bundes- rath auf die Erhaltung oder Erweiterung ſeiner Rechte oder auf die Einſchränkung ſeiner Pflichten hinwirken; hat das Reich ſeinen Willen in verfaſſungsmäßiger Weiſe erklärt, ſo iſt der Wille des einzelnen Staates unerheblich. Die Geſammtheit der einzelnen Staaten erſcheint tamquam unum corpus und der Theil wird durch die Veränderung des Ganzen ohne Weiteres mitbetroffen. Die einzelnen in der Mitgliedſchaft enthaltenen Rechte und Pflichten der Staaten ſind daher dem Reiche gegenüber nicht iura quaesita, die nicht ohne Zuſtimmung der einzelnen Staaten ein- geſchränkt oder beſeitigt werden können. Ebenſo wenig ſind die in der Mitgliedſchaft begründeten Pflichten ihrem Umfange nach definitiv begränzt, ſo daß ſie nicht ohne Zuſtimmung der einzelnen Staaten erſchwert werden können. Wol aber können ſich aus der Mitgliedſchaft einzelne Rechte und Pflichten ablöſen als perfekt ge- wordene Wirkungen, als ſelbſtändig gewordene Rechte und Pflichten, die man der Mitgliedſchaft gegenüber mit ſeparirten Früchten ver-

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/131>, abgerufen am 29.04.2024.