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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 15. Der Inhalt des Reichsbürgerrechts.

Als Inhalt des Staatsbürgerrechts ist vielmehr nur anzuer-
kennen, der Anspruch des einzelnen Staatsbürgers auf die Er-
füllung der Aufgaben, welche der Staat seinen Angehörigen gegen-
über übernommen hat und zwar sowohl nach Außen als im Innern
und auf die verfassungsmäßige Antheilnahme an dem staatlichen
Leben selbst. Dem entsprechend giebt es auch ein Reichsbürger-
recht, welches allen Angehörigen des Reiches ohne Rücksicht auf
den Einzelstaat zusteht und gegen das Reich unmittelbar gerichtet
ist, mit dreifachem Inhalt: Schutz im Auslande, Schutz im Inlande
und Theilnahme am Verfassungsleben des Reiches.

1) Der Anspruch auf Schutz im Auslande. Grade
in dieser Beziehung ist das Reich am Vollständigsten an die Stelle
der Einzelstaaten getreten und hat ihnen ihre Pflichten abgenommen.
Die Reichsverfassung selbst bestimmt Art. 3 Abs. 6
"dem Auslande gegenüber haben alle Deut-
schen gleichmäßig Anspruch auf den Schutz
des Reichs
."

Nicht blos die Einzelstaaten haben einen Anspruch an das
Reich, daß dieses ihre Angehörigen dem Auslande gegenüber
schützt 1), sondern "alle Deutschen" haben diesen Anspruch unmittel-
bar. Durch den Art. 4 Nro. 7 der R.-Verf. ist die Kompetenz des
Reiches dieser Aufgabe gemäß erstreckt auf "die Organisation eines
gemeinsamen Schutzes des deutschen Handels im Auslande, der
deutschen Schifffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung
gemeinsamer konsularischer Vertretung, welche vom Reiche ausge-
stattet wird." Zur Gewährung des Schutzes hat das Reich Ge-
sandtschaften eingerichtet und Konsulate organisirt und zur wirksamen
Durchführung verfügt es über das Heer und die Kriegsmarine.

Auch hier sind die Einzelstaaten übrigens nicht völlig elimi-
nirt und durch das Reich keineswegs gänzlich verdrängt. Eine
Trennung von Centralgewalt und Einzelstaatsgewalt, wie sie die
herrschende Bundesstaats-Theorie lehrt, daß auf gewissen Gebieten
nur das Reich, auf anderen nur der Einzelstaat Hoheitsrechte hat,
besteht nicht einmal hier, wo die Machtbefugnisse des Reiches am

man z. B. die "Freiheitsrechte" eines Deutschen, Wechsel zu trassiren und zu
acceptiren, zu domiziliren und zu indossiren, aus dem System des Staatsrechts
so erbarmungslos ausstößt.
1) Siehe oben S. 110.
§. 15. Der Inhalt des Reichsbürgerrechts.

Als Inhalt des Staatsbürgerrechts iſt vielmehr nur anzuer-
kennen, der Anſpruch des einzelnen Staatsbürgers auf die Er-
füllung der Aufgaben, welche der Staat ſeinen Angehörigen gegen-
über übernommen hat und zwar ſowohl nach Außen als im Innern
und auf die verfaſſungsmäßige Antheilnahme an dem ſtaatlichen
Leben ſelbſt. Dem entſprechend giebt es auch ein Reichsbürger-
recht, welches allen Angehörigen des Reiches ohne Rückſicht auf
den Einzelſtaat zuſteht und gegen das Reich unmittelbar gerichtet
iſt, mit dreifachem Inhalt: Schutz im Auslande, Schutz im Inlande
und Theilnahme am Verfaſſungsleben des Reiches.

1) Der Anſpruch auf Schutz im Auslande. Grade
in dieſer Beziehung iſt das Reich am Vollſtändigſten an die Stelle
der Einzelſtaaten getreten und hat ihnen ihre Pflichten abgenommen.
Die Reichsverfaſſung ſelbſt beſtimmt Art. 3 Abſ. 6
dem Auslande gegenüber haben alle Deut-
ſchen gleichmäßig Anſpruch auf den Schutz
des Reichs
.“

Nicht blos die Einzelſtaaten haben einen Anſpruch an das
Reich, daß dieſes ihre Angehörigen dem Auslande gegenüber
ſchützt 1), ſondern „alle Deutſchen“ haben dieſen Anſpruch unmittel-
bar. Durch den Art. 4 Nro. 7 der R.-Verf. iſt die Kompetenz des
Reiches dieſer Aufgabe gemäß erſtreckt auf „die Organiſation eines
gemeinſamen Schutzes des deutſchen Handels im Auslande, der
deutſchen Schifffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung
gemeinſamer konſulariſcher Vertretung, welche vom Reiche ausge-
ſtattet wird.“ Zur Gewährung des Schutzes hat das Reich Ge-
ſandtſchaften eingerichtet und Konſulate organiſirt und zur wirkſamen
Durchführung verfügt es über das Heer und die Kriegsmarine.

Auch hier ſind die Einzelſtaaten übrigens nicht völlig elimi-
nirt und durch das Reich keineswegs gänzlich verdrängt. Eine
Trennung von Centralgewalt und Einzelſtaatsgewalt, wie ſie die
herrſchende Bundesſtaats-Theorie lehrt, daß auf gewiſſen Gebieten
nur das Reich, auf anderen nur der Einzelſtaat Hoheitsrechte hat,
beſteht nicht einmal hier, wo die Machtbefugniſſe des Reiches am

man z. B. die „Freiheitsrechte“ eines Deutſchen, Wechſel zu traſſiren und zu
acceptiren, zu domiziliren und zu indoſſiren, aus dem Syſtem des Staatsrechts
ſo erbarmungslos ausſtößt.
1) Siehe oben S. 110.
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[150/0170] §. 15. Der Inhalt des Reichsbürgerrechts. Als Inhalt des Staatsbürgerrechts iſt vielmehr nur anzuer- kennen, der Anſpruch des einzelnen Staatsbürgers auf die Er- füllung der Aufgaben, welche der Staat ſeinen Angehörigen gegen- über übernommen hat und zwar ſowohl nach Außen als im Innern und auf die verfaſſungsmäßige Antheilnahme an dem ſtaatlichen Leben ſelbſt. Dem entſprechend giebt es auch ein Reichsbürger- recht, welches allen Angehörigen des Reiches ohne Rückſicht auf den Einzelſtaat zuſteht und gegen das Reich unmittelbar gerichtet iſt, mit dreifachem Inhalt: Schutz im Auslande, Schutz im Inlande und Theilnahme am Verfaſſungsleben des Reiches. 1) Der Anſpruch auf Schutz im Auslande. Grade in dieſer Beziehung iſt das Reich am Vollſtändigſten an die Stelle der Einzelſtaaten getreten und hat ihnen ihre Pflichten abgenommen. Die Reichsverfaſſung ſelbſt beſtimmt Art. 3 Abſ. 6 „dem Auslande gegenüber haben alle Deut- ſchen gleichmäßig Anſpruch auf den Schutz des Reichs.“ Nicht blos die Einzelſtaaten haben einen Anſpruch an das Reich, daß dieſes ihre Angehörigen dem Auslande gegenüber ſchützt 1), ſondern „alle Deutſchen“ haben dieſen Anſpruch unmittel- bar. Durch den Art. 4 Nro. 7 der R.-Verf. iſt die Kompetenz des Reiches dieſer Aufgabe gemäß erſtreckt auf „die Organiſation eines gemeinſamen Schutzes des deutſchen Handels im Auslande, der deutſchen Schifffahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinſamer konſulariſcher Vertretung, welche vom Reiche ausge- ſtattet wird.“ Zur Gewährung des Schutzes hat das Reich Ge- ſandtſchaften eingerichtet und Konſulate organiſirt und zur wirkſamen Durchführung verfügt es über das Heer und die Kriegsmarine. Auch hier ſind die Einzelſtaaten übrigens nicht völlig elimi- nirt und durch das Reich keineswegs gänzlich verdrängt. Eine Trennung von Centralgewalt und Einzelſtaatsgewalt, wie ſie die herrſchende Bundesſtaats-Theorie lehrt, daß auf gewiſſen Gebieten nur das Reich, auf anderen nur der Einzelſtaat Hoheitsrechte hat, beſteht nicht einmal hier, wo die Machtbefugniſſe des Reiches am 2) 1) Siehe oben S. 110. 2) man z. B. die „Freiheitsrechte“ eines Deutſchen, Wechſel zu traſſiren und zu acceptiren, zu domiziliren und zu indoſſiren, aus dem Syſtem des Staatsrechts ſo erbarmungslos ausſtößt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/170>, abgerufen am 29.04.2024.