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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelstaat.
Dieser Schutz kann verwirklicht werden theils durch eine direkte
Reclamation bei der Regierung des auswärtigen oder verbündeten
Staates, theils durch eine Anregung bei der Centralbehörde des
Reiches, daß dasselbe sich des Angehörigen des reclamirenden Ein-
zelstaates annehme, theils durch eine förmliche Beschwerde einer
Bundesregierung bei dem Reich, wenn ein Einzelstaat zum Nach-
theil der Angehörigen eines anderen Anordnungen der Reichsver-
fassung oder anderer Reichsgesetze verletzt.

3) Das Wohnrecht in dem Staate, dem man angehört,
hat durch das jedem Reichsangehörigen eingeräumte Wohnrecht im
ganzen Reichsgebiet sehr wesentliche Modifikationen erfahren, und
zwar nicht blos eine bedeutungsvolle Erweiterung, sondern auch
sehr wichtige Einschränkungen.

Für einen besonderen Fall giebt es auch jetzt noch eine Aus-
weisung von Reichsangehörigen aus dem Gebiete eines deutschen
Staates, zu welchem sie nicht staatsangehörig sind, so daß
sich die Staatsangehörigkeit als das stärkere, wirksamere Rechts-
verhältniß erweist. Da nämlich das Gesetz über den Unterstützungs-
wohnsitz in Bayern nicht eingeführt worden und nach dem Schluß-
protokoll vom 23. November 1870 Ziffer III. der Gotha'er Ver-
trag vom 15. Juli 1851 für das Verhältniß Bayerns zu dem
übrigen Bundesgebiet in Geltung geblieben ist, so können auf
Grund des §. 1 Lit. a. des gedachten Vertrages die andern Deut-
schen Staaten von Bayern und Bayern von den anderen Deut-
schen Staaten die Uebernahme von hülfsbedürftigen Staats-
angehörigen verlangen, was einer Ausweisung von Reichsangehö-
rigen aus dem Einzelstaatsterritorium gleichkömmt. Dagegen kann
kein Staat nach der gedachten Convention §. 1 Lit. b. von einem
andern die Uebernahme solcher Personen verlangen, welche ihm
selbst angehörig geworden sind.

Im Uebrigen aber hat das Wohnrecht im Bundesgebiet und
die durch das Freizügigkeits-Gesetz durchgeführte Einheitlichkeit des
Bundesgebiets in Beziehung auf Aufenthalt und Niederlassung
die Wirkung, daß in mehreren Fällen der Staatsangehörige aus
dem Gebiete seines eigenen Heimathsstaates ausgewiesen werden
kann, dagegen nicht aus dem Bundesgebiete. Das Wohnrecht im
Bundesgebiet hat gleichsam das Wohnrecht in einem einzelnen
Theile desselben, nämlich im Gebiete des Heimathsstaates, absorbirt.
Diese Fälle sind folgende:


§. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat.
Dieſer Schutz kann verwirklicht werden theils durch eine direkte
Reclamation bei der Regierung des auswärtigen oder verbündeten
Staates, theils durch eine Anregung bei der Centralbehörde des
Reiches, daß daſſelbe ſich des Angehörigen des reclamirenden Ein-
zelſtaates annehme, theils durch eine förmliche Beſchwerde einer
Bundesregierung bei dem Reich, wenn ein Einzelſtaat zum Nach-
theil der Angehörigen eines anderen Anordnungen der Reichsver-
faſſung oder anderer Reichsgeſetze verletzt.

3) Das Wohnrecht in dem Staate, dem man angehört,
hat durch das jedem Reichsangehörigen eingeräumte Wohnrecht im
ganzen Reichsgebiet ſehr weſentliche Modifikationen erfahren, und
zwar nicht blos eine bedeutungsvolle Erweiterung, ſondern auch
ſehr wichtige Einſchränkungen.

Für einen beſonderen Fall giebt es auch jetzt noch eine Aus-
weiſung von Reichsangehörigen aus dem Gebiete eines deutſchen
Staates, zu welchem ſie nicht ſtaatsangehörig ſind, ſo daß
ſich die Staatsangehörigkeit als das ſtärkere, wirkſamere Rechts-
verhältniß erweiſt. Da nämlich das Geſetz über den Unterſtützungs-
wohnſitz in Bayern nicht eingeführt worden und nach dem Schluß-
protokoll vom 23. November 1870 Ziffer III. der Gotha’er Ver-
trag vom 15. Juli 1851 für das Verhältniß Bayerns zu dem
übrigen Bundesgebiet in Geltung geblieben iſt, ſo können auf
Grund des §. 1 Lit. a. des gedachten Vertrages die andern Deut-
ſchen Staaten von Bayern und Bayern von den anderen Deut-
ſchen Staaten die Uebernahme von hülfsbedürftigen Staats-
angehörigen verlangen, was einer Ausweiſung von Reichsangehö-
rigen aus dem Einzelſtaatsterritorium gleichkömmt. Dagegen kann
kein Staat nach der gedachten Convention §. 1 Lit. b. von einem
andern die Uebernahme ſolcher Perſonen verlangen, welche ihm
ſelbſt angehörig geworden ſind.

Im Uebrigen aber hat das Wohnrecht im Bundesgebiet und
die durch das Freizügigkeits-Geſetz durchgeführte Einheitlichkeit des
Bundesgebiets in Beziehung auf Aufenthalt und Niederlaſſung
die Wirkung, daß in mehreren Fällen der Staatsangehörige aus
dem Gebiete ſeines eigenen Heimathsſtaates ausgewieſen werden
kann, dagegen nicht aus dem Bundesgebiete. Das Wohnrecht im
Bundesgebiet hat gleichſam das Wohnrecht in einem einzelnen
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[158/0178] §. 16. Das Staatsbürgerrecht im Einzelſtaat. Dieſer Schutz kann verwirklicht werden theils durch eine direkte Reclamation bei der Regierung des auswärtigen oder verbündeten Staates, theils durch eine Anregung bei der Centralbehörde des Reiches, daß daſſelbe ſich des Angehörigen des reclamirenden Ein- zelſtaates annehme, theils durch eine förmliche Beſchwerde einer Bundesregierung bei dem Reich, wenn ein Einzelſtaat zum Nach- theil der Angehörigen eines anderen Anordnungen der Reichsver- faſſung oder anderer Reichsgeſetze verletzt. 3) Das Wohnrecht in dem Staate, dem man angehört, hat durch das jedem Reichsangehörigen eingeräumte Wohnrecht im ganzen Reichsgebiet ſehr weſentliche Modifikationen erfahren, und zwar nicht blos eine bedeutungsvolle Erweiterung, ſondern auch ſehr wichtige Einſchränkungen. Für einen beſonderen Fall giebt es auch jetzt noch eine Aus- weiſung von Reichsangehörigen aus dem Gebiete eines deutſchen Staates, zu welchem ſie nicht ſtaatsangehörig ſind, ſo daß ſich die Staatsangehörigkeit als das ſtärkere, wirkſamere Rechts- verhältniß erweiſt. Da nämlich das Geſetz über den Unterſtützungs- wohnſitz in Bayern nicht eingeführt worden und nach dem Schluß- protokoll vom 23. November 1870 Ziffer III. der Gotha’er Ver- trag vom 15. Juli 1851 für das Verhältniß Bayerns zu dem übrigen Bundesgebiet in Geltung geblieben iſt, ſo können auf Grund des §. 1 Lit. a. des gedachten Vertrages die andern Deut- ſchen Staaten von Bayern und Bayern von den anderen Deut- ſchen Staaten die Uebernahme von hülfsbedürftigen Staats- angehörigen verlangen, was einer Ausweiſung von Reichsangehö- rigen aus dem Einzelſtaatsterritorium gleichkömmt. Dagegen kann kein Staat nach der gedachten Convention §. 1 Lit. b. von einem andern die Uebernahme ſolcher Perſonen verlangen, welche ihm ſelbſt angehörig geworden ſind. Im Uebrigen aber hat das Wohnrecht im Bundesgebiet und die durch das Freizügigkeits-Geſetz durchgeführte Einheitlichkeit des Bundesgebiets in Beziehung auf Aufenthalt und Niederlaſſung die Wirkung, daß in mehreren Fällen der Staatsangehörige aus dem Gebiete ſeines eigenen Heimathsſtaates ausgewieſen werden kann, dagegen nicht aus dem Bundesgebiete. Das Wohnrecht im Bundesgebiet hat gleichſam das Wohnrecht in einem einzelnen Theile deſſelben, nämlich im Gebiete des Heimathsſtaates, abſorbirt. Dieſe Fälle ſind folgende:

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/178>, abgerufen am 05.05.2024.